Ausverkauf in Dotcom-Aktien – Zinsen und Öl belasten Weltwirtschaft – Die Verlierer des Vorjahrs mutieren zu Gewinnern
Das Jahr 2000 begann, wie das vorangegangene geendet hatte.
Das Jahr 2000 begann, wie das vorangegangene geendet hatte. Die meisten Anleger gingen davon aus, dass die Weltwirtschaft – und an ihrer Spitze die USA – unmittelbar in die New Economy eintreten würde. Einer der wenigen Vorbehalte betraf die Konsequenzen der Jahrtausendumstellung auf die weltweiten Computer-Netzwerke. Nachdem die Uhrzeiger in der Neujahrsnacht die Mitternachtsmarke ohne Zwischenfall überschritten hatten, kannte die Anlegereuphorie fast keine Grenzen. Viele Verfechter der New Economy waren überzeugt, dass traditionelle Bewertungsmassstäbe, der Einfluss von Zinsen und die Abhängigkeit von Unternehmensgewinnen ausser Kraft gesetzt seien. Doch bald zeigte sich, dass der Investitionsschub im Zusammenhang mit der Jahrtausendumstellung sowie die günstigen Finanzierungsmöglichkeiten über den Kapitalmarkt in den meisten Technologiebereichen zu Überkapazitäten geführt hatte. - Als Erstes kam der Dotcom-Bereich unter die Räder (vgl. Spalte). Immer mehr Investoren wurde klar, dass viele für das Internet erarbeitete Geschäftsmodelle in der Realität nicht funktionierten. Denn der Zeitpunkt des Break even lag für viele Web-Gesellschaften in weiter Ferne, was dazu führte, dass sie ihre flüssigen Mittel rasch aufbrauchten. Die vom US-Magazin «Fortune» geführte Liste der «verstorbenen» Internet-Unternehmen zählte vor Weihnachten 124 Einträge. - Fast ebenso hart traf die Krise die Telecombranche. Noch in der ersten Jahreshälfte machten Fusionen wie diejenige von Vodafone und Mannesmann sowie die Versteigerung von Mobilfunklizenzen zu horrenden Preisen in Deutschland und England Schlagzeilen. In allen Übertragungsbereichen von Glasfaser über DSL bis Internet Protocol (IP) wurden Überkapazitäten aufgebaut. Doch bald wurde klar, dass sich die hohen Investitionen angesichts des immer härter geführten Preiskampfs gar nie oder erst in vielen Jahren auszahlen würden. In der Folge kamen Telecom- und Netzwerkausrüster-Titel in Bedrängnis. Börsenschwergewichte wie AT&T, British Telecom und Deutsche Telekom begaben sich auf Talfahrt. - Angesicht der weltweit nachlassenden PC-Verkäufe kamen nicht nur die Hersteller der Endgeräte unter Druck. Die gesamte Halbleiterindustrie hatte die Zukunft falsch eingeschätzt und blieb auf ihren Beständen sitzen. Der Niedergang der Technologietitel führte dazu, dass technologiearme Wertschriftenmärkte wie China oder Dänemark die Hitparade der Börsenplätze 2000 anführen (vgl. Grafik). - Aber nicht nur in Bezug auf die Entwicklung der Technologietitel lagen zu Jahresbeginn die meisten Marktbeobachter falsch. Auch die viel beschworene Börsenerholung in Japan und die Erstarkung des Euros blieben aus. Sie entwickelten sich gar ins Gegenteil. Auch die anderen Aktienmärkte Asiens erlebten herbe Rückschläge – mit Ausnahme von China. - Ausser der Verlangsamung des US-Wirtschaftswachstum setzten rekordhohe Energiepreise der Weltwirtschaft zu. Die Erholung der Weltwirtschaft geriet durch die Verteuerung der Ölpreise und Zinserhöhungen der Zentralbanken in Europa und den USA in Gefahr. Kein Markt erwies sich als stabil genug, um sich von diesen zwei Schlüsselmärkten längerfristig abzukoppeln. Während vor Jahresfrist noch das Inflationsgespenst an die Wand gemalt wurde, hoffen die Marktteilnehmer nun, dass es Fed-Chef Alan Greenspan mit seiner Geldpolitik gelingt, die US-Wirtschaft und den davon abhängenden Rest der Welt aus einer Rezession herauszuhalten. - Als Fels in der Brandung erwiesen sich defensive Titel aus dem Gesundheits- und Energiebereich. Aber auch die Biotechnologie erlebte einen zweiten Frühling. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms beflügelte die Forscher und sorgte für ein Kursfeuerwerk in Aktien der Biotechnologie. Doch erst wenn die Wirkungsweise der Gene bekannt ist, werden sich die Forschungsergebnisse in neue Medikamente ummünzen lassen. Bis dahin dürften noch einige Jahre vergehen. - Im vergangenen Jahr wurde den Marktteilnehmern schmerzlich bewusst, dass sie sich nicht in einem rechtlosen Raum bewegen. Gerichte, Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden machten zahlreichen Unternehmen einen Strich durch die Rechnung. Ein US-Richter ordnete die Zweiteilung des einstigen Börsenlieblings Microsoft an. Die Wettbewerbsbehörden in den USA und Europa verhinderten zahlreiche Fusionen, wie diejenige von WorldCom und Sprint sowie Time Warner und EMI. Ein Gerichtsurteil stoppte den Siegeszug der Napster-Musiksoftware. Ein Entscheid der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC stellte Analysten den Anlegern gleich und verbietet fortan die selektive Information von Marktteilnehmern. Die Ermittlungen gegen Investmentbanken wegen unsauberen Geschäften im IPO-Zuteilungsgeschäft sind noch nicht abgeschlossen. - So verlustreich die Korrektur in New-Economy-Titeln für viele Investoren war: Der Gesamtmarkt befindet sich, nachdem das Bewertungsniveau der Technologietitel sich wieder historischen Durchschnittswerten genähert hat, zum Jahresende 2000 auf einem stabileren Fundament als vor Jahresfrist – und das nächste Jahr kann nur besser werden.WG