Ein Mix aus Mehreinnahmen und Einsparungen
Nicht nur die Invalidenversicherung IV, auch die Arbeitslosenversicherung (ALV) weist ein chronisches Defizit bzw.
Nicht nur die Invalidenversicherung IV, auch die Arbeitslosenversicherung (ALV) weist ein chronisches Defizit bzw. einen Schuldenberg auf. In der ALV ist dies auf eine zu optimistische Schätzung aus dem Jahr 2000 von durchschnittlich 100000 Arbeitslosen zurückzuführen. Basierend darauf wurde das Gesetz 2003 revidiert. ALV-Leistungen sollten sich durch Beiträge von 2% auf Jahreslöhnen bis 106800 Fr. finanzieren lassen. Damals wurde ausserdem ein konjunkturresistentes Finanzierungssystem verankert. Demnach muss, sobald der ALV-Fonds Schulden von über 2,5% der erfassten Lohnsumme – gegenwärtig 5,6 Mrd. Fr. – erreicht, innerhalb eines Jahres eine Gesetzesrevision durchgeführt werden. Zudem ist der Beitragssatz auf 2,5% zu erhöhen und für Löhne zwischen 106801 und 267000Fr. ein Solidaritätsbeitrag von 1% zu erheben. - Da der Grenzwert des ALV-Fonds Ende 2006 um nur noch rund 500 Mio. Fr. unterschritten wird, hat der Bundesrat eingesehen, dass rasch eine Gesetzesrevision an die Hand zu nehmen ist. Er hat eine Expertenkommission unter der Leitung von Jean-Luc Nordmann, Direktor für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), eingesetzt. Am 22. November wurde ihr Bericht vorgestellt. Die Kommission gelangt zum Schluss, dass die ALV auf Basis des heutigen Gesetzes nicht in der Lage sein wird, die Schulden rechtzeitig vor einem Konjunktureinbruch zurückzuzahlen. - Die Expertenkommission hat die Ausgangslage gegenüber 2000 neu beurteilt. In ihrem Referenzmodell geht sie von durchschnittlich 125000 Arbeitslosen aus, was gegenüber dem Szenario von 2000 einen Mehraufwand von 20% oder 1080 Mio. Fr. ergibt. Vorgesehen sind die Verminderung der Kosten und die Erhöhung des Beitragssatzes von heute 2 auf neu 2,3% (+690 Mio. Fr.). Um die bis zur Einführung der Gesetzesänderung aufgelaufenen Schulden abzutragen, soll vorübergehend der Beitragssatz auf 2,5 oder 2,8% erhöht und sollen Löhne zwischen 106801 und 267000 Fr. mit einem zusätzlichen Beitragsprozent belastet werden. - Die Expertenkommission hat den Leistungskatalog der ALV überprüft und nach Sparmöglichkeiten durchsucht. Von zwanzig geprüften Massnahmen empfiehlt die aus Vertretern der Sozialpartner, der Kantone, Wissenschaft und Verwaltung zusammengesetzte Kommission acht weiterzuverfolgen. Dadurch könnten jährlich 430 Mio. Fr. eingespart werden. Würden auch heftig umstrittene Posten berücksichtigt, liessen sich maximal 969 Mio. einsparen. - So soll der Taggeldbezug von beitragsbefreiten Personen eingeschränkt werden (115 Mio.), und die Länge der Beitragszeit soll die Bezugsdauer stärker beeinflussen (68 Mio.). Versicherte, die innerhalb der letzten zwei Jahre 12 Monate Beitragszeit aufweisen, sollen neu maximal 260, solche mit 15 Monaten 400 und nur die über 55-Jährigen mit mindestens 22 Monaten 520 Taggelder beziehen können. Wird die Kostenpauschale für arbeitsmarktliche Massnahmen pro Versicherten von 3500 auf 3000 Fr. gesenkt, lassen sich 60 Mio. einsparen. - Für erneut arbeitslos Gewordene soll sich die Taggeldhöhe nur noch nach dem in der vorangegangenen Rahmenfrist effektiv erzielten Zwischenverdienst richten (79 Mio.). Mehreinnahmen von 83 Mio. resultieren, wenn der maximal versicherte und beitragspflichtige Verdienst auf 120000 Fr. pro Jahr angehoben wird. Dazu müsste der Referenzwert von der Unfallversicherung (106800 Fr.) entkoppelt werden. Am stärksten schlügen aber mit insgesamt 1310 Mio. Fr. Mehreinnahmen das erwähnte zusätzliche halbe Lohnbeitrags- und das Solidaritätsprozent zu Buche. - Hingegen hat die Expertenkommission von einem einheitlichen Entschädigungssatz von 70% (Ersparnis von 347 Mio.) ebenso Abstand genommen wie von der Abschaffung der Schlechtwetter- (46 Mio.) und/oder der Kurzarbeitsentschädigung (56 Mio.). Ebenso wenig konnte man sich für eine Verlängerung der allgemeinen Wartezeit für den Taggeldbezug von fünf auf sieben Arbeitstage (1 Mio.) oder die Streichung der maximal 44 Taggelder für erkrankte Arbeitslose (60 Mio. Fr.) erwärmen. - Obwohl die Meinungen in der Kommission zu den einzelnen Vorschlägen teilweise auseinandergegangen sind – die Gewerkschaften sind gegen einen Leistungsabbau, die Arbeitgeber gegen eine Beitragserhöhung –, wird die Stossrichtung der Revision von allen Beteiligten gutgeheissen. Sie sind bereit, die Mischung aus Massnahmen für Mehreinnahmen und Einsparungen mitzutragen. - Die Experten empfehlen, rasch eine Revisionsvorlage in die Vernehmlassung zu senden. Ist diese durchlaufen, sollen die auf dem Verordnungsweg möglichen Anpassungen sofort vorgenommen werden. Zudem müssten, sobald die Schuldenobergrenze erreicht ist, wie im geltendem Recht vorgesehen die Beiträge erhöht werden. - Die Verwaltung und speziell das Seco (Direktion für Arbeit) sind dabei gefordert. Dort steht per Anfang 2007 die Stabsübergabe von Direktor Jean-Luc Nordmann, der in Pension geht, an Serge Gaillard an. Gaillard sass als Vertreter des Gewerkschaftsbunds in der Expertenkommission. Man darf gespannt sein, wie es ihm nun gelingt, übergeordnete Interessen zu vertreten und mehrheitsfähige Lösungen zu erarbeiten.