Das Risiko einer Deflation in Europa steigt
In der Eurozone rutscht die Inflation auf durchschnittlich 0,5%. Spanien, Portugal und Griechenland weisen negative Raten auf. Die EZB betont, die Inflationserwartungen seien genügend hoch. Stimmt das?

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist bereit, ihre Bilanz massiv auszuweiten und Anleihen auf dem Kapitalmarkt aufzukaufen, sollte die Inflationsrate im Euroraum länger als erwartet zu tief ausfallen. Seit EZB-Chef Mario Draghi Anfang des Monats diese Erklärung abgegeben hat, verhalten sich die Anleihenmärkte so, als ob der 66-jährige Notenbanker den Startschuss für die Aufkäufe bereits gegeben hätte. Die Renditen sind markant gesunken. Investoren rechnen offenbar damit, dass das Bondsegment bald gestützt wird.
Aber wie gross ist die Deflationsgefahr tatsächlich? Im März ist die Inflationsrate von 0,7 auf 0,5% gefallen. Nach dem überraschenden Rückgang unter 1% im Oktober, auf den die EZB mit einer Leitzinssenkung reagiert hatte, hatten sich die Konsumpreise seitwärts bewegt. Dass sie nun ein weiteres Mal so deutlich tiefer ausgefallen sind, erinnert an die Ereignisse vom Herbst. Auch die Kernrate ohne die volatilen Energiepreise liegt nun mit 0,8% deutlich tiefer.
Minusinflation herrschte im März, abgesehen von Griechenland und Zypern, auch in Portugal und Spanien.
In Italien blieb die Teuerungsrate im Plus – mit 0,3% aber nur knapp. Was die Situation erschwert: In den wirtschaftlich prosperierenden Ländern ist sie nicht hoch genug, um den Euro-Durchschnitt an das Inflationsziel der EZB von knapp 2% heranzuführen. Deutschlands Konsumpreise liegen nur 1% über dem Vorjahreswert.
Gefahrenherd wird grösser
Die Deflationsherde beschränken sich nicht mehr nur auf die kleinen Länder der Europeripherie. Ein vom Researchteam der Bank Barclays berechneter Index, der die Anfälligkeit für Deflation misst, zeigt, dass auch Italien zu den Ländern zählt, in denen die Gefahr inzwischen gross ist. Und selbst für Frankreich bewegt sich der Index in Richtung Gefahrenzone. Italien und Frankreich machen im Euro-Inflationskorb fast 40% aus, können die Gesamtteuerung also markant beeinflussen. «In beiden Ländern haben die Regierungen Reformmassnahmen angekündigt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern», betont François Cabeau von der britischen Bank. In den kommenden Quartalen könnten die Teuerungsraten also tiefer ausfallen. Potenzial ist reichlich vorhanden. Der geschützte Tertiärsektor in Italien beispielsweise: Staatlich administrierte Preise für Dienstleistungen lagen im März 4% über dem Vorjahr.
Solange die Inflationserwartungen fest verankert bleiben, ist alles unter Kontrolle, argumentiert die EZB. In ihren Augen ist das der Fall. Tatsächlich gehen fast alle Konjunkturforscher davon aus, dass sich die Teuerung im laufenden Jahr erholen wird. Mit Ausnahme Griechenlands wird für kein anderes Land der Eurozone eine negative Teuerung im Jahresdurchschnitt prognostiziert. Der IWF geht davon aus, dass Ende 2013 auch in Hellas das Minuszeichen verschwindet. Die Konsumentenpreise sollen dann nur noch stagnieren. Später würden sie steigen.
«Fest verankert» heisst, dass die mittel- bis langfristigen Erwartungen einer Inflationsrate von nahe, aber unter 2% entsprechen. Die EZB orientiert sich dabei, abgesehen von den Prognosen der Konjunkturforscher, an den Kursen von Inflationsderivaten: Inflationsswaps und inflationsgeschützten Anleihen. Letztere liefern die sogenannte Break-even-Inflationsrate, die sich aus der Differenz zwischen den Renditen «normaler» nominaler Anleihen und denen vergleichbarer inflationsindexierter Anleihen der gleichen Laufzeit ableitet. Spricht die EZB von der längerfristigen Inflationserwartung, meint sie die fünfjährige Termin-Break-even-Inflation in fünf Jahren. Sie misst die für einen Fünfjahreszeitraum in fünf Jahren erwartete Teuerung. Ihr Vorteil: Sie ist nicht von kurzfristigen Marktschwankungen betroffen. Das Gleiche gilt für fünfjährige inflationsgebundene Swaps in fünf Jahren.
Diese Fünfjahreserwartungen sind in den vergangenen Monaten zwar gesunken.
Aber sie befinden sich nahe 2,1%. Damit entsprechen sie dem EZB-Inflationsziel voll und ganz. Anders sieht es hingegen bei den kürzeren Markterwartungen aus: So hat sich die anhand von Inflationsswaps gemessene Teuerungserwartung für 2016 und 2017 zuletzt spürbar nach unten bewegt. Ein Risiko, besonders wenn man auf die Erfahrung in Japan blickt.
Die EZB misst zu einseitig
Die EZB hat über die Jahre ihre Methodik zur Messung von Inflationserwartungen verbessert. Aber sie kann nur messen, was es zu messen gibt: Nach eigenen Angaben kalkuliert sie die Break-even-Inflation allein anhand deutscher und französischer Anleihen. Vor Jahren schrieb sie dazu als Rechtfertigung: «Angesichts der (…) geringen und stabilen Renditeabstände zwischen den Staatsanleihen im Euro-Währungsgebiet dürften deutsche Anleiherenditen die Zinsentwicklung im Euroraum insgesamt (…) hinreichend gut abbilden.» Davon kann heute keine Rede mehr sein. Dass die Hausökonomen trotzdem an der Methode festhalten, legt nahe, dass sie die Teuerungserwartung doch nicht so realitätsgetreu im Euroraum abbilden, wie die EZB behauptet. Es steht viel auf dem Spiel. Die rückläufigen Preise in den hoch verschuldeten wachstumsschwachen Ländern spiegeln die negativen Einkommensaussichten für Familien und Unternehmen. Setzt sich diese Erwartung erst einmal fest, geschieht genau das, wovor Wirtschaftshistoriker warnen: Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nimmt immer mehr ab.
In einem solchen Umfeld werden Aktien unter Druck geraten, warnt Cabeau. Das Geschäftsumfeld für europäische Banken würde um einiges garstiger werden. Und der Euro würde wegen des Anstiegs der Realzinsen und des zunehmenden Realzinsvorteils gegenüber dem Ausland weiter an Wert gewinnen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch