«Die Aktienmärkte sind überbewertet»
James Montier, Asset Allocator bei GMO, findet kaum mehr günstig bewertete Anlagen. Entsprechend rät er im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» zu einer hohen Bargeldquote.

Der für die Asset Allocation des Bostoner Vermögensverwalters GMO mitverantwortliche Brite James Montier beklagt den akuten Anlagenotstand, der durch die Nullzinspolitik der Notenbanken verursacht wurde. Entsprechend hält Montier einen hohen Bargeldbestand, setzt aber auch auf Value-Aktien aus Europa und den Schwellenländern, wie er «Finanz und Wirtschaft» verrät.
Herr Montier, finden Sie heute noch unterbewertete Anlagen? - Nein. Die Auswahl an attraktiven Anlagemöglichkeiten ist wegen der enorm expansiven Geldpolitik der namhaften Zentralbanken sehr dünn geworden. Absolut gesehen gibt es keine günstigen oder auch nur fair bewerteten Anlagen mehr. Das Höchste der Gefühle sind heute nur noch relativ attraktiv bewertete Anlagen.
Wo finden Sie sie? - Es gibt zweieinhalb Nischen, die noch einigermassen vernünftige Anlagemöglichkeiten bergen. Die halbe Opportunität sind Qualitätsaktien von Unternehmen mit hoher und stabiler Profitabilität. Weil aber auch diese Werte nicht mehr annähernd so attraktiv sind wie vor einem Jahr, haben wir mit dem graduellen Abbau dieser Positionen begonnen. Dasselbe gilt für unsere gesamte Aktienquote, die wir bereits um fünf Prozentpunkte reduziert haben und bis Ende Jahr schrittweise von heute 50 auf 39% abbauen wollen.
Wo sind die anderen Nischen? - Europäische Value-Aktien sind noch einigermassen attraktiv, auch wenn die Sorge über eine mögliche Deflation in der Eurozone zunimmt. Das kann ein grosses Problem für europäische Titel werden, weil in einem deflationären Umfeld die Realzinsen und die reale Verschuldung steigen.
Was verstehen Sie unter europäischen Value-Aktien? - Momentan sind das vor allem die Sektoren Versorger, Öl und Gas sowie teilweise Telecom und Industrie. Wir mögen Werte wie Total, BP, Royal Dutch und Telefónica. Gerade weil die Unternehmen aus diesen Branchen oft eine hohe Verschuldung aufweisen, stellt die Aussicht auf eine Deflation allerdings ein Risiko dar.
Was halten Sie von Rohstoffwerten? - Wir mögen Valoren aus der Öl- und Gasbranche, aber Minentitel sind uns zu teuer. Das Angebot an Eisenerz und Kupfer wird über die kommenden Jahre massiv steigen. Sogar bei unveränderter Nachfrage wird ein grosses Überangebot entstehen, was die Rohstoffpreise sinken lassen wird. Deshalb meiden wir Minentitel.
Und Aktien von Banken? - Auch die meiden wir grösstenteils, weil wir schlichtweg nicht wissen, was wir mit einer Bankaktie kaufen. Es ist für Aussenstehende nahezu unmöglich, die Bilanz einer Grossbank zu analysieren.
Welches ist die dritte Value-Nische? - Schwellenländer sind relativ attraktiv. Trotz der aktuellen Kursschwäche sind allerdings auch Emerging Markets mit einer erwarteten realen Rendite von rund 4% über die nächsten Jahre nicht wirklich günstig. Fair wäre eine Rendite von 6,5%.
Momentan werden Schwellenländer von Investoren fast universell gehasst, während die USA und Europa beliebt sind. Wie geht das zusammen? - Das ist verwirrend. Wir erleben die umgekehrte Entkoppelungstheorie: Jahrelang hörte man, die Schwellenländer könnten sich von den Industriestaaten entkoppeln, und jetzt soll es umgekehrt sein. Beides stimmt nicht; ich glaube nicht an eine Entkoppelung. Es ist gut möglich, dass die Industrie- den Entwicklungsländern in die Verlangsamung folgen werden.
Aber sind Schwellenländer wirklich noch nicht günstig? Brasilien, China und Russland handeln bereits zu Kurs-Gewinn-Verhältnissen von zum Teil deutlich unter 10. - Das stimmt. Nur dominieren in diesen Märkten in der Regel die Sektoren Finanz und Rohstoffe. Dazu ist der Kreditzyklus in diesen Ländern oft weit fortgeschritten, weshalb sich die Frage stellt, ob die Gewinne der dortigen Unternehmen nachhaltig sind. Bei den Finanzwerten ist bestimmt Vorsicht angebracht. Wir halten ausgesuchte Aktien in Märkten wie Südkorea und Russland. Gazprom beispielsweise sind mit einem KGV von 2 günstig bewertet. Aber nochmals: Insgesamt sind auch die Schwellenländer nicht günstig. Es ist wie der Fluch um Aschenputtel, die bereits an den schönen Prinzen vergeben ist. Für Sie bleiben nur noch die hässlichen Stiefschwestern übrig.
Keine schöne Wahl. - So präsentiert sich die Anlagewelt heute: unattraktiv und alternativlos. Man kommt nicht umhin, gewisse Werte zu halten. Doch für die eingegangenen Risiken wird man immer weniger entschädigt.
