«Beim Fed müssten alle Alarmglocken läuten»
Felix Zulauf, Hedge-Fund-Manager und Anlageexperte, sieht im Interview mit der FuW die Gefahr einer grösseren Korrektur erst im nächsten Jahr. Dann warten Einstiegsgelegenheiten.

Herr Zulauf, die US-Notenbank hat wider Erwarten doch entschieden, ihr Anleihenkaufprogramm nicht zu drosseln. Was bedeutet das für die Finanzmärkte? - Zunächst hat die Notenbank damit ihre Glaubwürdigkeit untergraben. Die Notenbanken versuchen mit allen Mitteln, die Märkte zu dirigieren, um die Inflation der Vermögenspreise aufrechtzuerhalten. Zuerst kam Quantitative Easing, dann die Forward Guidance, das Knüpfen der Geldpolitik an gewisse Bedingungen. Hält sich die Notenbank dann nicht an die eigenen Vorgaben, stellt das einen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit dar. Zweitens wurde der Tapering-Entscheid nicht aufgehoben, nur aufgeschoben.
Ist die US-Wirtschaft denn wirklich noch so schwach, dass sie diese geldpolitische Stütze braucht? - Die aktuelle Erholung ist schwach, wenn man sie mit vergangenen Zyklen vergleicht. Nur lässt sich diese Schwäche nicht mit Geldpolitik lösen. Diese versucht nur, die strukturellen Probleme zu übertünchen. Je mehr wir die Welt mit Liquidität fluten, je mehr wir der Welt die Illusion geben, es sei alles in bester Ordnung, desto weniger sehen sich die Politiker veranlasst, die strukturellen Probleme mit strukturellen Lösungen zu beseitigen. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa und Asien.
Führt dieser Fed-Entscheid nun zu einem weiteren Aufwärtsschub an den Börsen? - Kurzfristig befinden sich die globalen Aktienmärkte in einer Korrekturphase, die den ganzen Oktober dauern dürfte. Diese Korrektur wird allerdings sehr viel milder ausfallen, als wenn das Tapering in Angriff genommen worden wäre.
Was meinen Sie mit mild? - So zwischen 5 und 7%, etwa in dem Ausmass, wie die letzten Korrekturen abgelaufen sind. Für einen tieferen Taucher fehlt dem Markt mangels Anlagealternativen der Verkaufsdruck.
Wie geht es danach weiter? - Entscheidend für den weiteren Verlauf an den Märkten ist nicht meine Meinung, sondern die Konsenserwartung. Der Konsens sieht eine weitere Erholung der Weltwirtschaft. Deshalb werden leicht steigende Bondrenditen erwartet. Anleihen sind demnach unattraktiv. Gemäss vorherrschender Meinung bleibt die Inflation verhalten, deshalb ist auch Gold unattraktiv. Es verbleiben also nur Aktien und Immobilien. Daher fliesst viel Geld in die Aktienmärkte.
Könnte es angesichts dieser Kapitalzuflüsse an den Börsen zu einem Melt-up kommen, zu einem heftigen Schub nach oben? - Das ist durchaus möglich, müsste sich aber zwischen heute und Anfang 2014 abspielen.
Was folgt danach? - Dann wird sich zeigen, ob der Konsens in der ersten Jahreshälfte 2014 recht behält oder ob er seine Meinung ändern muss. Ich denke, er wird seine Meinung ändern und die Gewinnschätzungen reduzieren müssen. Ich erwarte daher für 2014 – vermutlich im ersten Halbjahr – eine Korrektur von bis zu 20%. Entscheidend ist dann die Frage, ob diese Korrektur eine der bestehenden Eiterbeulen der Weltwirtschaft platzen lässt oder nicht. Falls nicht, wird die Rally dank der Liquiditätsflut der Notenbanken bis 2015 weitergehen.
Sprechen wir also von diesen Eiterbeulen. Wo drohen sie? - Eine wurde bereits angeritzt: die Verwundbarkeit der Schwellenländer mit ausgeprägten Zahlungsbilanzungleichgewichten wie der Türkei, Indonesiens, Indiens, Südafrikas oder Brasiliens. Unter näherer Betrachtung leidet auch China unter diesem Problem. Nur zeigt es sich dort noch nicht, weil der Kapitalverkehr nicht frei ist.
