Dass Kommunikation in den vergangenen Jahrzehnten in der Gestaltung von Geldpolitik eine immer strategischere Bedeutung angenommen hat, ist unwiderlegbar.
Dabei ist teilweise noch fraglich, inwiefern sich damit internationale Finanzmärkte lenken und Erwartungen von Wirtschaftsakteuren beeinflussen liessen oder ob Effektivität à la Alan Greenspan überhaupt lernbar (oder nur personenabhängig) ist.
Jedenfalls sind Entscheidungsträger aus Wirtschafts- und Finanzwelt seit je besonders darauf bedacht, ausgeklügelte Kommunikationskanäle auszumachen, denen letztendlich die gewünschten Botschaften für die jeweiligen Ansprechkategorien anvertraut werden sollten.
Die europäische Schuldenkrise (2009 bis 2014), die in verschiedenen Peripheriestaaten des alten Kontinents immer noch fortwährt, hat dennoch unmissverständlich, aber genauso vernachlässigterweise gezeigt, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) ein massives Kommunikationsproblem hat, das sich in erster Linie aus der Vielzahl (achtzehn) ihrer Mitgliedländer ergibt. In dieser Hinsicht wäre es zudem blauäugig, die Europäische Zentralbank (EZB) als einzige (oder zumindest als die wichtigste) Stimme in geldpolitischen Angelegenheiten zu verstehen.
Wie die empirische Evidenz nämlich öfters bewiesen hat, widersprechen Politiker oder Notenbanker von Mitgliednationen EZB-Ankündigungen häufig öffentlich, was bei den meisten Wirtschaftssubjekten das diffuse Gefühl von Verwirrung, Zerrissenheit oder Spannungen unter europäischen Entscheidungsträgern selbst hervorruft.
Zum Beispiel hat man erstaunlicherweise (aufgrund der potenziellen negativen Effekte) nie einen Hehl daraus gemacht, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der die wohl mächtigste Notenbank des europäischen Währungsraums vertritt, weite Teile der EZB-Geldpolitik unter Mario Draghis Vorsitz nicht unterstütze.
Diese öffentlich ausgetragene Konfliktsituation hat zudem entschieden nicht dazu beigetragen, Zweifel darüber zu zerstreuen, ob Massnahmen zur Stabilisierung oder gar Rettung der gemeinsamen Währung tatsächlich von allen Wirtschaftsakteuren – die Deutsche Bundesbank war im Jahr 2012 mit einer fast 19%igen Kapitalbeteiligung der wichtigste Miteigner der EZB – getragen werden würden.
Es entsteht Misstrauen
Unklar bleibt also weiterhin, wer sich an Investoren, Sparer und Finanzhasardeure wenden und welche Botschaft er dann auch vermitteln sollte. Das Wer-sagt-was-Problem, das der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, als Mangel an «verbaler Disziplin» bezeichnet hat und das nun als «Fehlen von Einstimmigkeit» (Univocity) umschrieben werden kann, ist aber nichts Geringeres als eine tickende Zeitbombe, da es die Reputation und die Glaubwürdigkeit europäischer Institutionen schmälert.
Für keine Zentralbank der Welt sind Führungs- und Wirkungsschwäche mit einem positiven Image vereinbare Begriffe, sondern sie stellen vielmehr ein mögliches GAU-Szenario dar.
Dass ein logischer Kausalnexus zwischen schlechter und/oder widersprüchlicher Kommunikation und Misstrauen gegen das Europaprojekt insgesamt, Instabilität in puncto Aktienkurse oder sogar wiederkehrenden Panikwellen an den internationalen Finanzmärkten (wie z. B. im Fall der 2012 klaffenden Spanne zwischen Renditen deutscher Bundesanleihen und Staatsanleihen aus kriselnden Euroländern) besteht, ist erwiesen, wie auch zahlreiche wissenschaftliche Studien nun belegt haben.
Die unter anderer Gestalt andauernde Eurokrise wäre vermutlich nicht so dramatisch eskaliert, wenn es eine von den Mitgliedländern der Währungsunion gemeinsam festgelegte Kommunikationsstrategie gegeben hätte, die klar und gemeinschaftlich bestimmt hätte, welche Schritte – egal, ob sie sich im Nachhinein als wirksam (oder nicht) herausgestellt hätten – ergriffen werden sollten.
«Kunden» laufen davon
Selbstverständlich dürfte Kommunikationseinstimmigkeit kein Synonym für weniger Meinungsfreiheit sein, mit der europäische Entscheidungsträger hingegen konsequenzbewusster umgehen sollten. Konflikte und Dissens müssten also dem europäischen Wohle zugute im Vorfeld bzw. hinter den Kulissen beredet und keinesfalls öffentlich ausgetragen werden.
Was beispielsweise für Ärzte, Piloten oder Restaurantbetreiber gilt, die sich idealerweise keine Unschlüssigkeit oder Überforderung gegenüber ihrer Kundschaft anmerken lassen sollten, ist umso unerlässlicher für die Mitgestalter europäischer Wirtschaftspolitik.
Kein Klein-, Mittel- oder Grossunternehmen könnte sich nämlich auf Dauer widersprüchliche Ansagen leisten – die Kundschaft würde ihm daraufhin gnadenlos davonlaufen. Dass ein solcher Kundenrückgang auf öffentlicher Ebene nicht möglich ist, ist dennoch kein Grund zur Entspannung. Im Gegenteil: Misstrauen, Skepsis, Unmut oder sogar Sensibilisierungserscheinungen bei den Wirtschaftssubjekten sind nämlich weitaus destabilisierender als jede Schrumpfung der Kundenbasis.
Neben strukturellen Wirtschaftsreformen braucht die Eurozone letztendlich also mehr Einfühlungsvermögen für psychologisch komplexe Aspekte (Hard Aspects, Soft Aspects), die im Zeitalter ständiger und durchgreifender Kommunikation von entscheidender Wichtigkeit geworden sind.
Falls es der Europäischen Zentralbank hingegen nicht bald gelingen sollte, einstimmige Botschaften zu vermitteln, würde schon jetzt naheliegen, dass der (sich bereits abschwächende) Effekt ihrer Ankündigungen angesichts der Vielfalt an Wirtschaftsproblemen in den verschiedenen Mitgliedländern noch mehr nachlassen würde.
Dabei ist eins bereits ersichtlich: In der nächsten Wirtschaftskrise könnte dies der Anfang vom jähen Ende des europäischen Währungsprojekts sein, das schon jetzt auf tönernen Füssen steht.
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Das europäische Wer-sagt-was-Problem
Das Fehlen von Einstimmigkeit und Kohärenz europäischer Kommunikation entpuppt sich zunehmend als Bedrohung für die EZB und die Überlebensfähigkeit der Währungsunion. Ein Kommentar von Edoardo Beretta.