Der 20. April war ein schwarzer Tag in der Ölbranche. Die-US Sorte WTI stürzte das erste Mal ins Negative: Der Schlusspreis am Montag lag bei –37 $ pro Fass. Brent verlor an jenem Tag 23% auf 19.63 $. Seither haben sich die Preise etwas erholt.
Hinter dem Preiszerfall liegen verschiedene Gründe, er reflektiert primär die makroökonomische Situation. Seit die meisten OECD-Länder sowie China und Indien in Lockdown gegangen sind, ist die Nachfrage nach Öl komplett eingebrochen. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt den Nachfragerückgang für April auf 29 Mio. Fass pro Tag (b/d) und für das zweite Quartal auf 23 Mio. b/d. Das entspricht 30% der Nachfrage von Anfang des Jahres. Diese Einschätzung dürfte angesichts der gravierenden Wirtschaftslage eher konservativ sein.
Die Produktion wurde durch ein Abkommen der Opec+ (d. h. der Opec und zehn weiterer erdölfördernder Staaten) 9,7 Mio. b/d gekürzt. Dazu kommt ein Rückgang von erwarteten 5 Mio. b/d von ölproduzierenden G-20-Staaten, die nicht zur Opec+ zählen. Dennoch hat das Überangebot zu einer Verknappung der Lagerkapazitäten geführt. Der Preisunterschied zwischen WTI und Brent erklärt sich damit, dass WTI spezifisch für die USA ist. Die Preisbildung findet in Cushing, Oklahoma, statt, wo alle Lager gefüllt oder ausgebucht sind. Die Verkäufer müssen die Abnehmer für die Zwischenlagerung bezahlen. Brent ist eine globale Sorte, die übers Meer verteilt wird und somit mehr Lagerhaltungsmöglichkeiten hat, wenngleich die Speicher in Rotterdam, Fujaira oder Singapur randvoll sind. Deshalb folgte Brent der Baisse von WTI zwar, blieb aber im positiven Bereich.
Die Finanzmärkte trugen zum Preiszerfall bei: In den vergangenen Wochen flossen Milliardenbeträge in auf Öl basierende ETF, da Investoren darauf spekulierten, dass die Preise den Tiefstpunkt erreicht hatten. Am 20. April mussten die Mai-Futures abgewickelt werden, was hiess, dass Öl für Milliardenbeträge keine Abnehmer fand. Das Zusammenspiel des realen Ölmarktes mit dem Finanzmarkt führte zum perfekten Sturm.
Das wird sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken. Die Schieferölförderer in den USA haben hohe Produktionskosten und sind hoch verschuldet. Die gegenwärtige Situation wird zu Konkursen führen, was die Kreditportfolios etlicher Banken belasten wird. Zudem werden sich manche Finanzinstitute im Geschäft mit Ölderivaten auf der falschen Seite befinden. Der Arbeitsmarkt wird auch betroffen sein, was zum Beispiel für Texas grosse Folgen haben wird.
Ölexportierende Länder werden die Situation zu spüren bekommen. Der Preiseinbruch hat eine verheerende Wirkung etwa auf Nigeria oder Angola. Die Budgets und die Reformprogramme der Golfstaaten sind stark betroffen, doch sie verfügen über Devisenreserven und werden sie u. a. dazu verwenden, den Dollar-Peg ihrer Währung zu verteidigen.
Diese Woche hat klar aufgezeigt, dass das Überangebot wegen der heruntergefahrenen Volkswirtschaften weltweit derart gross ist, dass es einer globalen Lösung bedarf. Opec+ und G-20 werden, teils durch Produktionskürzung, teils durch Produktionsrückgang wegen mangelnder Nachfrage, etwa 15 Mio. b/d aus dem Markt nehmen. Angesichts des dramatischen Nachfrageeinbruchs reicht das aber nicht aus. Die Lage wird sich nicht verbessern, bis die Weltwirtschaft wieder in Gang kommt, und wie rasch die Erholung vonstattengeht, ist ungewiss.
Diese Unsicherheit dürfte zu weiterer Volatilität im Ölmarkt führen. Selbst wenn sich die Wirtschaft erholt, ist es unsicher, wie sich das auf die Nachfrage nach Öl auswirken wird. Eine Regionalisierung von Lieferketten, mehr Telearbeit oder weniger Reisetätigkeit würden die Nachfrage nach Öl einschränken.
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Der Ölmarkt bleibt wacklig
Wann und in welchem Mass die Nachfrage sich erholen wird, ist ungewiss. Ein Kommentar von Cornelia Meyer.