Die US-Dollarschwäche war eine der Überraschungen des Jahres 2017. Diese Entwicklung hat mich, zugegebenermassen, auf dem falschen Fuss erwischt: Ich war davon ausgegangen, angesichts der Versprechen des neuen US-Präsidenten Donald Trump und des Kongresses deute alles auf einen erstarkenden Dollar hin. Auch dass die USA einer der Lichtblicke in einem sonst trüben globalen Wirtschaftsumfeld waren, sprach für eine stärkere amerikanische Währung, ebenso wie der Umstand, dass die Notenbank Fed die ersten Schritte zur Normalisierung der Zinsen unternahm und die Bereitschaft signalisierte, mit dem Abbau ihrer Bilanz zu beginnen.
Doch es kam anders. Seit Jahresanfang hat der Dollar auf handelsgewichteter Basis fast 10% nachgegeben. Deshalb gilt es, die ursprünglichen Annahmen zu hinterfragen, um die künftige Entwicklung einschätzen zu können.
Offenkundig haben Donald Trump und der Kongress ihre Versprechen nicht eingelöst. Es gab weder die Steuersenkungen für Unternehmen und Private noch das 1-Bio.-$-Infrastrukturprogramm, das die Nachfrage hätte ankurbeln und den Dollar stärken sollen, keine Zollerhöhungen und keine Border Adjustment Tax zur Verringerung der Importe und zur Stützung der US-Währung. Viele waren im Vorfeld skeptisch, inwieweit die Regierung Trump in der Lage sein würde, ihr Wirtschaftsprogramm effektiv umzusetzen. Doch mit einem solchen Mass an Inkompetenz hatte kaum jemand gerechnet.
Wachstumsaussichten haben sich verschoben
Erst recht überraschend ist, wie sehr sich der Ausblick in Sachen Wachstum verändert hat. Die Eurozone hinkt den USA nicht länger hinterher: Im ersten Quartal 2017 hat ihre Wirtschaft annualisiert 2% expandiert, die USA kamen auf bloss 1,6%. Im zweiten Quartal hat sich das Wachstum in der Eurozone gemäss den neuesten Zahlen von Eurostat weiter beschleunigt, auf annualisiert 2,4%, die USA konnten gerade noch mithalten. Die Beschäftigungszahlen in den USA sind eindrücklich, der jüngste Employment Report zeigt für Juli einen Zuwachs von 209’000 Stellen. Doch viele davon sind niedrig bezahlte Jobs mit geringer Produktivität in der Gastronomie und verwandten Sektoren, was dem aggregierten Wirtschaftswachstum kaum Schwung verleiht.
An den Finanzmärkten hatte man sich daran gewöhnt, Europa als kranke Volkswirtschaft zu betrachten. Die jüngsten Entwicklungen lassen deshalb aufhorchen. Das Jahrzehnt von Strukturreformen zahlt sich nun aus, wie die Zunahme der Exporte in Spanien und Portugal belegt. Mit der Niederlage von Geert Wilders in den Niederlanden und dem Sieg von Emmanuel Macron in Frankreich ist die politische Unsicherheit geschwunden. Das neue Abkommen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern sowie die Hoffnung, dass Angela Merkel und Emmanuel Macron dem Projekt Europa neuen Schwung einhauchen, lassen existenzielle Sorgen um das Überleben des Euros und der Europäischen Union in den Hintergrund treten.
Wechselkurse folgen dem Wirtschaftswachstum. Die Eurozone wächst stärker als erwartet, sowohl absolut als auch relativ zu den USA. Entsprechend ist der Euro stärker als erwartet, der Dollar schwächer. Das Bindeglied zwischen Wechselkursen und Wachstumsraten sind die Zinsen. Das kräftigere Wachstum der Eurozone lässt höhere europäische Zinsen erwarten, während die schwache Wirtschaftsexpansion in den USA Zurückhaltung vonseiten des Fed suggeriert.
Zurück zur Random-Walk-Hypothese
Und da sind wir bei der letzten Überraschung: Wer erwartet hatte, das Fed werde die Zinsen weiter anheben und seine Bilanz rasch abbauen, lag falsch. Die Lohninflation enttäuscht nach wie vor, im Juli betrug sie gerade 2,5%. Angesichts des Inflationsziels des Fed von 2% müssten es eher 3 bis 3,5% sein, hat die Arbeitsproduktivität jährlich doch durchschnittlich etwas über 1% zugenommen. Zudem hat der politische Druck auf die Notenbank nachgelassen. Noch vor kurzem hat sich Präsident Trump gegenüber dem «Wall Street Journal» erneut für niedrige Zinsen ausgesprochen.
Was bedeutet das nun für den Dollar? Der Random-Walk-Ansatz suggeriert, dass die beste Prognose für den künftigen Wechselkurs die gegenwärtige Notierung ist. Bestürzt über die mangelnde Treffsicherheit meiner früheren Vorhersage, bin ich geneigt, mich nun auf die Random-Walk-Hypothese zu besinnen.