Sie sehen aber China mittelfristig als Gefahrenherd? - Ja. Die Kreditblase in China ist wohl etwa doppelt so gross wie die Subprime-Blase vor 2007 in den USA. Die Immobilienpreise klettern weiter, und es wird nach wie vor viel gebaut, obwohl die Leerstände steigen. Diese Blasen dauern meist länger, als sich ein vernünftiger Mensch vorstellen kann. Sie gehen so weit, bis es «This Time is Different» heisst. Doch es ist eben auch in China nicht anders. Irgendwann wird dieses Ponzi-Schema nicht mehr funktionieren. Das Platzen der Kreditblase hätte natürlich enorme Konsequenzen für ganz Asien, die Schwellenländer generell, aber auch für Europa und die USA.
Wo sehen Sie noch Probleme? - Eine weitere Eiterbeule ist Japan. Die Aussenbilanzen Japans verschlechtern sich, und die neue Regierung will die Konjunktur auf Vordermann bringen. Bis anhin wurde dies mit Geldschöpfung, Abschwächung der Währung und etwas Fiskalstimulus versucht. Dadurch hat sich eine gewisse Verbesserung eingestellt. Jedoch stockt der Reformprozess, weshalb der Druck auf die Notenbank steigen wird, den Yen weiter zu schwächen. Seit einigen Wochen schichten japanische Lebensversicherer und andere Institutionen ihre Yenbonds in höherverzinsliche ausländische Anlagen um, was mit der Zeit den Yen weiter unter Abwertungsdruck setzen wird. Irgendwann könnte in diesem Prozess die Kontrolle entgleiten. Ein schwächerer Yen hat deflationäre Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
Und weiter? - Ein weiterer Gefahrenherd sind die Übertreibungen am US-Bondmarkt. Neulich hat Verizon mühelos Bonds für 49 Mrd. $ platziert. Da müssten beim Fed eigentlich alle Alarmglocken läuten, weil sich die Finanzwirtschaft wieder verselbständigt und Übertreibungen auftreten. Statt in die Realwirtschaft zu investieren, kaufen die Unternehmen mit geliehenem Geld vorwiegend eigene Aktien zurück, um die Kurse anzustossen.
Sie haben die Eurozone noch nicht erwähnt. - In Europa hatten wir in letzter Zeit Ruhe, weil die EZB alles daransetzt, den Ball flach zu halten. Aufbrechen wird die Krise aber wieder, wenn sich die Konjunkturhoffnungen für die Peripherie verflüchtigen. Keines der grundlegenden Probleme wurde angepackt, der Euro ist eine Fehlkonstruktion, die man nicht mit der jetzigen Politik lösen kann. Man kann nicht die Mehrheit der Volkswirtschaften über mehrere Jahre in eine deflationäre Depression drücken. Die erneuten Unruhen in Griechenland und das Wackeln der Regierung Letta in Italien zeigen dies deutlich. Damit fehlt die politische Stärke, um schmerzhafte Reformen einzuführen.
Ist mit den Wahlen in Deutschland zumindest ein Unsicherheitsfaktor verschwunden? - Nein. Jetzt beginnen die Probleme in Deutschland erst. Entweder war die CDU mit ihrer Wahlstrategie grausam naiv, dass sie von einer Zweitstimmenkampagne für die FDP abgesehen hat. Oder sie hat den Linksdrift bewusst gewählt. Seit Frau Merkel das Zepter übernommen hat, sind CDU und SPD ja kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Wenn Herr Schäuble nicht mal eine Woche nach den Wahlen laut über eine Anhebung des Steuersatzes von 45 auf 49% nachdenkt, was vor den Wahlen in Abrede gestellt wurde, ist das einer Demokratie unwürdig. Wie auch immer die neue Regierung aussieht, sie wird kaum vier Jahre überstehen. Und bei der nächsten Wahl könnten die bis anhin unter dem Deckel gehaltenen konservativen Kräfte wieder stärker werden. Jedenfalls wird der Wahlausgang in der deutschen Politik zu einem Linksrutsch führen.
