Voraussichtlich 2016 wird das Schweizer Volk über die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) abstimmen. Würde diese angenommen – was höchst unwahrscheinlich ist –, dann erhielte jede Einwohnerin, jeder Einwohner monatlich 2500 Fr. überwiesen, einfach so, steuer- und abgabenfrei. Kinder könnten mit einem Viertel davon rechnen.
Das regt zum Grübeln an. Zunächst darüber, dass es wirklich sehr leicht ist, hierzulande Initiativen zu schier allem und jedem auf den Weg zu bringen und damit Parlament und Volk zu belasten, wenn nicht zu belästigen. Zu denken gibt auch, dass dieses abstruse Vorhaben selbst ausserhalb der linksalternativen Szene da und dort Sympathien weckt, ausgerechnet auch bei «Liberalen».
Das Parlament wird dieses Begehren, das sei prognostiziert, ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen. Bislang steht offiziell keine Partei, kein Verband hinter dem Initiativkomitee. Alles andere als ein unmissverständliches Nein der bürgerlichen Bundesratsparteien BDP, CVP, FDP und SVP würde höchst befremden. Falls es das überhaupt braucht, liegt nun, auch zu deren Handen, ein Argumentarium der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse vor.
Mehrwertsteuer himmelhoch
Dieses legt naturgemäss Zahlen vor, jedoch auch Grundsatzerwägungen und verzichtet mit Recht auf einen eigenen alternativen Reformvorschlag. Ausgehend vom angesprochenen Staats-Manna pro Kopf errechnet sich ein BGE-Bedarf von 200 Mrd. Fr., gut ein Drittel des gegenwärtigen Bruttoinlandprodukts. Davon würden, je nach Ausgestaltung, 60 bis 70 Mrd. Fr. die Ausgaben der bisherigen Sozialversicherungen ersetzen. Es blieben somit 130 bis 140 Mrd. Fr. zu finanzieren. Sollten BGE-Transfers rasch verringert werden, sobald eigenes Erwerbseinkommen erarbeitet wird, bliebe eine Finanzierungslücke von 20 bis 30 Mrd. Fr. Diese wäre über höhere Einkommens- oder Mehrwertsteuern zu decken. Aktuell trägt die Mehrwertsteuer 22 Mrd. Franken ein, der Satz müsste massiv steigen, je nach Szenario auf 56 bis 80%, so (verkürzt) die Projektion von Avenir Suisse .
Fast schon Kleinkram, jedenfalls unhaltbar ist der von den Befürwortern gerühmte Vorteil des BGE, dass dadurch ungefähr 3 Mrd. Fr. Verwaltungskosten der bisherigen Sozialversicherung eingespart würde, denn nicht nur wollen sie zugleich ein Zigfaches mehr mit der Giesskanne ausschütten, sondern die bisherigen Sozialversicherungen (abzüglich BGE-Transfers) müssten ohnehin weitergeführt werden: Sonst hätte das für viele tatsächlich Arbeitsunfähige unvertretbar hohe Leistungskürzungen zur Folge. Das wäre politisch vollkommen unrealistisch, mithin etwa so weltfremd wie die Annahme, der Bund würde nach der Einführung eines BGE locker ganze Heerscharen bisheriger Angestellter der Sozialversicherungsbürokratie entlassen.
Die Finanzierung des BGE ist also bereits abenteuerlich genug, auch wenn die Schätzungen um ein paar «Milliärdchen» daneben liegen könnten. Genau so abenteuerlich ist auch der Ansatz von Befürwortern, das Produktivitätswachstum erhöhe die strukturelle Arbeitslosenrate – dann müsste in der Schweiz ja Massenarbeitslosigkeit herrschen.
In manchen Medien wie auch gerade unter BGE-Befürwortern wird gerne der Glaubenssatz verbreitet, der technische Fortschritt mache Vollbeschäftigung mehr und mehr zum Auslaufmodell. Daher brauche es ein BGE für diejenigen Menschen, die bereit sind, auf Erwerbsarbeit zu verzichten. Fortschritt und Automatisierung sind jedoch seit der industriellen Revolution alltäglich; bisher hat technischer Fortschritt nicht die Arbeitslosenquoten, sondern den Wohlstand erhöht und die Arbeitspensen der Erwerbstätigen schrittweise verringert.
Am folgenschwersten wäre wohl der angestrebte gesellschaftliche Paradigmenwechsel. Bisher gilt mit gutem Grund, dass alle, die arbeiten können, das auch tun sollen (und sich so individualistisch wie erst noch ausgesprochen sozial verhalten); neu hiesse es, dass nur noch arbeiten soll, der das auch will. Die Arbeitsanreize würden mit einem bedingungslosen Grundeinkommen allmählich sinken, geringer Qualifizierte aus der Erwerbsarbeit hinauskomplimentiert. Das verwechseln die Initianten mit Freiheit, deren inhärente Bindung an die Selbstverantwortung sie ja zu kappen versuchen.
An dieser Stelle sei ihnen, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, der Ökonom und Philosoph Wilhelm Röpke (1899–1966, ein geistiger Vater der Sozialen Marktwirtschaft) entgegengehalten. Der stellte einst «in weitesten Volkskreisen das Ideal einer totalen Pensionierung» fest; dies entwürdige den Menschen zur «völlig domestizierten Kreatur, zum schweifwedelnden Haustier. Das ‹Ideal der komfortablen Stallfütterung› könnten wir es nennen, und damit ungefähr das treffen, was die Alten mit dem Ruf ‹panem et circenses› umschrieben.»
Worauf Avenir Suisse, die unmittelbare Einflussnahme während Abstimmungskämpfen meidet, hier nicht eingeht, ist die neckische Differenz zwischen den gegenwärtig geforderten 4000 Fr. Mindestlohn und den 2500 Fr., die ja nicht einfach das physische Überleben sichern, sondern «der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen» sollen.
Friedman hatte andere Ideen
Das Konzept der negativen Einkommenssteuer übrigens, das der liberale Ökonom Milton Friedman in den 1960er-Jahren vorgeschlagen hatte, ist dem BGE zwar grundsätzlich verwandt, sieht demgegenüber jedoch eben nur ein physisches, kein soziokulturelles Existenzminimum vor. Friedman wollte die Erwerbsarbeit keineswegs freiwillig machen. Er sah auch die völlige Abschaffung der bisherigen Instrumente sozialer Sicherung und Integration vor, zudem die radikale Liberalisierung des Arbeitsmarkts. All das dürfte für die BGE-Initianten indiskutabel sein; auf Friedman können sie sich also nicht berufen, jedenfalls nicht vor einem informierten Publikum.
Sollten die bürgerlichen Parteien, hoffentlich, für einmal geschlossen auftreten, dann könnte die SP ihr übliches Powerplay nicht aufziehen: Nämlich sich ein Nein zum BGE gegen irgendeine Umverteilungs- oder Regulierungswohltat abkaufen lassen. Die Sozialdemokraten werden sich mit der Vorlage wahrscheinlich schwer tun (vor allem ihre Jungfront, die Erwerbsarbeit ungefähr vom Hörensagen kennt und sich links ja nicht überholen lassen will). Womöglich wird sich die SP zu einem «Nein, aber» durchquälen. Dieses Leiden sollte ihr nicht erspart werden.
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Grundfalsches Grundeinkommen
Das «bedingungslose Grundeinkommen» ist weder nötig noch richtig, sondern deplatziert und ruinös. Die Denkfabrik Avenir Suisse liefert Munition für die bevorstehende Debatte.