Sechs Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl ist nichts entschieden. Bis jetzt haben sich die Medien und die Öffentlichkeit auf die Themen der Einwanderung, des Terrorismus, der Aussenpolitik und der möglichen persönlichen Schwächen der Kandidaten konzentriert, aber weniger auf die Wirtschaftspolitik. Dies ist ein ernsthaftes Versäumnis, da es zwischen den wirtschaftspolitischen Programmen der beiden Kandidaten grundlegende Unterschiede gibt.
Nehmen wir als Erstes die Staatsausgaben: Clinton befürwortet Ausgaben für den Ausbau der Sozialversicherung (deren ungedeckte Schulden bereits jetzt höher als die Staatsschulden sind), kostenlosen Unterricht an öffentlichen Universitäten, Schuldenerleichterungen für Studenten und eine zusätzliche «öffentliche Option» für das Krankenversicherungsprogramm Affordable Care Act von 2010, auch als Obamacare bekannt. Auch will sie die Ausgaben für Präsident Barack Obamas teure Industriepolitik der grünen Energien, die bestimmte Energiequellen und sogar einzelne Unternehmen auf Kosten von anderen bevorzugt, verdoppeln.
Clinton für Progression, Trump für Senkung
Trump hingegen sagt, er wolle die Sozialversicherung so lassen, wie sie ist, Obamacare abschaffen und ersetzen sowie die Staatsausgaben effizienter und effektiver gestalten (wozu er sich allerdings nicht genauer geäussert hat).
Clinton will das US-Steuersystem progressiver machen, obwohl es bereits das progressivste System aller Industriestaaten ist. Insbesondere setzt sie sich für Erhöhungen der Erbschaftssteuer und der Besteuerungsrate für Grossverdiener ein – was auch kleine Unternehmen betrifft. Weiterhin will sie die Höhe der Einzelabzüge deckeln. Dagegen zeigt sie wenig Neigung, die Unternehmenssteuern zu senken.
Trump verspricht, Einzelpersonen und US-Unternehmen niedriger zu besteuern. Die Höhe der Unternehmenssteuern beträgt in den USA momentan 35%, was der höchste Wert aller OECD-Staaten ist. Trump setzt sich dafür ein, sie auf unterdurchschnittliche 15% zu senken, wobei die Unternehmensinvestitionen im ersten Jahr vollständig abgeschrieben werden könnten.
Beide eine Gefahr für den Freihandel
Im Handelsbereich spricht sich Clinton nach einer Kehrtwende jetzt gegen die Transpazifische Partnerschaft aus, ein multinationales Handelsabkommen, das zwischen der Obama-Regierung und elf anderen pazifischen Anrainerstaaten ausgehandelt wurde. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann, der während seiner Präsidentschaft Freihandelsabkommen unterstützt und unterschrieben hat, steht Clinton dem protektionistischen Flügel der Demokratischen Partei näher.
Clintons Einstellung zum Handel ist nicht zu empfehlen, aber die von Trump ist noch schlimmer. Unter anderem hat er gedroht, Handelskriege gegen China und Mexiko zu führen, und er sagt, er wolle die bestehenden US-Handelsabkommen neu aushandeln. Dass Clinton und Trump den Arbeitnehmern der Unter- und der Mittelklasse, die von der Globalisierung abgehängt wurden, eine Stimme geben wollen, ist nur verständlich. Aber die beste politische Antwort besteht nicht im Protektionismus (bei dem es noch mehr Menschen schlechter gehen würde), sondern in der Unterstützung entlassener Arbeiter.
Und schliesslich weichen Clinton und Trump bei den Themen der defizitfinanzierten Ausgaben und der Staatsschulden voneinander ab: Clintons Ausweitung der Sozialversicherung und andere Ausgaben sowie ihre Pläne, das Obamacare-Gesundheitssystem zu vertiefen, ohne die (vermutlich stark steigenden) Kosten zukünftiger Ansprüche zu begrenzen, lassen darauf schliessen, dass während ihrer Präsidentschaft weiterhin grosse Defizite entstehen würden. Damit bleibt sie weit hinter ihrem Ehemann zurück: Bill Clinton hat in seinen letzten Jahren als Präsident mit einem von Republikanern kontrollierten Kongress zusammengearbeitet, um den Haushalt auszugleichen.
