Chinas harte Landung
Das Wachstumsziel der Volksrepublik China von 7,5% ist gefährdet. Nun rächt es sich, dass Peking zu einseitig auf Infrastruktur setzte.

Liebe Passagiere, die Landung wird holprig. Diese Durchsage stammt nicht von einem Kapitän, der sein schlingerndes Flugzeug zu stabilisieren versucht, sondern von den Chefeinkäufern chinesischer Unternehmen.
Die entsprechende Umfrage für die Industrie sollte niemand überhören. Chinas Einkaufsmanagerindex (PMI) fiel im August von 50,1 auf ein Neunmonatstief von 49,2. Werte unter 50 signalisieren eine schrumpfende Industrieaktivität. Der offizielle PMI folgte damit dem schon länger unter 50 liegenden PMI von HSBC und Markit, der im August gar den tiefsten Stand seit 2009 erreichte. Eine weiche Landung wird damit zur Glückssache.
Verängstigt sitzen die Passagiere in der Kabine: nicht nur chinesische Immobilienentwickler, auf das Wirtschaftswachstum ihrer Provinzen angewiesene Parteibonzen oder exportabhängige westliche Unternehmer.
Talsohle noch nicht erreicht
Auch für Anleger weltweit hat diese Nachricht eine hohe Bedeutung. Sie ist das jüngste Teil eines Datenpuzzles, bei dem jedes neue Stück das entstehende Bild düsterer erscheinen lässt. Die chinesische Wirtschaftslage gehört zu den Treibern aller Finanzmärkte und ist für die auf den chinesischen Investitionsboom ausgerichteten Ökonomien wie Südkorea, Brasilien oder Australien entscheidend.
Bis vor kurzem dominierte unter Ökonomen die Einschätzung, dass die Wachstumsverlangsamung im zweiten Quartal ihr Tief erreichen würde. Denn die People’s Bank of China (PBoC) hat schon zweimal den Leitzins gesenkt und mehrmals die Mindestreservesätze für die Banken reduziert. Peking werde nicht zulassen, dass das Wachstum unter die Zielrate von 7,5% falle, lautet das Argument.
Doch nach einer konjunkturellen Wende sieht es immer weniger aus.
Nach offizieller Statistik wuchs Chinas Bruttoinlandprodukt (BIP) im zweiten Quartal annualisiert immerhin noch 7,6%. Zahlreiche alternative Indikatoren weisen jedoch darauf hin, dass der Abschwung ausgeprägter ausfällt und noch nicht zu Ende ist. Die verlässlichsten offiziellen Daten zur Konjunktur seien unter anderem die Eisenbahngütertransporte, sagte selbst Chinas Vizepremier Li Keqiang. Und diese zeichnen ein düsteres Bild. Im Juli nahm das Volumen gegenüber dem Vorjahresmonat 8,2% ab – der grösste Rückgang seit März 2009.
Alarmierend ist auch die Entwicklung der Preise derjenigen Rohstoffe, für die China der wichtigste Importeur ist. Der Eisenerzpreis etwa ist seit 2011 mehr als 50% eingebrochen. Der Preis für Erz mit einem Eisengehalt von 62% hat jüngst zum ersten Mal seit 2009 100 $ unterschritten. Ein weiteres Indiz für die Nachfrageschwäche sind die vollen Lager, sei es bei Kohle oder Autos.
Das ausländische Kapital reagiert auf diese Malaise: Die Zahlungsbilanz verschlechtert sich – Kapital wird abgezogen –, und der bisher künstlich niedrig gehaltene Yuan wird nicht mehr nachgefragt und wertet sich nun von allein ab.
«Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» (Friedrich Hölderlin). Dieses Rettende wird der Regierung zuerkannt, die durch Stimuluspakete wie im Krisenjahr 2009 den Absturz verhindern soll.
Einige Investoren haben sich schon heute dementsprechend positioniert. Am darbenden chinesischen Aktienmarkt war die Hoffnung auf Stimuli nach der Veröffentlichung der PMI schnell verflogen. Denn Zweifel an den Möglichkeiten der Zentrale bleiben zuhauf. Obschon sich das Wachstum schon länger abkühlt, lockerte Peking die Geldpolitik nur zögerlich und weitete die Investitionen nur geringfügig aus.
Peking im Dilemma
Möglicherweise fürchtet China wegen der Verteuerung der Lebensmittel ein Wiederaufflammen der Inflation. Ausserdem hat das letzte Konjunkturpaket neue Probleme mit sich gebracht. So haben sich die Lokalregierungen gefährlich hoch verschuldet, und die notleidenden Kredite der Banken haben sich vermehrt. Dass die Immobilienpreise seit Juni landesweit wieder steigen, dürfte zur zögerlichen Haltung Pekings beitragen. Mit dem Infrastrukturpaket hat sich auch die Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums vom Investitionsvolumen verschärft, die die Regierung eigentlich abbauen wollte. Das Dilemma lautet also: das Wachstum unter 7,5% fallen lassen oder den Umbau in eine konsum- statt investitionsbasierte Wirtschaft verschieben.
Sollte sich die Regierung für Letzteres entscheiden, stellt sich die Frage, ob überhaupt noch mehr Infrastruktur gebraucht wird. Es gibt jetzt schon Anzeichen von Überkapazitäten, sei es am Pekinger Flughafen oder bei den Frachthäfen. Hingegen orten die Analysten von CLSA beim Schienennetz Nachholbedarf, wo nur die Hochgeschwindigkeitszüge unter mangelnder Auslastung leiden. Auch wenn Peking den Weg der Stimuli wählt, gehören zweistellige Wachstumsraten der Vergangenheit an. Denn um das Wachstum hoch zu halten, bräuchte es jedes Jahr gleich viele neue Brücken und Flughäfen wie im Vorjahr. Und dies ist auf dem jetzigen Niveau, wo Infrastrukturinvestitionen noch immer 18% des BIP ausmachen, unmöglich. Mit dem Konjunkturprogramm 2009 hat sich China selbst eine Falle gestellt.
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