Ich war kürzlich in Peking, als die chinesische Regierung eine vorläufige Zusammenfassung ihres dreizehnten Fünfjahresplans veröffentlicht hat. Um zu verstehen, wohin China sich im Zeitraum von 2016 bis 2020 entwickelt, ist dies ein wichtiges Dokument. Aber trotzdem sind die chinesischen Fünfjahrespläne nicht mehr das, was sie einmal waren.
Die chinesische Wirtschaft ist nicht mehr das staatseigene und staatlich verwaltete System, das sie war, als ich das Land vor über dreissig Jahren zum ersten Mal besuchte. Damals gab es keine Privatunternehmen, und ausser für die Regierung oder staatseigene Betriebe war es illegal, jemanden einzustellen. Heute sind nur noch 20% der Arbeitnehmer in China für Staatsunternehmen tätig. Der Rest der chinesischen Wirtschaft ist dynamisch, dezentralisiert und in Privatbesitz. Amerikanische multinationale Konzerne und andere ausländische Unternehmen sind ein wichtiger Teil der Wirtschaftsszene.
Also ist der Fünfjahresplan kein detaillierter Entwurf der industriellen Expansion mehr, sondern gibt ein Bild davon, was die chinesische Führung unter der Leitung der Regierung zu erreichen hofft. Das Ziel ist, den allgemeinen Lebensstandard zu verbessern – ein mittelstarkes Wachstum zu erreichen, den Konsumanteil am BIP zu erhöhen und die Qualität von Luft und Wasser zu verbessern. Dies soll durch eine Kombination von Geld- und Haushaltspolitik nach westlichem Stil, staatlich finanzierter Infrastrukturentwicklung und Veränderungen bei der Regulierung des Umweltbereichs und anderer Sektoren erreicht werden.
Ehrgeiziges Ziel von 6,5% Wachstum
Eines der Hauptziele wurde bereits 2010 aufgestellt: bis 2020 das reale BIP und die persönlichen Realeinkommen zu verdoppeln. Die Regierung schätzt nun offiziell, dass zum Erreichen dieses Ziels das BIP in den nächsten fünf Jahren jährlich durchschnittlich um 6,5% wachsen muss. Angesichts dessen, dass China mit einem Pro-Kopf-BIP von nur etwa einem Viertel desjenigen der Vereinigten Staaten immer noch ein relativ armes Land ist, ist solch ein schnelles Wachstum sicherlich nicht unmöglich.
Aber viele Beobachter betrachten die offiziellen BIP-Daten des Landes mit Skepsis und bezweifeln die Fähigkeit Chinas, ein Wachstum von 6,5% aufrechtzuerhalten. Diese Skepsis spiegelt einige aktuelle Nachrichten, die auf Leistungsschwäche in Teilen der chinesischen Wirtschaft schliessen lassen – beispielsweise Schlagzeilen über geringere Industrieproduktion, einen Rückgang der Produktexporte und Schliessungen in bestimmten Industriezweigen.
Obwohl ich nicht behaupten kann, ein Experte für chinesische Wirtschaftsstatistiken zu sein, glaube ich, dass diese Schlagzeilen eine natürliche, aber irreführende Folge der absichtlichen Bemühungen der Behörden sind, Chinas Wirtschaftsstruktur weg von industrieller Expansion und Exporten hin zu einem Schwerpunkt auf Dienstleistungen und Haushaltskonsum zu führen. Chinesische Wirtschaftsexperten sagen, die Wirtschaftsleistung des Dienstleistungssektors wachse schnell genug, um das schwache Wachstum der Industrieproduktion von 5% oder sogar weniger auszugleichen. So könne ein allgemeines Gesamtwachstum von etwa 7% erreicht werden.