Sehen Sie irgendwelche Preisblasen? - Nach gewissen Kriterien befinden sich US-Aktien in einer Blase. Allerdings fehlen die Signale einer echten Manie. Wir erleben eine Art rationale Blase, basierend auf übermässigem Vertrauen und Kurzsichtigkeit der Investoren. Weil die Zinsen so niedrig sind, wird ein blasenfreundliches Verhalten gefördert. Es handelt sich um eine politikgetriebene, zynische Blase und nicht um eine Manie.
Sie sind der Vater des Begriffs «Foie-Gras-Rally», weil das Fed die Investoren mit Liquidität vollstopft. Wie wird das enden? - Vermutlich nicht gut. Die heutige Situation ähnelt 1994, als das Fed dachte, es habe den bevorstehenden Wechsel in der Geldpolitik hervorragend kommuniziert. Doch dann stellte sich heraus, dass die Märkte überhaupt nicht auf Zinserhöhungen vorbereitet waren, wie die Tequila-Krise in Mexiko gezeigt hat. Ein sanfter Ausstieg aus einer expansiven Geldpolitik ist schwierig. Gekoppelt mit überbewerteten Börsen, ist es daher ratsam, einiges Pulver trocken zu halten. In dieser Welt will man nicht voll investiert sein.
Seit dem Beginn der Drosselung der Anleihenkäufe durch das Fed im Dezember 2013 bewegen sich die westlichen Börsen in recht ruhigem Fahrwasser. - Gelitten haben die Schwellenländer, während der S&P 500 aufwärts strebt. Emerging Markets könnten aber ein Vorbote sein. Sie haben am meisten von der Geldflut profitiert. Deshalb macht es Sinn, dass diese Länder als Erste unter dem Wechsel der Geldpolitik leiden. Weil der US-Anleihenmarkt nicht auf das Tapering reagiert hat, ist es keine Überraschung, dass sich der S&P 500 unbeeindruckt zeigt. Der Anleihenmarkt denkt, alles komme gut. Vielleicht hat er recht. Nur sind die Sicherheitsmargen extrem dünn; das ist kein guter Ausgangspunkt für einen reibungslosen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik oder gar einen Zinserhöhungszyklus.
Vielleicht bleibt die Geldpolitik ja noch sehr lange expansiv? - Das ist möglich. Das Fed kann zum Schluss kommen, das Wachstum sei immer noch schwach, und die Inflation sei kein Problem. Damit könnte es an der expansiven Politik festhalten. Frühere Phasen finanzieller Repression – also ein Umfeld negativer Realzinsen – dauerten im Schnitt 22 Jahre. Das ist das grosse Dilemma für Investoren: Wie baut man in diesem binären Umfeld ein Portfolio? Der Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik kommt, oder er kommt nicht. Im einen Fall muss man voll auf Aktien setzen, im anderen Fall am besten auf Cash. Weil wir nicht wissen, welches Szenario eintritt, müssen wir versuchen, ein robustes Portfolio zu bauen, das jede Eventualität überlebt.
Wie sieht dieses Portfolio aus? - Die beiden Extremportfolios bestehen entweder voll aus Aktien oder voll aus Cash. Deshalb halten wir derzeit rund die Hälfte unserer Kundenvermögen in Aktien und die andere Hälfte in sicheren Anlagen wie Cash, inflationsgeschützten Anleihen sowie Long-Short-Aktienstrategien. Wie gesagt planen wir, unseren Aktienanteil bis Ende Jahr zu reduzieren. Natürlich schmälert eine hohe Cash-Quote die Performance, doch als Value-Investor muss man geduldig sein. Geduld ist ein rares Gut unter Anlegern. Geduld schmerzt, doch es ist weniger dumm, das langfristig Richtige zu tun, als zu spekulieren, was in der kurzen Frist passieren könnte.
Es scheint, als hätten sich die Märkte über die Jahre daran gewöhnt, dass das Fed rettend einschreiten wird, wenn der US-Aktienmarkt korrigiert. Gilt dieser Fed-Put weiterhin? - Man kann nicht ausschliessen, dass der Greenspan-Bernanke-Yellen-Put weiterhin gilt. Wenn immer ein Problem aufgetreten ist, hat das Fed die Märkte gerettet. Das ist gefährlich, denn die Investoren glauben, das Fed werde immer dafür sorgen, dass den Börsen nichts zustösst.
Es herrscht immer noch eine ausgeprägte Buy-the-Dip-Mentalität. Warten immer noch so viele Investoren an der Seitenlinie auf einen Einstieg? - Das glaube ich nicht. Ich sehe wenig Evidenz, dass die Investoren übervorsichtig sind, und viel Evidenz, dass sie allmählich überschwänglich werden.
Welches ist der faire Wert des S&P 500? - Alle Indikatoren, die ich verfolge, deuten auf eine Überbewertung von 50 bis 70% hin. In den USA halten wir nur noch Qualitätstitel wie Microsoft, Procter & Gamble oder Johnson & Johnson.
Was halten Sie von Japan? - Es ist alles andere als sicher, dass das grosse Experiment von Premier Shinzo Abe gelingt. Zwar hat er den Yen erfolgreich geschwächt, doch im April wird die Mehrwertsteuer angehoben, was das Risiko einer Wiederholung des Jahres 1998 erhöht, als Japan seinen Aufschwung abgewürgt hat. Die Erwartungen an Abe sind zu hoch, ähnlich wie bei Obama im Jahr 2009. Die Hoffnungen waren so gross, dass er eigentlich nur enttäuschen konnte.
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