Auf keinem anderen Kontinent lässt sich der Aufstieg Chinas zur Weltmacht besser beobachten als in Afrika. Knapp zwanzig Jahre nach Beginn der chinesischen Expansion nach Westen gibt es fast kein afrikanisches Land mehr, in dem man nicht auf Brücken, Kraftwerke, Staudämme, Stadien oder Fabriken stösst, über denen Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen wehen. Selten ist eine weit entfernte Volkswirtschaft binnen so kurzer Zeit zu einem solch zentralen Wirtschaftsfaktor geworden wie China jetzt in Afrika. Die Zahlen spiegeln dies eindrücklich: War China bis zur Jahrtausendwende noch ein Handelspartner unter vielen, ist es seitdem zur klaren Nummer eins in Afrika aufgestiegen. Zeitweise belief sich das Handelsvolumen auf mehr als 200 Mrd. $ im Jahr.
Inzwischen braucht China Afrika längst nicht mehr, wie noch am Anfang, nur als reinen Rohstofflieferanten für den Aufbau seiner Volkswirtschaft. Ebenso wichtig ist Afrika als Absatzmarkt für chinesische Produkte geworden. Allein nach Südafrika exportiert Peking Elektronikgeräte für mehr als 3 Mrd. $ pro Jahr. Die Langfristigkeit des Engagements der Chinesen in Afrika steht ausser Zweifel. Kritiker stossen sich jedoch vor allem am Versuch Pekings, Politik und Geschäft in Afrika strikt zu trennen. So sind seine Kredite nicht an die Einhaltung der Menschenrechte oder an soziale Bedingungen geknüpft; auch mit den Antikorruptionsbestimmungen nehmen es die Chinesen nicht eben genau.
Lange Zeit haben Afrikas Führungsriegen diesen Tauschhandel ermuntert. Ein Vorteil bestand darin, dass diese Regime erstmals in der postkolonialen Ära eine Wahl hatten zwischen europäischen und chinesischen Bauunternehmen – und beide bei Bedarf auch gegeneinander ausspielen konnten. Für die oft vernachlässigte Bevölkerung hatte das Arrangement hingegen den Vorteil, dass das aufgenommene Geld für Strassen, Kraftwerke oder Bahnlinien im Land blieb und nicht, wie früher so oft, mehrheitlich auf ausländischen Konten verschwand.
Empörung wegen Corona
Allerdings trübt sich das enge Verhältnis seit zwei Jahren spürbar. Je umfangreicher das chinesische Engagement in Afrika geworden ist, desto schwieriger ist es für Peking, sein Prinzip der Nichteinmischung aufrechtzuerhalten, etwa im chaotischen Südsudan oder im diktatorisch regierten Simbabwe.
Einen besonders scharfen Bruch in den Beziehungen markierte im vergangenen Jahr dann jedoch das Vorgehen chinesischer Lokalbehörden gegen die afrikanische Studentendiaspora im Süden Chinas, die man dort für eine zweite Infektionswelle verantwortlich machte. Ein seit langem schwelender Rassismus brach sich damals Bahn, der in der Vertreibung von Afrikanern aus ihren Wohnungen und Häusern gipfelte und in Afrika vielerorts für helle Empörung sorgte. Etwa ein Dutzend afrikanische Regierungen bestellten Chinas Botschafter ein, ein bis dato nicht praktizierter Schritt.
Als weiterer Reibungspunkt hat sich die zögerliche Haltung Chinas gegenüber einem Schuldenaufschub für afrikanische Länder entpuppt. Schliesslich ist China inzwischen der grösste einzelstaatliche Gläubiger der zumeist wieder einmal hoch verschuldeten Länder des Kontinents. Bislang ist die Reaktion aus Peking auf den Hilferuf einzelner afrikanischer Staaten äusserst verhalten. Anders als der Westen, der 2005 durch eine einseitige Schuldenabschreibung die Auslandverbindlichkeiten der afrikanischen Empfängerländer mit einem Schlag von 100 auf 40% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) reduziert hatte, zeigt sich China weit weniger kulant.
Schulden sind höher als vermutet
Zum einem liegt dies an der Art, wie die chinesische Regierung mit Afrika Geschäfte macht. So werden die meisten Kredite, etwa für die beliebten Infrastrukturprojekte, zu kommerziellen Bedingungen vergeben. Zum anderen hat China inzwischen zunehmend mit internen Problemen zu kämpfen und fürchtet selbst einen weiteren Anstieg seiner Schulden. Ein einseitiger Schuldverzicht gilt aber auch schon deshalb als unwahrscheinlich, weil China seine Geschäftskredite als Druckmittel beibehalten will. Denn anders als viele westliche Länder betreibt Peking eine Afrikapolitik, die klar an Eigeninteressen orientiert ist.