Anteil der Erwerbstätigen stagniert -
Aber sogar wenn das jährliche Wachstum momentan tatsächlich etwa 7% beträgt, wird eine jährliche Rate von 6,5% für die nächsten fünf Jahre aus mindestens vier Gründen eine Herausforderung darstellen: Erstens führt Chinas Übergang von der Schwerindustrie hin zu Dienstleistungen zu weniger Produktivität pro Arbeiter und geringerer Kontrolle durch die Zentralregierung. Gleichzeitig absorbieren die Umweltmassnahmen, die zur Verbesserung der Luft- und der Wasserqualität dringend benötigt werden, Ressourcen und bremsen das Wachstum. Und Präsident Xi Jinpings Razzien gegen Korruption hatten den Nebeneffekt, dass die Entscheidungsfindung verzögert und neue Projekte gebremst wurden.
Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt ist, dass der Bevölkerungsanteil der Personen im arbeitsfähigen Alter nicht mehr wächst – ein Ergebnis der 35 Jahre langen Politik, die den meisten Familien nicht mehr als ein Kind erlaubt hat. Die Regierung hat zwar kürzlich die Einkindgrenze durch eine Zweikindergrenze ersetzt, aber bis dies zu einer Vergrösserung der Arbeitsbevölkerung führt, werden fast zwei Jahrzehnte vergehen. Bis dahin kann die Wachstumsrate der effektiv erwerbstätigen Bevölkerung nur durch die Versetzung von Arbeitern aus der wenig produktiven Landwirtschaft in eine städtische Arbeitsumgebung erhöht werden.
Daher denkt die chinesische Regierung über verschiedene Massnahmen zur Beschleunigung der Urbanisierung nach, darunter die Gründung mehrerer neuer Grossstädte, um dort einige der 600 Mio. Menschen zu beheimaten, die immer noch im ländlichen Raum leben. Ebenso wird die Regierung das Hukou-System der Aufenthaltsgenehmigungen abschaffen, durch das den Migranten in den Städten bislang Gesundheits- und Ausbildungsleistungen vorenthalten wurden.
Vom Land in die Städte -
Eine dritte Richtungsänderung bei der Förderung der Urbanisierung wird darin bestehen, chinesischen Bauern zu ermöglichen, ihr Land zu realistischen Marktpreisen zu verkaufen, und damit ihren Anreiz zu vergrössern, Kasse zu machen und umzusiedeln. Und die Einführung eines Marktes für Mietwohnungen im westlichen Stil wird es Familien ohne Rücklagen oder Unterstützung der Eltern ermöglichen, in die Stadt zu ziehen (wo sie bislang ihre Wohnung kaufen mussten).
Damit sich die städtische Erwerbsbevölkerung in den nächsten fünf Jahren vergrössert, müssen nicht alle dieser Massnahmen erfolgreich sein. Wenn einige von ihnen gut genug funktionieren, könnten 6,5% Wachstum in den nächsten Jahren realistisch sein.
China hat auch einige kurzfristige Probleme. In manchen zweit- und drittrangigen Städten gibt es in einigen Bereichen der Schwerindustrie und der Immobilienmärkte Überkapazitäten. Die örtlichen Regierungen haben erhebliche Schulden, die 2007 und 2008 auf Weisung der Zentralregierung aufgenommen wurden, um einen ernsten wirtschaftlichen Rückgang zu verhindern. Und das Schattenbankensystem sowie einige staatliche Banken leiden unter grossen Mengen fauler Kredite.
Glücklicherweise haben die Behörden diese Probleme erkannt und verfügen über Strategien – und, wichtiger noch, Ressourcen –, damit umzugehen. In den nächsten fünf Jahren wird die chinesische Wirtschaft nicht mehr so stark wachsen wie in den letzten Jahrzehnten. Werden die Ziele des dreizehnten Fünfjahresplans aber erreicht, können sich die Chinesen auf eine Zeit höherer Konsumausgaben und eines höheren Lebensstandards freuen.
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Chinas jüngster Fünfjahresplan
Werden die Ziele des dreizehnten Fünfjahresplans erreicht, können sich die Chinesen auf eine Zeit höherer Konsumausgaben und eines höheren Lebensstandards freuen. Ein Kommentar von Martin Feldstein.