Es drohen Defizite
Trump hat kürzlich die Haushaltskosten seiner vorgeschlagenen Steuersenkungen reduziert, um sie stärker an die Ziele der republikanischen Gesetzgeber anzugleichen. Selbst wenn seine Steuererleichterungen bereits das erhöhte Steueraufkommen durch Wirtschaftswachstum berücksichtigen, müsste er sie immer noch mit Kontrollen der Ausgaben und besonders der Ansprüche aus den Sozialversicherungen koppeln. Andernfalls könnte auch eine Trump-Präsidentschaft zu ernsthaften Verschuldungsproblemen führen.
Ein Vorschlag, den die beiden Kandidaten gemeinsam haben, enthält massive Ausgaben für Infrastruktur. Auch wenn dies für eine Regierung teilweise angemessen ist, kann keiner der Kandidaten garantieren, dass das Geld nicht in Bürokratie oder Vetternwirtschaft versickert. Die Vereinigten Staaten können es sich nicht leisten, die exzessiven Stimulusausgaben der «Spatenstichpolitik» der Obama-Regierung zu wiederholen.
Alles in allem bevorzugt Clinton Umverteilung gegenüber Wirtschaftswachstum, während Trump wachstumsorientierter ist. Das Wachstum der USA ist von globaler Bedeutung, da es durch den Konsum und den Handel des Landes die Wirtschaft auch anderswo wachsen lässt. Aber die beiden primären Wachstumsquellen, Produktivitätszuwachs und Arbeitseinsatz (bspw. die insgesamt gearbeiteten Personenstunden), sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die US-Wirtschaft ist während der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg jährlich durchschnittlich 3% gewachsen, aber in den vergangenen zehn Jahren wurde dieser Wert noch nicht einmal für drei aufeinanderfolgende Quartale erreicht.
Unentschlossene misstrauen Clinton wie auch Trump
Für das lahmende Produktivitätswachstum gibt es unterschiedliche Erklärungen. Der Ökonom Robert Gordon von der Northwestern University behauptet, die technologischen Innovationen trügen heute weniger zum Wirtschaftswachstum bei als die früheren Durchbrüche in den Bereichen die Elektrizität, der Eisenbahn, des Flugverkehrs und der Computertechnologie. Der Ökonom Lawrence Summers von der Harvard University verweist wiederum auf die «säkulare Stagnation», einen Begriff, der in den Dreissigern von Alvin Hansen geprägt wurde, um langfristige Nachfrageschwäche und einen Mangel an profitablen Investitionsmöglichkeiten zu beschreiben. Meine eigene Meinung ist, dass die Unternehmensinvestitionen, die Neugründungen und der Arbeitsmarkt durch schlechte Wirtschaftspolitik beeinträchtigt wurden.
Umfragen zeigen, dass unentschlossene Wähler beiden Kandidaten zutiefst misstrauen. Um gewählt zu werden und tatsächlich das Mandat zur Umsetzung ihrer Agenda zu bekommen, muss Clinton transparenter werden und sich ehrlicher zu ihren vergangenen Fehlern bekennen. Und in der Wirtschaftspolitik sollte sie sich in die Mitte bewegen – hin zu wachstumsorientierten Massnahmen und weg von den linken Positionen, die sie sich während ihrer Vorwahlkampagne gegen Senator Bernie Sanders angeeignet hat. Trump wiederum muss Bescheidenheit und Integrationsfähigkeit zeigen und sich bei Themen, bei denen es ihm an Erfahrung mangelt, für Ratschläge von anderen öffnen.
Während die Republikaner sich um die Kontrolle im Senat mit den Demokraten ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern könnten, werden sie im Repräsentantenhaus wahrscheinlich die Mehrheit behalten. Daher wird es bei vielen politischen Themen auf Paul Ryan, den Sprecher des Hauses, ankommen. Gegenüber Clintons Politik wäre er wahrscheinlich ein Gegengewicht – und manchmal ein Partner –, während er sich gegenüber Trump dauerhaft als Partner erweisen könnte.
Copyright: Project Syndicate.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Clintonomics gegen Trumponomics
Zwischen den wirtschaftspolitischen Programmen der beiden Kandidaten für die US-Präsidentschaft gibt es grundlegende Unterschiede. Ein Kommentar von Michael J. Boskin.