Die Eurokrise wird uns also noch lange begleiten. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Wechselkurspolitik der SNB mit der Frankenobergrenze? - Wenn die SNB Courage hätte und ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen möchte, müsste sie jetzt einen Regimewechsel vornehmen. Ihre Konjunkturprognose von 1,5 bis 2% Wachstum mit einer Inflationsrate von null bedeutet für Schweizer Verhältnisse Boom. Entsprechend sollte die SNB den Franken etwas stärker werden lassen. Man könnte ihn auch an einem Währungskorb ausrichten, damit alles etwas ausgewogener wird. Ich möchte beim erneuten Ausbruch der Eurokrise nicht eine weitere Expansion der SNB-Bilanz erleben. Das ist Gift. Die SNB sollte punkto Bilanzexpansion nicht dieses angelsächsische Spiel spielen, denn das ist langfristig für unser Land gefährlich. Die Schweiz steht an einer gefährlichen Wegscheide, weil sie Gefahr läuft, immer mehr traditionelle Werte über Bord zu werfen. Das gilt besonders für die Aussen-, die Finanz-, die Energie- und die Geldpolitik. Dazu kommt eine unglaubliche Regulierungswut. Die entsprechenden Auswirkungen werden wir erst längerfristig negativ spüren.
Und wenn es zu einer heftigen Aufwertung des Frankens käme? - Da wären mir selbst als liberalem Geist dirigistische Massnahmen lieber, um den Zustrom von ausländischem Fluchtkapital zu bremsen. Es macht wenig Sinn, dass wir Volkswirtschaften wie Frankreich oder Deutschland mit neu geschöpftem Geld billigst finanzieren. Ohnehin: Eine starke und kompetitive Volkswirtschaft nimmt es in Kauf, dass sie über eine 15 bis 20% überbewertete Währung laufend Strukturanpassungen erzwingt. Längerfristig ist das für die Prosperität des Landes und seiner Bürger die beste Variante.
Wie positionieren Sie sich als Investor angesichts der Perspektiven, die Sie geschildert haben? - Ich bin in einem Alter, wo man vorsichtiger wird. Entsprechend bin ich auf reale Kapitalerhaltung ausgerichtet und nutze gelegentliche Opportunitäten. Wer im Performancerennen steht, muss einfach mitmachen, auch bei Entwicklungen, die nicht intelligent sind, weil Underperformance verboten ist. Professionelle Investoren müssen daher weiter Aktien kaufen. Cash ist im heutigen Umfeld für sie keine Alternative, selbst wenn das auf neun bis zwölf Monate die richtige Strategie wäre. Wer Cash hält, wird von seinen Kunden kritisiert, weil er real Geld verliert.
Sprechen die ermutigenden Konjunktursignale denn nicht für Aktien? - Ich muss immer schmunzeln, wenn ich sehe, wie stark sich die Anleger an den vorlaufenden Indikatoren der Realwirtschaft orientieren, weil die Konjunktur den Märkten hinterherhinkt und nicht umgekehrt. 2008 krachten die Märkte nicht wegen der schlechten Wirtschaftslage, sondern wegen der Probleme im Finanzsystem. Die Konjunktur verschlechterte sich als Folge davon. Auslöser der nächsten Korrektur wird in meinen Augen wieder ein Finanzproblem sein und nicht ein realwirtschaftliches. Die realwirtschaftlichen Probleme sind nachher dann die Folge von Problemen in der Finanzwirtschaft.
Wo stehen wir im Aktienmarktzyklus? - In der Nachkriegszeit dauerte die durchschnittliche Hausse rund 48 bis 50 Monate, der längste Zyklus erstreckte sich über 60 Monate. Die laufende Hausse steht im 54. Monat. Eine Korrektur wäre demnach bald fällig. Es gibt denn auch erste Anzeichen für einen reifer werdenden Markt.
Wie sieht man das? - An der Tatsache, dass immer weniger Aktien die Hausse tragen. So wurden die letzten drei bis vier Indexhöchst von einer abnehmenden Anzahl an neuen 52-Wochen-Hochs begleitet. Auch notieren immer weniger Aktien über ihrem gleitenden Durchschnitt von 200 Tagen. Wir haben noch keine Anzeichen, dass die Märkte nach unten abdrehen, aber wir haben Zeichen für den Reifeprozess. Der Bullenmarkt ist heute nicht mehr ein 25-jähriger Jüngling, der Tiefschläge problemlos wegstecken kann, sondern ein 75-jähriger Mann am Stock, bei dem es länger dauert, bis er nach einem Sturz wieder auf die Beine kommt. Deshalb erwarte ich für 2014 eine Korrektur – vermutlich schon im ersten Halbjahr.
