Bei der Diskussion der gegenwärtigen Währungslage, die nach Aussage der Schweizerischen Nationalbank (SNB) weiterhin durch eine Überbewertung des Frankens gekennzeichnet ist, wird oft nur eine relativ kurzfristige oder bestenfalls mittelfristige Betrachtungsweise verwendet. Das ist sicherlich für viele Fragen wie etwa der Berechtigung der Aufgabe der Untergrenze für den Euro oder die gegenwärtigen Interventionen der SNB am Devisenmarkt gerechtfertigt.
Aber ist diese Entwicklung tatsächlich nur der zu expansiven Zins- und Geldpolitik der führenden Zentralbanken, also des Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB), zur Bekämpfung der Krise seit 2008 geschuldet? Oder spielen langfristig auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle? Zu betonen ist sicherlich, dass die Krisenbekämpfungen durch Fed und EZB eine entscheidende Rolle für den begrenzten Reaktionsspielraum der SNB gespielt haben und noch immer spielen. Durch diese Politik befindet sich das Weltwährungssystem in einer einmaligen Lage, denn
1. es hat noch nie negative nominale Zinsen gegeben (ausser in der Schweiz der 1970er-Jahre, doch diese waren auf ausländische Zuflüsse begrenzt);
2. die Zunahme der Zentralbankgeldmenge M0 (Banknotenumlauf und kurzfristige Einlagen der Banken bei der Zentralbank) in führenden Ländern hat ein Ausmass erreicht, wie es sonst nur vor Hoch- und Hyperinflationen beobachtet wurde.
3. Dagegen ist die weitere Geldmenge M2 (Banknoten und Girokonten bei Banken), die Haushalte und Unternehmungen (ohne Banken) benutzen, bisher nur in einem normalen Ausmass gewachsen.
4. Daraus folgt, dass der Geldschöpfungsmultiplikator m=M2/M0 einen Tiefstand erreicht hat wie vorher nur in der Grossen Depression, gar tiefer als damals.
Alle diese aussergewöhnlichen Gegebenheiten sind überwiegend auf die Politik der führenden Zentralbanken zurückzuführen. Sie bedeuten zusammen, dass es zwar derzeit keine nennenswerte Inflation gibt (ausser bei Immobilien, Aktien und Kunstwerken), mit einer höheren allgemeinen Inflation aber bei einem Umschlagen der Erwartungen zu rechnen ist, falls die Zentralbanken, angeführt vom Fed, nicht rechtzeitig und ausreichend ihre Zinsen erhöhen und M0 auf ein normales Mass zurückführen. Ob dies aber geschehen wird, muss angesichts der hohen Defizite und des Schuldenstands führender Länder bezweifelt werden; es ist erheblicher politischer und psychologischer Druck gegen eine ausreichende Erhöhung der Zinsen zu erwarten.
Es fragt sich jedoch, ob allein die angegebenen bedeutsamen Eingriffe von Fed und EZB seit der Krise ab 2008 für die Überbewertung des Frankens und die Notwendigkeit der hohen Interventionen der SNB am Devisenmarkt, um diese Überbewertung in Grenzen zu halten, verantwortlich sind. Das ist sicherlich nicht der Fall. Vielmehr hat schon der frühere EZB-Präsident Trichet 2007 lobend hervorgehoben, dass es der SNB gelungen sei, seit ihrem Bestehen die geringste Inflationsrate aller Länder zu erreichen.
Angesichts der daraus folgenden, im Vergleich zu anderen Währungen grösseren Wertbeständigkeit des Frankens kann es nicht überraschen, dass sich immer wieder die Notwendigkeit ergibt, zum einen eine gewisse Aufwertung des Frankens zuzulassen und zum anderen, am Devisenmarkt durch Aufkäufe schwächerer Währungen einzugreifen, um den Überbewertungsdruck mit Rücksicht auf die reale Wirtschaft in solchen Grenzen zu halten, die durch Innovationen und Effizienzsteigerungen noch erträglich sind.
Entsprechend diesen Überlegungen ist zu erwarten, dass die Reserven der SNB eine langfristige Wachstumstendenz zeigen sollten. Dies müsste besonders seit 1973 der Fall sein, als die SNB aufgrund der Aufgabe der Bindung des Dollars an das Gold zu flexiblen Wechselkursen übergehen musste. Nebenstehende Grafik bestätigt die Richtigkeit dieser Vermutung. Bis 1972 waren die Goldreserven der SNB stetig gewachsen, wurden jedoch bis 1999 nicht zum Marktwert verbucht; in der Grafik ist diese Umrechnung erfolgt.
Ferner ist zu beachten, dass ab 2001 auf Vorschlag des damaligen SNB-Präsidenten Hans Meyer mit Zustimmung des Bundesrats sukzessive die sogenannten überflüssigen Goldreserven verkauft wurden. Rechts in der Abbildung ist daher der Wert der Goldreserven ohne den Verkauf dieser 1300 Tonnen angegeben. Abgesehen von den grossen Schwankungen des Goldpreises zeigt sich also, dass die gesamten SNB-Reserven schon von 1973 bis 2008 stetig gewachsen sind. Ohne dieses Wachstum wäre der Franken schon vor der gegenwärtigen Krise stärker gestiegen.
Es zeigt sich somit, dass das Dilemma der SNB zwischen Überbewertung des Frankens und Erhöhung der Reserven keineswegs auf die gegenwärtige Krise beschränkt ist, sondern auch durch ihre erfolgreiche Inflationsbekämpfung mitbedingt ist. Die Entwicklung hat nur durch die verfehlte Zins- und Geldmengenpolitik des Fed und der EZB in der Krise ihre volle Dramatik erhalten.
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Das Dilemma der Schweizerischen Nationalbank
Die SNB muss zwischen Überbewertung des Frankens und Erhöhung der Reserven lavieren – nicht erst seit 2008. Ein Kommentar von Peter Bernholz.