Und nicht nur das: Ich bin der Meinung, dass der gegenwärtige Euro-Dollar-Kurs durchaus zu begrüssen ist – denn alles, was ihn vom derzeitigen Level wegbewegen könnte, ist nicht erstrebenswert, wenn nicht gar schlimmer. Dazu zählt zum Beispiel eine deutliche Verlangsamung des Wachstums in Europa. Emmanuel Macron könnte mit seinen Reformplänen für den Arbeitsmarkt scheitern. Die Hoffnung auf eine Annäherung zwischen Macron und Merkel könnte enttäuscht werden. Die Fünf-Sterne-Bewegung könnte in den italienischen Wahlen besser als erwartet abschneiden. Es könnte eine neue Welle von Flüchtlingen geben und neue Probleme mit Russland. Die Brexit-Verhandlungen könnten stocken, oder die EU könnte auf Konfrontationskurs mit Polen gehen. Die Folge wären ein deutlich schwächerer Euro und ein stärkerer Dollar. Doch nichts davon sollten wir uns wünschen.
Viel Unwünschbares
Der Dollar könnte auch deshalb erstarken, weil Präsident Trump und der Kongress sich endlich auf massive unfinanzierte Steuersenkungen einigen. In einer Volkswirtschaft nahe der Vollbeschäftigung vermögen Nachfragestimuli punkto zusätzliches Angebot im Inland wenig zu bewegen. Die Nachfrage wird sich also auf billigere ausländische Güter verlagern müssen, was durch eine Dollaraufwertung erreicht würde. Donald Trump könnte zu Importbeschränkungen Zuflucht nehmen, etwa für Stahl und Aluminium. Unternehmen, die darauf angewiesen sind, würden sich dann nach inländischen Quellen umsehen. Doch in einer Volkswirtschaft, die nahe der Vollbeschäftigung operiert, wird solch zusätzliches Angebot kaum verfügbar sein. Die Unternehmen werden also auf Lieferungen aus dem Ausland ausweichen müssen – die höheren Zölle werden durch die stärkere Währung aufgewogen.
Doch auch dies ist nicht erstrebenswert. Unfinanzierte Steuersenkungen können der US-Wirtschaft zwar ein Hoch bescheren, aber um den Preis eines ernsten Schadens für den mittelfristigen Ausblick. Importbeschränkungen, die das globale Handelssystem bedrohen, werden dem Geschäft der USA mehr schaden denn nützen.
Und dann ist da noch das Risiko, dass der Konflikt mit Nordkorea weiter eskaliert. Donald Trumps Neigung, in diplomatischen Belangen aus der Hüfte zu schiessen, mag den Status des Dollars als sicherer Hafen angekratzt haben. Doch nach wie vor gilt, dass in einer diplomatischen und militärischen Krise Investoren nichts mehr schätzen als Liquidität. Und der Markt für US-Treasuries bleibt der grösste und liquideste weltweit. Ein Konflikt mit Nordkorea wäre also vorteilhaft für die US-Währung. Nur wiederum: Das ist nichts, was wir uns wünschen sollten.
Mehr vom Gleichen
Es gibt auch Szenarien, in denen der Dollar sich nicht nur nicht erholt, sondern weiter nachgibt. Man stelle sich vor, dem Kongress gelingt es nicht, im September die Schuldenobergrenze heraufzusetzen. Konservative Republikaner beteuern, der Erhöhung nur zuzustimmen, falls sie von weiteren Ausgabenkürzungen begleitet wird. Die Chancen auf eine Einigung über Kürzungen in der wenigen noch verfügbaren Zeit sind alles andere als vielversprechend. Das Schatzamt hat so gut wie alle unter solchen Umständen zur Verfügung stehenden Notmassnahmen bereits ausgeschöpft. Ein Government Shutdown und eine Aussetzung des Schuldendienstes wären dem Dollar, gelinde ausgedrückt, nicht förderlich.
Ganz zu schweigen von weiteren Enthüllungen über die Einmischung Russlands in die US-Wahlen und die Beihilfe durch hochrangige Mitglieder der Trump-Regierung. Ein Impeachment-Verfahren würde enorme Unsicherheit hervorrufen. Während des Watergate-Skandals und der Iran-Contra-Affäre hatte sich der Dollar schlecht gehalten. Sollte es neue ernsthafte Enthüllungen in Sachen Trump/Putin geben, dürften die US-Währung und die Wirtschaft in ähnlichem Masse unter die Räder kommen.
Das beste Szenario für den Dollar ist also mehr vom Gleichen. Jegliche Alternativen sind so düster, dass man daran nicht einmal denken will.
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Der konträre Dollar
Der aktuelle Euro-Dollar-Kurs ist zu begrüssen, denn alles, was ihn vom derzeitigen Niveau wegbewegen könnte, ist nicht erstrebenswert oder schlimmer. Ein Kommentar von Barry Eichengreen.