China ist an der Spitze der Weltwirtschaft angekommen, nun muss das Land die notwendigen Reformen umsetzen, um die internationalen Bestimmungen einzuhalten, denen es mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 zugestimmt hat.
Als ich 1982 zum ersten Mal nach China reiste, kam ich in einem sehr armen Land unter einem kommunistischen Regime an. Die Landwirtschaft war vollständig kollektiviert. Da die Bauern das Recht verloren hatten, eigenes Land zu bestellen, war die Produktionsleistung in der Landwirtschaft extrem niedrig. Jenseits der Landwirtschaft war individuelles Eigentum an Produktionsmitteln verboten. Eine chinesische Familie durfte zwar eine Nähmaschine für den Eigengebrauch besitzen, aber nicht zwei; sie durfte keinen Nachbarn einstellen, um bei der Herstellung von Kleidungsstücken zu helfen.
Anreizsystem und Bildung
Unter der Führung von Deng Xiaoping begann sich das zu ändern. Grundstücke wurden an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben, und diese durften den Überschuss, den sie über die staatlich vorgeschriebene Quote hinaus erwirtschafteten, behalten. Infolgedessen stieg die landwirtschaftliche Produktion dramatisch, und die Bauern verlegten sich auf eine Reihe zusätzlicher Produkte wie Blumen und Gemüse, die sie direkt an die Kunden verkauften. Die Beschränkungen hinsichtlich des Eigentums an Produktionsmitteln sowie der Einstellung von Arbeitskräften wurden nach und nach gelockert, sodass der Privatsektor mittlerweile für die Mehrheit der wirtschaftlichen Aktivität in China verantwortlich ist.
Das Ergebnis dieser Entwicklung bestand in explosionsartigem Wirtschaftswachstum und einem rasanten Anstieg des Lebensstandards. Seit 1982 betrug die jährliche Wachstumsrate des realen (inflationsbereinigten) chinesischen BIP im Schnitt über 7%. Das reale Pro-Kopf-BIP liegt mittlerweile achtzehnmal höher, wobei seit Beginn der Reformen Dengs etwa 800 Mio. Menschen aus der Armut befreit werden konnten. Obwohl die Produktionsleistung pro Kopf in China immer noch lediglich ein Viertel des amerikanischen Werts beträgt, herrscht in den grossen Städten Chinas ein beeindruckender Lebensstandard. Die glitzernden Wolkenkratzer und die vielen Geschäfte für die wohlhabenden jungen Menschen zu sehen, bedeutet, die Veränderungen anzuerkennen, die in nur wenigen Jahrzehnten stattgefunden haben.
Deng erklärte einmal: «Reich zu werden, ist ruhmreich.» Die Menschen in China haben darauf reagiert. Private Unternehmen florieren, und ein überaus aktiver Aktienmarkt ermöglicht breit gestreuten Aktienbesitz. In China gibt es offensichtlich mehr Selfmade-Milliardäre als in den Vereinigten Staaten.
Ein Hauptgrund für das rasche Wachstum Chinas ist die Kombination aus privaten Anreizen und einem effektiven Bildungssystem. China blickt auf eine uralte Tradition der Förderung der klügsten Studenten auf Basis höchst anspruchsvoller Prüfungen zurück. Die Hofbeamten, die im Dienst des Kaisers standen, wurden durch schriftliche Prüfungen über Konfuzianismus ausgewählt. Heute ist die Alphabetisierung umfassend, und in landesweiten Prüfungen wird ermittelt, wer die Spitzenuniversitäten besuchen darf. Über eine Mio. chinesischer Studenten haben in den USA ein Studium absolviert, und mehrere hochrangige Regierungsbeamte im Bereich Wirtschaft haben dort ihre Doktorarbeit verfasst.
In vielerlei Hinsicht funktioniert die chinesische Wirtschaft heute wie ein grosser multinationaler amerikanischer Konzern. Die übergeordnete Strategie wird vom Management an der Spitze vorgegeben: Wachstumsziele, der Strukturwandel von der Schwerindustrie zum Konsum, die Seidenstrasseninitiative (der Leitfaden für Exporte und Auslandhilfe) und so weiter. Die Führungskräfte werden zunächst in regionalen Städten eingesetzt und später auf Grundlage ihres Erfolgs bei der Erreichung der von nationalen Spitzenpolitikern gesetzten Ziele befördert.
Die von Präsident Xi Jinping und der aktuellen Regierung vorgegebenen Ziele bestehen darin, die Wirtschaft auf hohem Niveau weiterzuentwickeln und für die Bevölkerung einen Mittelschichtlebensstandard zu erreichen. Dafür investiert China hohe Summen in Forschung und technische Ausbildung.
Doch in seinem Bestreben, mit dem Westen gleichzuziehen, hat China auch Technologie von westlichen Unternehmen gestohlen. Unter Präsident Barack Obama beschuldigten die USA China, Netzspionage gegen amerikanische Unternehmen betrieben und deren geistiges Eigentum gestohlen zu haben. Im Jahr 2013 unterzeichneten die Präsidenten Xi und Obama eine Übereinkunft, in der festgelegt wurde, auf derartigen Diebstahl im virtuellen Raum zu verzichten.
Allerdings eignet sich China weiterhin die Technologie von US-Gesellschaften an. Das geschieht, indem man von ausländischen Unternehmen, die in China geschäftlich aktiv sein wollen, fordert, Joint Ventures mit chinesischen Firmen einzugehen, in deren Rahmen die chinesischen Partner die Technologie der US-Gesellschaften erhalten. Die Welthandelsorganisation verbietet ihren Mitgliedländern zwar, Bedingungen wie einen verpflichtenden Technologietransfer für den Marktzugang zu stellen, aber die Chinesen behaupten, verpflichtend sei gar nichts, denn die Unternehmen müssten ja nicht in China Geschäfte machen.
Unguter Technologietransfer
Das ist eindeutig unaufrichtig, und die Ankündigung umfangreicher US-Zölle auf chinesische Exporte soll China dazu bringen, die Regeln der WTO zum Technologietransfer einzuhalten. Die Botschaft scheint bei den Chinesen anzukommen. In einer Rede sagte Präsident Xi unlängst, dass China in der Automobilindustrie keine derartigen Joint Ventures mehr verlange – er räumte also implizit ein, dass diese Forderung eine Verletzung der WTO-Regeln darstellt.
Für China ist es nun Zeit, diese neue Politik auch auf andere Bereiche auszuweiten und auf die Forderung nach der Bildung von Joint Ventures gänzlich zu verzichten. Obwohl es in den USA keine derartigen Bestimmungen gibt, wäre es für beide Länder hilfreich, zu erklären, dass kein ausländisches Unternehmen ein Joint Venture eingehen oder einem Technologietransfer als Bedingung für geschäftliche Aktivitäten zustimmen muss.
China kann allein für rasches Wachstum und technologische Entwicklung sorgen. Seine derzeitige Politik führt nur zu einem ernsthaften Handelskonflikt.
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Der nächste Schritt in Chinas Wirtschaftspolitik
Peking muss auf die Forderung nach der Bildung von Joint Ventures gänzlich verzichten. Diese Politik führt nur zu einem ernsthaften Handelskonflikt. Ein Kommentar von Martin Feldstein.