Die Hersteller von Unternehmens-Software haben sich im Netz verstrickt
Nicht wer die nächste Microsoft ist, ist die entscheidende Frage in der SoftwareBranche; was Microsoft als nächstes macht, muss sie lauten.
Nicht wer die nächste Microsoft ist, ist die entscheidende Frage in der SoftwareBranche; was Microsoft als nächstes macht, muss sie lauten. Larry Ellison, Oracle-Gründer, liest daher die Zukunft der Software-Branche weder aus den Sternen noch aus dem Kaffeesatz: Sein Orakel ist der Müllsack von Bill Gates. Privatdetektive durchwühlten im Auftrag von Oracle den Abfall Microsoft-naher Unternehmen, um Unterlagen zum Antitrust-Verfahren gegen Microsoft zu finden. Das mag die vordergründige Erklärung sein. Branchenbeobachter äussern dagegen die Vermutung, dass Werkspionage dahinter stehen könnte. Sie sehen sich durch den Abgang von Chief Operating Officer Ray Lane in dieser Ansicht bestätigt. - Denn was Microsoft tut, hat erstmals nicht nur Auswirkungen auf den Markt mit Windows-Anwendungs-Software und die PC-basierte Informatik. Mit ihrer Dotnet-Strategie will Microsoft sämtliche ihrer Produkte Internet-fähig machen. Die Grenzen zwischen Betriebssystem, Anwendungs-Software und Datenverwaltungs- und Übertragungsstandards sollen dadurch verschwinden.Trotz aller berechtigten Kritik an Microsoft: Die Redmonter bringen mit ihrer Strategie das Problem der Software-Branche auf den Punkt: Das Zeitalter monolithischer Software-Anwendungen ist vorbei. Am stärksten betroffen von diesem Umbruch sind die Hersteller von Unternehmens-Software, so genannter Enterprise ressourced planning software (ERP), aber auch Microsoft selbst mit ihren Anwendungspaketen. - Auslöser für diese Veränderung ist das Internet und die Entstehung von Online-Marktplätzen sowohl zwischen Unternehmen und Unternehmen (vgl. Seite 23 und 33) als auch zwischen Unternehmen und Kunden. Kleine und mittelgrosse Unternehmen drängen ins Internet-abhängige Geschäft. Ihre unterschiedlichen Informatiksysteme müssen unter einheitliche Webfähige Anwendungen gebracht werden. - Konzerne wie SAP, Oracle oder IBM stehen vor dieser Herausforderung. Ihre Monsteranwendungen müssen auf Internet-Versionen umgeschrieben werden, die die ganze Wertschöpfungskette eines Unternehmens abdecken – vom Lieferanten über die Daten des eigenen Unternehmens bis hin zum Kunden. In diese Informatik-Architektur sind betriebswirtschaftliche Standardprogramme zu integrieren wie Steuerungs-Software, Abwicklungskontrollen fürs Finanzwesen, Speichervorgänge und Netzwerke und Software für die Wissensverwaltung und Datenanalyse. - Es herrscht aber nicht nur eine babylonische Vielfalt der Systeme. Die grossen ERP-Programme eignen sich nicht zur Einbindung in Anwendungen anderer Entwickler. Was fehlt, ist ein Standard für den Austausch der Daten. Die Lösung soll xml bieten, die von Microsoft in ihrer Dotnet-Strategie forcierte offene Internet-Sprache. Dies ist verallgemeinernd dargestellt eine Internet-Sprache, die sich für Applikationen eignet. Sie verbindet Programme unterschiedlicher Anbieter und verknüpft die Schichten der Unternehmens-Software unabhängig vom Betriebssystem. - Der Erfolg dieser Strategie ist für den Investor noch nicht absehbar. Die Marktmacht von Microsoft ist aber nicht zu unterschätzen. Beurteilen lassen sich jedoch die Anstrengungen anderer Anbieter. Ausser IBM, die erfolgreich das Systemintegrationsgeschäft betreiben, stehen Baan, SAP, Computer Associates, J.D. Edwards und Oracle vor dem Problem, dass ihre Produkte nicht offen für Fremdprogramme sind oder ihre Internet-Plattformen wie etwa mysap von SAP dieses Wechselspiel nicht genügend unterstützen. - Zu den Favoriten Web-basierter Unternehmenssoftware gehören aus Investorensicht die Software-Entwickler, die Basisprogramme für den elektronischen Handel (E-Commerce) anbieten. Sie liefern die Infrastruktur, auf der die Integratoren mithilfe von Datenbank- oder ERP-Teilprogrammen aus der Unternehmens-Software Internet-Plattformen bauen. Es ist aber der risikobehaftetste Bereich, wie die Kursschwankungen der Titel eindrücklich zeigen. Zu den für konservative Anleger geeigneten Titeln zählen Siebel, der Dominator der Branche, und IBM, die zusammen über eine Allianz das Integrationsgeschäft betreiben. Oracle hat das grösste Potenzial, aus dem Datenbank-Kerngeschäft zum Web-Plattform-Anbieter schlechthin zu werden.