Giancarlo Boschetti
Eigentlich wollte der 61-jährige Giancarlo Boschetti schon vor zwei Jahren kürzer treten und sich seinen Hobbys Sport und Reisen widmen.
Eigentlich wollte der 61-jährige Giancarlo Boschetti schon vor zwei Jahren kürzer treten und sich seinen Hobbys Sport und Reisen widmen. Niemand im Vorstand des Fiat-Konzerns war aber geneigt, seinen Wünschen nachzugeben: Der Chef des Nutzfahrzeugherstellers Iveco hatte, wie schon häufig, - seine persönlichen Interessen zurückzustellen. Offenkundig war der Mann für die Konzernstrategen zu wichtig, als dass man auf seine Erfahrung hätte verzichten können. Diese Einschätzung gilt heute umso mehr, als Boschetti an die Spitze der Fiat-Konzernsparte Personenwagen berufen wurde. Damit verknüpft sich die Hoffnung, dass er in seinem neuen Job einen ebenso guten Leistungsausweis erarbeiten wird wie bislang an der Spitze der Nutzfahrzeugtochter. Immerhin ist es ihm durch harte Kostenkontrolle und rigoroses Marketing gelungen, Iveco zum profitabelsten Fahrzeugbereich von Fiat zu machen: Diese Sparte, die rund 14% des Konzernumsatzes ausmacht, hat im vergangenen Jahr bemerkenswerte 57,2% des operativen Gewinns erwirtschaftet. - Boschetti trat 1964, zwei Jahre nach der Promotion in Volks- und Betriebswirtschaftslehre, in den Konzern ein und durchlief seine ganze berufliche Laufbahn in den Unternehmen der Fiat-Gruppe. Dabei lag das Schwergewicht seiner Arbeit von Anfang an auf der Verwaltung und der Kostenkontrolle, das heisst in Aufgabengebieten, in denen er konzernintern inzwischen als unschlagbarer Experte gilt. Nach verschiedenen Stationen im Hause Fiat bekleidete er von 1976 bis 1979 den Posten des Iveco-Marketing-Chefs. Im Juli 1990 wurde er Generaldirektor und im Dezember des gleichen Jahres Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. In dieser Eigenschaft gliederte er die Nutzfahrzeugtochter in selbständige Geschäftssparten auf – eine Massnahme, die auch jetzt dazu beitragen kann, dass der lahmende Automobilbereich an Fahrt gewinnt. - Die Verantwortung, die mit der neuen Aufgabe auf Giancarlo Boschetti lastet, ist indes unvergleichlich grösser. Schliesslich handelt es sich bei Fiat Auto um das Kerngeschäft, auf das 41% des Konzernumsatzes entfallen. Der Erfolg oder Misserfolg der Sanierungsarbeit wird darüber entscheiden, ob Fiat als Automobilbauer eine Zukunft hat und ob das Gesamtunternehmen die Wirtschaftsflaute einigermassen unbeschadet übersteht. Auf Boschetti wird sich daher die Aufmerksamkeit von Fachanalysten und Fiat-Aktionären konzentrieren, die zum Teil die Ansicht vertreten, dass er wohl die letzte Chance wahrnehmen könne, um den Automobilbereich aus der Krise zu führen. Diese Herausforderung tangiert besonders die Familie Agnelli als Fiat-Hauptaktionärin, in der offensichtlich Zweifel aufkommen, ob der Konzern mit dem Konkurrenzkampf im Automobilbereich noch allein fertig wird. Bezeichnend dafür ist die Feststellung von Umberto Agnelli, der die nächsten sechs Monate als entscheidend dafür ansieht, ob die neue Sanierungsstrategie greift. Von Boschetti hängt es demnach weitgehend ab, ob der Konzern weiterhin Autos bauen wird – oder ob er gezwungen wird, die Kontrolle an den Branchenführer General Motors abzutreten, der bereits eine 20%-Beteiligung an Fiat Auto hält. GD, Mailand