Die Prognose sei gewagt: Die Abschaffung des Eigenmietwerts dürfte auch im jüngsten Anlauf scheitern. Das Thema ist ein Dauerbrenner der schweizerischen Wirtschaftspolitik. Eine unübersichtliche Anzahl Versuche, die problematische Besteuerung des Eigenmietwerts abzuschaffen, ist bisher gescheitert. Trifft die Prognose zu, dürfte das Thema auf Jahre hinaus von der wirtschaftspolitischen Traktandenliste verschwinden – zum Schaden der Schweizer Wirtschaft.
Heute muss ein Haus- oder Wohnungseigentümer einen Eigenmietwert versteuern. Dieser soll der Miete entsprechen, die er für eine entsprechende Wohnung bezahlen müsste. Schon damit wird ein erstes Problemfeld klar: Die Berechnung des Eigenmietwerts – eines fiktiven Einkommens – ist uneinheitlich und letztlich willkürlich.
Das Gegenstück zur Besteuerung des Eigenmietwerts ist die Abzugsfähigkeit der Hypotherkarzinsen wie auch der Unterhaltskosten als Gewinnungskosten. Sie hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass damit ein Anreiz geschaffen wird, die Hypotheken nicht zu amortisieren. Die Folge ist eine im internationalen Vergleich rekordverdächtige Verschuldung der Privathaushalte in der Schweiz.
Systemwechsel dringlich
Deshalb schlug der Beirat Zukunft Finanzplatz Schweiz im März 2016 Alarm: Er empfahl einen Systemwechsel in der Wohneigentumsbesteuerung. Der Eigenmietwert sei abzuschaffen und mit ihm die Abzugsfähigkeit der Zinsen für die Hypothekarverschuldung. Der Beirat bezeichnete die hohe Hypothekarverschuldung als «erhebliches Risiko für die Finanzstabilität» der Schweiz. In der Folge lancierte die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) im Februar 2017 eine parlamentarische Initiative für einen Systemwechsel in der Wohneigentumsbesteuerung.
Nach mehreren Jahren der Diskussionen und Abklärungen hat die Kommission nun Ende Mai eine Vorlage beraten und verabschiedet. Sie sieht die Abschaffung des Eigenmietwerts für selbstgenutztes Wohneigentum vor. Für Zweitwohnungen fällt er jedoch nach wie vor an. Ersterwerber können, im Sinne der Förderung des Wohneigentums, einen befristeten Schuldzinsabzug geltend machen.
Abgesehen davon wird der Schuldzinsabzug für alle privaten Schulden generell verboten, also nicht nur für Hypothekarschulden. Weiter sollen die Kantone die Kompetenz erhalten, Abzüge zur Förderung von Energiespar- und Umweltschutzinvestitionen zuzulassen, gemäss auch der Energiestrategie 2050. Schliesslich sollen denkmalpflegerische Kosten weiter abzugsfähig sein.
Was auf den ersten Blick einigermassen unverfänglich daherkommen mag, ist bei näherer Betrachtung höchst problematisch. Der Jurist und frühere Steuerverwalter des Kantons Bern Bruno Knüsel macht gegenüber FuW gleich mehrfache Verstösse der Vorlage gegen die Bundesverfassung aus.
Er moniert zunächst, dass mit den unterschiedlichen Abzugsmöglichkeiten auf den Ebenen Bund und Kantone gegen die Harmonisierung der direkten Steuern von Bund und Kantonen gemäss Art. 129 BV verstossen wird. Die Harmonisierung bezieht sich nicht auf die Steuersätze, sondern auf die Bemessungsgrundlage. Dieser Grundsatz wird verletzt.
Dieses Gebot wird auch durch den vorgesehenen Abzug für Ersterwerber verletzt. Er widerspricht zusätzlich dem Gleichbehandlungsgebot. Es werden unterschiedliche Regelungen für an sich gleiche Verhältnisse geschaffen. Das widerspricht der Verfassung, lässt sich steuerrechtlich nicht begründen und ist letztlich systemfremd.
Der eigentliche Stein des Anstosses der Vorlage dürfte die vollständige Aufhebung des Abzugs für alle privaten Schuldzinsen darstellen. Knüsel sieht darin einen Verstoss gegen das Gebot der Rechtsgleichheit. Es wird ein unzulässiger Unterschied in der Besteuerung von natürlichen und juristischen Personen geschaffen. Von rechtsformneutraler Besteuerung kann keine Rede mehr sein.
Juristische Personen dürfen Schuldzinsen weiter als geschäftsmässig begründeten Aufwand absetzen. Wer privat einen Liegenschaftsertrag erzielt, muss ihn weiter versteuern, darf aber die Gewinnungskosten nicht mehr absetzen. Das widerspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung gemäss der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die unterschiedliche Behandlung von selbst genutzten Liegenschaften und von Zweitwohnungen. Auch hier wird das Gleichheitsgebot verletzt. Knüsel spricht von einer Zweitwohnungssteuer, die sich steuersystematisch nicht erklären lasse. Der Zweitwohnungsbesitzer muss also weiterhin den Eigenmietwert seiner Zweitwohnung versteuern, darf aber keine Abzüge mehr geltend machen – das ist stossend.
Gegen das Verbot des Abzugs von privaten Schuldzinsen setzt sich auch der Hauseigentümerverband Schweiz (HEV) zur Wehr. Es verstosse gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der HEV bezeichnet diese Regelung als «inakzeptabel» und auch als verfassungswidrig.
Knüsel sieht noch einen weiteren Punkt, der der Verfassung widerspricht. Die Abschaffung des Schuldzinsabzugs sei auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie gemäss Art. 26 BV. Diese Abschaffung führe zu einer «konfiskatorischen Besteuerung der Vermieter und der Zweitwohnungsbesitzer». Es sei nicht nachvollziehbar, warum alle Schuldzinsabzüge verboten werden sollen.
Falscher Perfektionismus
Mit ihrem Vorschlag ist die WAK-S erneut der Versuchung erlegen, möglichst alle Eventualitäten im Gesetz zu regeln. Entstanden ist ein komplizierter, interventionistischer, nicht widerspruchsfreier und insbesondere nicht verfassungskonformer Vorschlag.
Schon der erwähnte Bericht des Beirats Zukunft Finanzplatz Schweiz hatte betont, dass der Systemwechsel möglichst «rein» sein müsse. Das heisst, die Abschaffung des Eigenmietwerts soll nur mit der Aufhebung des Abzugs von Schuldzinsen für Hypothekarkredite sowie von Unterhaltskosten und energetischen Sanierungen verbunden sein. Dies wiederum würde jedoch den Zielen der Energiewende widersprechen.
Der Vorschlag der WAK-S entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als in der Sache untauglich, denn er geht viel zu weit. Zudem bricht er die Bundesverfassung gleich mehrfach – das darf nicht sein. Der Rechtsstaat Schweiz darf sich solche Gesetze nicht erlauben.
Der Gesetzesentwurf wird voraussichtlich im Herbst im Ständerat diskutiert. Ob der Rat die notwendigen Korrekturen vornimmt, bleibt offen. Hält er am Entwurf fest, ist ein Scheitern programmiert. In diesem Fall dürfte die Aufhebung des Eigenmietwerts eine Illusion bleiben.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Abschaffung des Eigenmietwerts bleibt wohl Illusion
Der Versuch der WAK-S zur Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwerts verstösst gegen die Bundesverfassung. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Peter Morf.