Die Lage wird dadurch kompliziert, dass Kredite immer wieder mit strategisch wichtiger Infrastruktur abgesichert wurden, darunter auch im besonders hoch verschuldeten Sambia, das im vergangenen Jahr als erstes Land seinen Schuldendienst aussetzen musste. Auch hat Sambia inzwischen eingeräumt, dass seine Verbindlichkeiten gegenüber China doppelt so hoch sind wie offiziell verbucht. Zudem sind viele Verträge mit chinesischen Kreditgebern wenig transparent. Das Forschungszentrum AidData in Virginia (USA) hat weltweit über 13’000 Projekte untersucht, für die China in den letzten achtzehn Jahren rund 800 Mrd. $ zur Verfügung gestellt hat. Fast die Hälfte dieses Betrags klassifiziert AidData als «versteckte Schulden». Seine Forscher zählen nicht weniger als 44 Länder, die China den Gegenwert von mindestens 10% ihres BIP schulden. Entsprechend folgert AidData, dass die aus der chinesischen Kreditoffensive herrührenden Schulden «beträchtlich grösser» sind, als Ratingagenturen und andere zur Überwachung eingesetzte Gremien bislang vermutet haben.
Von Bedeutung ist der Verschuldungsgrad Afrikas gegenüber China vor allem deshalb, weil viele dieser von Corona hart getroffenen Länder nicht nur die Bedingungen ihrer Schulden mit China, sondern auch ihren multilateralen Gläubigern neu aushandeln. Erst im vergangenen Jahr hatten die G-20-Länder, darunter auch China, beschlossen, den eigentlich fälligen Schuldendienst für 73 Länder auszusetzen, um deren Verbindlichkeiten zu restrukturieren. Offenbar sind jedoch viele chinesische Kreditzusagen so angelegt, dass sie nicht unter die Übereinkunft fallen.
Kräfteverhältnis in Schieflage
Als Reaktion auf die vertrackte Lage hat sich das Tempo der Kreditvergabe für das chinesische Mega-Infrastrukturprojekt «neue Seidenstrasse» in den vergangenen beiden Jahren deutlich verringert. Chinas grössten zwei Staatsbanken sind von der Regierung instruiert worden, mehr Projekte in China selbst zu finanzieren. Dies beschränkt im Gegenzug ihre Möglichkeit, die versprochene Summe von rund 1 Bio. $ in die Seidenstrasse zu investieren. Auch haben die USA eine G-7-Initiative gestartet, die Chinas Dominanz im Rahmen der internationalen Finanzierungshilfe zu brechen versucht. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Seidenstrasse von der jüngsten Trübung im chinesisch-afrikanischen Verhältnis in Mitleidenschaft gezogen worden ist.
Symptomatisch dafür ist auch ein Projekt der Chinesen im westafrikanischen Sierra Leone, einem der ärmsten Länder der Welt, das trotz seiner geografischen Distanz zur Seidenstrasse dennoch dazugehört. China will hier für 55 Mio. $ einen dringend benötigten Hafen für die Fischereiflotte des Landes bauen. Allerdings ist das Vorhaben aus Umweltgründen (und auch wegen der offenbar illegalen Ausbeutung der Fischgründe vor der Küste Sierra Leones durch die Chinesen) heftig umstritten. Viele Einheimische befürchten, dass sich China ohne jede Rücksicht die reichen Ressourcen Sierra Leones sichern will. Um dem Stimmungsumschwung entgegenzuwirken, hat China seit Beginn der Coronapandemie Impfstoff und andere Medikamente für rund 250’000 Einwohner des Landes geliefert, allerdings ohne Erfolg. Hatten 2015 noch 55% der Menschen dort den chinesischen Einfluss als positiv beschrieben, waren es im vergangenen Jahr gerade noch 40%.
Der Wandel in Sierra Leone ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass Chinas Engagement in Afrika inzwischen von den Betroffenen kritischer beobachtet wird als zuvor. Dass dies letzten Endes auch zu mehr Transparenz in den Vereinbarungen führt, bleibt zu bezweifeln. Viele afrikanische Länder sind intern einfach noch immer zu schwach und auf Hilfe angewiesen, um China wirksam Paroli bieten zu können.
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China büsst in Afrika an Kredit ein
Pekings durchaus eigennütziges wirtschaftliches und finanzielles Engagement in Afrika wird inzwischen in vielen Staaten des Kontinents zunehmend kritisch beobachtet. Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler.