Mit Donald Trump wäre das nicht passiert – meint zumindest Donald Trump. US-Präsident Joe Biden sei einfach zu schwach, sagte sein Amtsvorgänger vergangene Woche. Mit ihm dagegen im Weissen Haus hätte Russlands Machthaber Wladimir Putin niemals die Ukraine angegriffen, verkündete Trump. Um sich selbst an Perversität zu überbieten, drückte er seine Bewunderung aus für die erste Invasion einer Demokratie durch eine Diktatur in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Wer eine autokratische Bewegung in vollem Schwung beobachten will, muss dieser Tage nicht nach Osten blicken. Die USA haben längst eine solche in einer ihrer zwei grossen Parteien.
Die Republikaner – eine Partei, die Demokratie, Freiheit und die Rechte des Individuums stets zu verteidigen gelobte – sind zu einem Hort für Nationalisten, Antidemokraten und Verschwörungstheoretiker verkommen. Glühend verehren sie einen Mann, der das Ergebnis seiner Abwahl am liebsten annulliert und sich zum Alleinherrscher auf Lebenszeit erklärt hätte. Seitdem haben republikanische Abgeordnete in den US-Teilstaaten, in denen sie die Mehrheit haben, Gesetze erlassen, die es ihnen erlauben, das Ergebnis zukünftiger Präsidentschaftswahlen für ungültig zu erklären und nach ihrem Gusto umzudeuten. Die kommenden Urnengänge werden Feuerproben für die grösste Demokratie des Westens.
Auf Sanktionen gepfiffen
Längst nicht mehr das Prädikat demokratisch verdienen Abstimmungen in Putins Russland. Deshalb scheren den Machthaber in Moskau die Sanktionen des Westens nicht, auch wenn sie der russischen Wirtschaft und damit der Bevölkerung grossen Schaden zufügen. Oder haben ihn etwa die westlichen Sanktionen nach der Krim-Annexion kooperativer gestimmt? Sind die Machthaber Nordkoreas oder Irans wegen Sanktionen gesprächsbereiter geworden? Haben Sanktionen jemals einen Autokraten zum Kurswechsel bewogen, während sein Volk vor die Hunde ging?
Anders als Putin kann US-Präsident Biden das Wahlvolk nicht egal sein. Deswegen fallen die Sanktionen gegen Russland auch nicht so scharf aus, wie sie sein könnten. Biden sagt explizit, die Amerikaner, die heute schon unter einer Inflation auf Vierzigjahreshoch ächzen, sollen so wenig wie möglich getroffen werden. So werden zwar Vermögenswerte Putins und seiner Entourage im Ausland beschlagnahmt, das Land weitgehend vom internationalen Handel und Finanzverkehr abgeschnitten, doch die Hauptexportgüter, deren Boykott Putin vielleicht noch am ehesten schmerzen könnte, sind davon nicht betroffen. Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, kann Russland ungehindert in den Westen liefern, der damit das Regime in Moskau weiter finanziert.
Zwar hätten die USA hier Spielraum, denn das Land ist dank eigenem Schieferöl und -gas selbstversorgend. Die Handelsbeziehungen zu Russland und zur Ukraine sind minim. Doch werden Rohstoffpreise nicht mehr national, sondern auf dem Weltmarkt verhandelt, und Biden will auch die europäischen Verbündeten nicht mit einem Alleingang düpieren. Allen voran Deutschland und Italien sind derart stark von russischem Gas abhängig, dass ein Boykott desaströs für sie wäre. Hier rächt sich der irrige Plan der deutschen Regierungen von Schröder über Merkel bis zu Scholz, aus der Atomenergie auszusteigen und bis zur schönen, neuen Wind- und Sonnenzukunft auf das russische Diktatorengas als Brückenenergie zu setzen. Der neue Kalte Krieg könnte nun zumindest dazu führen, dass der Übergang zu erneuerbaren Energien und damit der Kampf gegen den Klimawandel intensiviert wird.
Rückkehr des «Containment»
Die USA und Europa werden schneller Alternativen zu Russlands Rohstoffen aufbauen müssen, um Lieferketten stabiler und inländische Märkte widerstandsfähiger zu machen. Doch Sanktionen, Boykotte, Protektionismus und Krieg wirken immer inflationär. Höhere Preise für Waren und Dienstleistungen in Ost wie West sind programmiert. Teuer wird auch ein neuer Rüstungswettlauf, der dieses Mal den Cyberspace mit einschliesst. Entsprechende Güter müssen jetzt uneingeschränkt in die Ukraine gehen. Alles muss unternommen werden, damit diese Demokratie nicht fällt – ausgenommen ist natürlich eine direkte Konfrontation von US-Truppen mit russischen Kräften. Auch Putin muss klar sein: Wenn Atommächte aufeinander zu feuern beginnen, stehen die Zeichen rasch auf Weltuntergang.
Die Strategie des Westens aus Tagen des alten Kalten Kriegs muss nun wieder heissen: «Containment». Autokratische Regime müssen eingehegt und, wo es geht, zurückgedrängt werden. Dafür müssen die USA überall auf der Welt alte Bündnisse – wie die Nato – stärken und neue entwickeln. Ecuador könnte als Blaupause dienen. Das südamerikanische Land verhandelt gerade mit China über Schuldenrückzahlung und wohl bald über ein Handelsabkommen. Dabei würde die Regierung in Quito viel lieber mit den USA kutschieren. Washington darf hier nicht tatenlos zusehen, sondern muss sich den Ländern Südamerikas, Asiens und Afrikas aktiver zuwenden, denn dort hinterlässt längst eine andere Diktatur mit Weltmachtanspruch zunehmend ihren gewaltigen Fussabdruck.
Der chinesische Machthaber Xi Jinping, der wohl wie Putin bis an sein Lebensende regieren will, zelebriert den Schulterschluss mit seinem Moskauer Kumpanen. Es steht zu befürchten, dass Xis Ukraine alsbald Taiwan heissen wird. Für die USA und den Westen ist diese Situation um einiges schwieriger als im alten Kalten Krieg. Damals ging es «nur» gegen eine zunehmend marode Sowjetunion, die mit dem Entwicklungsland China über Kreuz lag. Heute ist die bald weltgrösste Volkswirtschaft hungrig nach Russlands Rohstoffen und stützt das Putin-Regime so nicht nur ideologisch, sondern auch ökonomisch.
Der Westen darf China und Russland aber auch nicht als einen Block betrachten. Putin und Xi dürften sich gegenseitig nur so weit trauen, wie sie sich im Erreichen egoistischer Ziele dienlich sind. Für den Westen bietet sich hier die Chance, beide gegeneinander auszuspielen. Und noch etwas hat uns der alte Kalte Krieg gelehrt: Die Invasion anderer Länder, so unterlegen sie auch scheinen mögen, war fast immer desaströs – auch für den Aggressor. Wie einst Afghanistan für die alte Sowjetführung könnte die Ukraine für Putin der Anfang eines ausgedehnten Endes sein. Dass nach ihm eine freiheitlich gestimmte Figur die Führung übernimmt, ist allerdings zu bezweifeln. Der Westen muss sich auf einen langen, neuen Kalten Krieg einstellen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Der Westen im neuen Kalten Krieg
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine zeigt: Die USA und Europa brauchen eine neue, globale Strategie gegen die Autokraten dieser Welt. Ein Kommentar von US-Korrespondent Valentin Ade.