In epischer Länge debattierte am Dienstag der Nationalrat über die Gletscher-Initiative. Sie fordert mit Geboten und Verboten, die Schweiz solle bis 2050 «klimaneutral» werden – netto null bei den Treibhausgasen. Die Initiative beziehungsweise ein weniger radikaler indirekter Vorschlag werden wohl im kommenden Jahr an der Urne zur Abstimmung kommen.
Den nächsten Generationen sollten keine grossen Hypotheken überlassen werden, ist in der Klimafrage einer der Kernpunkte. Die Idee der Nachhaltigkeit ist en vogue – nur nicht dort, wo es um langfristige finanzielle Tragbarkeit geht. Corona und der Ukrainekrieg haben die Hemmschwelle, Unterstützungsgelder zu fordern, links wie rechts im Parlament in erschreckendem Masse gesenkt.
Zuschüsse für die Absatzförderung von Wein, Fördergelder für den Tourismus, Entlastungsmassnahmen wegen der gestiegenen Energie- und Treibstoffpreise: Beide Ratskammern hakten auf Partikularinteressen zielende Vorstösse beinahe im Stundentakt ab. Bundesrat Ueli Maurer musste mehr als einmal mahnen, dass die Schweiz eine Schuldenbremse kennt und Mehrausgaben zu kompensieren sind.
Von der Pyramide zum Pilz
Nachhaltige, auf Dauer angelegte Politik wäre auch in der privaten Vorsorge gefragt. Seit Mitte der Neunzigerjahre – einer ganzen Generation – ist es nicht mehr gelungen, die AHV zu reformieren. Hier scheinen die Rollen mit Blick auf die Klimadiskussion wie vertauscht: Die Rechte warnt eindringlich, die Linke wiegelt ab und beschwichtigt.
Selbstredend gibt es auch in der Frage der AHV-Finanzierung Unbekannte, aber die Folgen langfristiger Versäumnisse lassen sich eher berechnen als Klimaeffekte. Es leuchtet ein, dass das AHV-System eher früher als später ins Wanken gerät, wenn einer wachsenden Anzahl Rentenbezüger immer weniger Erwerbstätige gegenüberstehen.
Zudem steigt die Lebenserwartung. Die Alterspyramide deformiert sich zu einem Pilz. Darüber hinaus wird der AHV-Fonds in den kommenden Jahren kaum mehr von solch traumhaften Kapitalrenditen profitieren wie im vergangenen Jahrzehnt.
Riesige Finanzierungslücke
Gestützt auf eine am Dienstag auch vom Ständerat angenommene Motion von FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, wird der Bundesrat nun beauftragt, die Weichen so zu stellen, dass die AHV bis 2050 «nachhaltig und generationengerecht» finanziert werden muss. Das Netto-null-Ziel für das Vorsorgewerk bedeutet, dass dannzumal kein Umlagedefizit besteht.
Selbst wenn die AHV-Reform 21 im September vom Volk angenommen wird – was keineswegs gewiss ist –, türmt sich bis 2050 ein Defizit in dreistelliger Milliardenhöhe auf. Ökonomen der Universität Freiburg i. Br. und von UBS kamen in einer im Februar präsentierten Studie gar auf eine Finanzierungslücke von 650 Mrd. Fr.
Die Motion von Silberschmidt fordert zudem, der Stand des AHV-Ausgleichsfonds dürfe nicht unter den Betrag einer Jahresausgabe sinken. Das ist seit fünfzig Jahren so in Artikel 107 des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung festgehalten.
Mehr Geld löst das Grundproblem nicht
Bereits Ende dieses Jahrzehnts wird das Umlageergebnis, das sich aus Prämieneinnahmen und Rentenzahlungen ergibt, in den roten Bereich kippen. SP-Ständerat Paul Rechsteiner hingegen befand, die AHV sei «für die kommenden Jahre äusserst solide finanziert»; die Motion male Gespenster an die Wand. Prognosen über dreissig Jahre seien unseriös (in der Klimapolitik hingegen nicht, versteht sich).
Das System der Altersvorsorge in der Schweiz hinkt den gesellschaftlichen und den ökonomischen Entwicklungen hinterher. Um diesen Missstand zu beheben, sind in den nächsten Jahren Massnahmen nötig, die das Fundament auf Dauer festigen. Die strukturellen Probleme der AHV lassen sich nicht lösen, wenn einfach immer mehr Geld ins System gepumpt wird.
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Ein alternatives Netto-null-Ziel
Nicht nur in der Klimapolitik – auch in der AHV sollte Nachhaltigkeit gelten. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Arno Schmocker