Bernanke wägt ab
Die amerikanische Zentralbank macht sich zwar mehr als früher Gedanken über die Intensität des Konjunkturabschwungs, sie ist aber eher über die Inflation besorgt als über ein allfälliges Rezessionsrisiko.
Die amerikanische Zentralbank macht sich zwar mehr als früher Gedanken über die Intensität des Konjunkturabschwungs, sie ist aber eher über die Inflation besorgt als über ein allfälliges Rezessionsrisiko. Auf diesen Nenner lässt sich die Rede des Fed-Vorsitzenden bringen, die er am Mittwoch vor dem gemeinsamen Wirtschaftsausschuss im US-Kongress gehalten hat. Die Teuerungssorgen überwiegen im zinspolitischen Entscheidungsgremium des Fed nach wie vor. - Anlass, eine Zinserhöhung zu fürchten, gab Chairman Bernanke jedoch keinen. Das wäre auch zu viel des Guten gewesen – ist es doch erst eine Woche her, dass an den Börsen das Communiqué des Fed gefeiert wurde, weil es Aussagen enthielt, die auch eine Zinssenkung in den USA rechtfertigten. Es hatte der von Bernankes Vorgänger, Alan Greenspan, entfachten Debatte über die Möglichkeit einer Rezession in den USA nur neue Argumente geliefert. Am Mittwoch ging es nun vor allem darum, den trügerischen Eindruck zu korrigieren, dass das Fed eine monetäre Lockerung tatsächlich vorbereite. Und es ging darum, festzulegen, wer die Akzente in der Geldpolitik setzt: der amtierende oder der in Ruhestand getretene Notenbankchef. - Bernanke bestätigte, dass die Wachstumsverlangsamung seit Frühjahr 2006 vornehmlich auf die Korrektur im Wohnungsmarkt zurückzuführen sei. Dort seien die Aussichten ungewiss. Zwar hätten sich der Verkauf bestehender Häuser und die Anträge auf Hypotheken als widerstandsfähig erwiesen. Aber selbst wenn die Nachfrage am Immobilienmarkt nicht weiter abnehme, werde das Wirtschaftswachstum davon nicht profitieren, müsse doch zunächst der hohe Bestand unverkaufter Wohnimmobilien abgetragen werden. - Die Kreditkrise für Subprime-Hypotheken, also für Kunden mit einer schwächeren Bonität, beurteilte er weniger dramatisch als viele Investoren. Einzelne Schuldner und Familien seien betroffen, die Folgen für den Wohnungsmarkt insgesamt blieben jedoch unklar. Bernanke beklagte sich über die mangelnden Kreditstandards von Banken, hätten doch vor allem die Ausfälle in kürzlich abgeschlossenen variabel verzinsten Hypotheken kräftig zugenommen. Bislang habe die Schwäche im Wohnungsmarkt und in Teilen der Industrie nicht merklich auf andere Sektoren übergegriffen, schloss der Zentralbankchef. Die Gesamtwirtschaft werde auch in den nächsten Quartalen moderat wachsen: eine Absage an Greenspans Rezessionsorakel. - Dafür betonte Bernanke, dass die Kernteuerung (ohne Energie und Lebensmittel) unbequem hoch ausfalle. Dafür macht er vorwiegend Mieterhöhungen verantwortlich. Wegen der finanziellen Unsicherheit am Markt für Kaufimmobilien hätten sich immer mehr Familien nach Mietobjekten umgesehen. Der steigende Bedarf trieb die Preise nach oben. - Das Fed geht davon aus, dass der Aufwärtsdruck auf die Kerninflation mit der Zeit nachlässt. Dem Risiko, dass es doch anders ausgehen könnte – angesichts einer hohen Auslastung der Ressourcen und eines angespannten Arbeitsmarkts –, räumte Bernanke in seinen Ausführungen allerdings reichlich Raum ein. In der anschliessenden Debatte präzisierte er, für das Fed gelte weiterhin ein inflationärer «Bias». Die Märkte schienen die Botschaft anders zu interpretieren. Der Dezemberkontrakt der Futures auf Fed Funds stieg am Mittwoch. Er eskomptierte einen Satz von 4,8% und damit zwei Leitzinssenkungen von derzeit 5,25 auf 4,75% bis zum Jahresende. Futures auf den Dollarindex fielen, während Bernanke sprach. Die US-Valuta zog erst im späteren Handelsverlauf erneut an (vgl. Seite 6). Die Richtung des nächsten Zinsschrittes in den USA bleibt also ein begehrtes Objekt der Spekulation.