Was folgt danach? - Wie gesagt: Falls diese Korrektur keine Eiterbeule zum Platzen bringt, werden die neuerlichen Rettungsübungen der Zentralbanken die Börsen höher treiben. Das fünfte Jahr im Jahrzehnt ist normalerweise das beste Börsenjahr. Danach würde es sehr gefährlich, weil die Ungleichgewichte noch grösser geworden sind. Etwa alle sieben Jahre verzeichnen die amerikanischen Aktienmärkte einen wichtigen Tiefpunkt – so in den Jahren 1974, 1982, 1987, 1994, 2002, 2009. Der nächste Krisentiefpunkt wäre demnach 2016 fällig.
Wie soll sich der Anleger auf Sektorebene positionieren? - Momentan wird die Hausse vor allem von den zyklischen Konsumwerten und Industrietiteln wie Georg Fischer, United Technologies und Honeywell getrieben. Alle Sektoren, die mit dem Bondmarkt zu tun haben, fallen ab. Dazu zählen Versorger in den USA. Auch Basiskonsumgüterhersteller wie Nestlé hinken dem Markt seit einiger Zeit deutlich hinterher, weil der Konsens eine bessere Konjunktur erwartet, was sich stärker in den Gewinnen der Zykliker niederschlägt.
Und auf Marktebene? - Aus Marktsicht dürfte Japan das interessanteste Chancen-Risiko-Profil aufweisen, weil dort die Hausse erst im Herbst 2012 eingesetzt hat. Zudem ist in Nippon eine echte Veränderung der Wirtschaftspolitik in Richtung Reflationierung im Gang, was die japanischen Unternehmensgewinne besser stützt, als das in Europa und Amerika der Fall ist. In den Schwellenländern muss selektiv vorgegangen werden. Asiatische Märkte mit Ertragsbilanzüberschüssen wie Südkorea sind zu bevorzugen. Märkte von Ländern mit aussenwirtschaftlichen Defiziten wie Brasilien werden eher schlechter abschneiden.
Was halten Sie von den bis vor kurzem beliebten defensiven Qualitätswerten? - Sie dürften ihren Abwärtstrend bis ins Jahr 2014 hinein fortsetzen, was gute Kaufgelegenheiten zu tieferen Kursen eröffnet. In diesen Werten ist man über die nächsten Jahre sehr viel besser aufgehoben als in zyklischen Namen, denn ich sehe das kräftige Wachstum der Weltwirtschaft nicht. Nicht, dass man mit defensiven Titeln das grosse Geld verdienen würde, aber in Zeiten des Umbruchs sind Sie mit Unilever, Nestlé, Roche oder Novartis besser aufgehoben als mit Georg Fischer oder United Technologies. Falls sich die Rally nach dem nächstjährigen Einbruch bis 2015 fortsetzen sollte, könnte es durchaus zu einer Neuauflage der Nifty-Fifty-Hausse kommen – so wie in den Sechzigerjahren, als für defensive Qualitätswerte jeder Preis bezahlt wurde.
Wird Gold irgendwann wieder interessant? - Ich erwarte das Auslaufen der zyklischen Baisse im Laufe der nächsten sechs bis neun Monate. Dann beginnt die nächste zyklische Hausse, die Gold auf neue Höchst treibt, weil die Notenbanken auf die erwarteten Turbulenzen an den Finanzmärkten wie gewohnt durch Öffnen der Geldschleusen reagieren werden.
Sprechen weitere Gründe für Gold? - Auf der Verkaufsseite stehen westliche Investoren mit einem Anlagehorizont von sechs bis zwölf Monaten, die über ETF in Gold investiert haben. Die laufende Korrektur hat ihnen wehgetan. Deshalb werden die Positionen abgestossen. Die Käufer aus Indien, China und dem Mittleren Osten haben einen viel längeren Horizont, weil sie aus eigener Erfahrung wissen, dass ihnen Gold einen grossen Schutz gegen die Misswirtschaft der Politik bietet. Das physische Gold wandert von schwachen in starke Hände und bleibt dort versorgt. Die Finanzinvestoren kehren zurück, wenn sie realisieren, dass auf den nächsten Einbruch wieder der Geldhahn aufgedreht und das Papiergeld weiter abgewertet wird.
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