Die Welt befindet sich in einem neuen kalten Krieg. Auf der einen Seite die Demokratien des alten Westens, deren Vertreter diese Woche zum Treffen des Verteidigungsbündnisses Nato in Brüssel zusammengekommen sind. Auf der anderen Seite die Autokratien, namentlich China und Russland. Letzteres bombardiert unter dem Putin-Regime weiter das demokratische Nachbarland Ukraine. Dieser neue globale Konflikt der beiden Seiten wird aber vor allem ein ökonomischer sein – und hier sind die Gewichte nicht einmal annähernd ausgeglichen verteilt.
Obgleich China zum Ende des Jahrzehnts die USA als weltgrösste Volkswirtschaft ablösen dürfte, befindet es sich gerade in einem perfekten Sturm aus restriktiver Unternehmens- und Coronapolitik, einer Schuldenkrise seiner Bauwirtschaft, Naturkatastrophen, Energielücken und einer rapide alternden Arbeiterschaft. Auf seiner Seite hat Pekings Machthaber Xi Jinping neben dem depressiven Petrostaat Russland mit Belarus, Kasachstan, Kambodscha, Laos, Pakistan und Nordkorea allesamt darbende oder nur mässig wachsende Entwicklungsländer. Zusammen bilden sie gerade einmal rund 20% der Weltwirtschaft. Auf der anderen Seite stehen die USA, die EU, das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien und Neuseeland sowie die grössten und reichsten Demokratien Ostasiens: Japan, Südkorea und Taiwan. Das sind 60% der Weltwirtschaft.
Die stärksten Gesellschaften der Weltgeschichte
Die Autokraten und ihre Bewunderer im Westen schwafeln seit Jahren davon, dass der Pluralismus unserer Demokratien uns schwach und die marktwirtschaftliche Ordnung uns dekadent gemacht habe. Dabei haben diese Mechanismen bis heute die freiesten, wohlhabendsten und damit stärksten Gesellschaften der Weltgeschichte hervorgebracht. Darin kann sich Wissen frei entfalten, und das ist bis heute der grösste Vorteil des Westens. Nirgendwo wird mehr geforscht und entwickelt, nirgendwo werden mehr Patente angemeldet, mehr Start-ups gegründet, gespeist vom grössten und dynamischsten Finanzsystem des Planeten mit dem Dollar als seiner universellen Währung. In fast allen Technologien ist der Westen bis heute meilenweit führend. Darum versuchten China und Russland bisher ja auch alles, um genau dieses westliche Know-how anzuziehen. Wobei vor allem das Regime in Peking schamlos alles kopierte, was ins Land kam.
Der Westen und seine Unternehmen dürfen autokratische Regime in Zukunft nicht mehr derart versorgen. Das soll nicht heissen, dass es zu einer kompletten Entkopplung von China kommen soll. Das würde das Land nicht zuletzt langfristig resistent gegen westliche Sanktionen machen. Doch der Westen darf dem Xi-Regime nicht mehr jede Technologie auf dem Silbertablett servieren. Bereits schützen die USA sensible komplexe Technologien, und zusammen mit der EU wurde der Transfer von Know-how und Arbeitsplätzen im Luftfahrtsektor untersagt. Auch die Unternehmen des Westens dürfen den Autokraten von sich aus nicht mehr dabei helfen, Vorteile gegenüber Demokratien zu erlangen oder ihren technologiegestützten Polizeistaat zu perfektionieren. Investitionen in und Kooperationen mit chinesischen Tech-Unternehmen müssen ab jetzt tabu sein.
Emanzipation vom Erdölkartell
Dafür sollten der Westen und seine Unternehmen den demokratischen Staaten Ostasiens mehr Aufmerksamkeit widmen. Bereits suchen diese Länder dort verstärkt die Nähe der USA. Besonders Indien ist, trotz allen autoritären Zügen der Regierung Modi, immer noch die grösste Demokratie der Welt. Dieses Land zu festigen und im westlichen Bündnis zu verankern, muss Priorität geniessen. Ebenso die Unterstützung der Widerstandsfähigkeit Taiwans: Mit TSMC hat das Land den grössten Chiphersteller der Welt. Marschiert das Xi-Regime morgen ein, hat der Westen eine grössere Krise am Hals, als wenn Putin den Gashahn zudreht. TSMC baut bereits Werke in den USA und muss weiter in ihrer Expansion im Westen unterstützt werden.
Dann müssen sich die Demokratien vom Erdölfördererkartell Opec emanzipieren. Diese absolutistischen Staaten des Nahen Ostens haben lange um Russland geworben und stehen China heute näher als dem einstigen Verbündeten USA. Kurzfristig braucht es einen Politikwechsel der Regierung Biden, der bedeutet, dass Amerika mehr Öl und Gas für den Westen und seine Verbündeten fördern muss, um damit die Brennstoffe der Autokraten zu kompensieren. Zugleich müssen die erneuerbaren Energien nun massiv ausgebaut und die Effizienz durch die Sanierung und die Modernisierung alter Anlagen gefördert werden. Investoren des Silicon Valley setzen bereits auf die Rückkehr der Atomkraft, und gerade Deutschland und die Schweiz sollten sich das ernsthaft überlegen, wenn die Alternative Putin-Gas heisst.
Ein neues globales Freihandelsabkommen
Doch der Westen muss noch weiter denken. Entglobalisierung bedeutet im schlimmsten Fall Nahrungsmangel, höhere Kosten, steigende Preise, eine schrumpfende Wirtschaft, niedrigere Löhne und weniger Arbeitsplätze. Doch das muss kein Automatismus sein. Um diesen Konsequenzen vorzubeugen, braucht es neben der Produktionsausweitung jetzt ein Freihandelsabkommen, das alle demokratischen Länder einschliesst. Die USA und die EU sollten hier vorangehen; vor Jahren waren beide Seiten in Verhandlungen weit fortgeschritten, bevor die unsägliche Diskussion über US-Chlorhühner das Vorhaben zunichtemachte. Beim Wirtschaftlichen sollte es aber nicht bleiben.
Die Uno mit ihrem Sicherheitsrat, in dem Russland und China seit Jahrzehnten alles blockieren, ist zu einem Witz der Geschichte verkommen. Innerhalb oder ausserhalb dieses Papiertigers sollte sich eine neue Liga demokratischer Staaten bilden – mit Vorteilen und offen für alle, die demokratische Grundsätze akzeptieren und leben. Wer das als illusorisch und weltfremd bezeichnet, der sei daran erinnert, wie einst nach blutigen Schlachten die Vorläuferorganisationen der heutigen Europäischen Union entstanden. Was die EU für die Staaten Osteuropas nach dem Kalten Krieg war, muss diese neue Liga für die Staaten der ganzen Welt sein, die sich der Demokratie und der Marktwirtschaft verschreiben wollen: ein Hort von Stabilität, Prosperität und Sicherheit.
Der alte Kalte Krieg zog sich über vierzig Jahre hin. Der neue könnte noch länger dauern. Wenn die Demokratien des Westens es clever anstellen, dürften sie am Ende gestärkt hervorgehen. Den längeren Atem als die Autokratien bringen sie allemal mit.
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Es braucht eine neue Liga demokratischer Staaten
Der neue kalte Krieg wird vor allem ein ökonomischer sein. Was der Westen und seine Verbündeten tun können, um den Autokraten die Stirn zu bieten. Ein Kommentar von US-Korrespondent Valentin Ade.