Ende der Party?
Der Markt für Initial Public Offerings (Aktienerstemissionen, IPO) ist ausser Form.
Der Markt für Initial Public Offerings (Aktienerstemissionen, IPO) ist ausser Form. Dies erklärt Henry Blodget im nebenstehenden Interview. Ob es sich nur eine Formkrise oder bereits um das Ende der Internet-Herrlichkeit handelt, ist umstritten. Ein Blick auf die Fakten lässt aber Böses ahnen. Nachdem im April bereits 28 geplante IPO verschoben wurden, waren es im Mai gar 36, darunter AltaVista, Linuxcare und Digitalwork.com. Mehr als ein Dutzend der Unternehmen zog Emissionspläne bei der Börsenaufsichtsbehörde (SEC) gar ganz zurück. Die Gesellschaften versuchen nun auf einem anderen Weg Kapital aufzunehmen. - Von den Internet-Unternehmen, die im Mai dennoch an die Börse kamen, haben lediglich zwei einen Preis festgesetzt, der über der ursprünglich geplanten Preisspanne lag. Das sind so wenige wie seit September 1998 nicht mehr, als die «Asiengrippe» den Markt lahmlegte. Inflationsängste, höhere Zinsen und die schwache Entwicklung des technologielastigen Nasdaq-Composite-Index werden für diese Entwicklung verantwortlich gemacht. Was noch bedenklicher stimmt, ist, dass selbst gestandene Federführer wie Merrill Lynch und insbesondere Goldman Sachs ihr «goldenes Händchen» verloren haben. - Im vergangenen Jahr führte Goldman Sachs von der Rekordzahl von insgesamt 287 Börsengängen 32 in der Rolle des Federführers an die Börse. Gemäss einer Untersuchung von CommScan sind in der Zwischenzeit die Hälfte der Titel unter den Emissionspreis gesunken. Ein im Vergleich zu anderen Investmentbanken schwaches Resultat. Goldman Sachs hatte unter anderem Unternehmen wie iVillage, Etoys, PlanetRx.com und TheStreet.com begleitet. Die enttäuschende Performance überrascht um so mehr, als Goldman seit 1995 neun der zwanzig besten Internet-Titel, unter anderem Yahoo und Ebay, an die Börse gebracht hatte. «Goldman hat im vergangenen Jahr zahlreiche Unternehmen begleitet, die aus Sektoren kamen, die nach dem Börsengang aus der Gunst der Anleger fielen», erklärt Ivo Welch, Professor an der Yale Universität. - In der Zwischenzeit sind viele Federführer vorsichtiger geworden und setzen die Preisspanne tiefer an. Der Emissionspreis liegt oft gar unter der Preisspanne, was für den Anleger eine beruhigende Entwicklung ist. Sogar für Emissionen, auf die der Anleger noch vor wenigen Monaten sehnlich gewartet hatte, wie die Sprint PCS-Tochter Ubiquitel, wurde der Preis reduziert. - Dass Goldman Sachs sein Renommee nicht ganz verloren hat und der IPO-Markt noch nicht totgesagt werden darf, zeigt die Neuemission von Oni Systems, eines im Bereich der optischen Netzwerke tätigen Unternehmens, vom Donnerstag. Obschon Federführer Goldman Sachs den Emissionspreis mit 25$ um 2$ über dem oberen Ende der Preisspanne festlegte, waren die Titel gefragt und legten am ersten Handelstag 230% zu. Oni Systems tritt gegen die Börsenlieblinge Cisco Systems und Nortel Networks an. - Trotz des schwierigen Marktumfelds ist die Warteschlange für Neuemissionen so lang wie nie zuvor. Mehr als 400 Unternehmen sind derzeit bei der SEC registriert, und das ist ein Rekord. Doch bevor nur ein Teil dieser Unternehmen einen erfolgreichen Start hinlegen kann, muss der Nasdaq-Composite-Index wieder zu alter Form finden. 75% der IPO handeln an der Nasdaq. Wenn die Bewertung des Index hoch ist, wird dies als Signal für den Neuemissionsmarkt gewertet, dass Anleger langsam wieder Vertrauen in diesen Bereich haben. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg.JS