Was mögen Sie eher? Einen Strafzins auf Ihren Spar- und Pensionsguthaben, teurere Aktien und Immobilien oder Kaufkraftverlust durch steigende Konsumentenpreise? Bekömmlicher wäre doch eine regelmässige Gutschrift auf Ihrem Bankkonto.
Ein solcher Lohnzustupf wird als Helikoptergeld bezeichnet und als nächste Stufe der expansiven Geldpolitik vorgeschlagen. Bereits installiert sind Negativzinsen, und die grossen Anleihenkaufprogramme der Notenbanken in Euroland und Japan blähen die Vermögenspreise weiter auf. Derweil köchelt die vom Internationalen Währungsfonds belebte Debatte um ein höheres Inflationsziel von 4 statt nur 2%. Und nun wird immer lauter über Helikoptergeld diskutiert.
Den Begriff prägte Milton Friedman, der Vater des Monetarismus, im Jahr 1969. Er schlug vor, in schlechten Zeiten könnten Helikopter frisch gedruckte Geldscheine abwerfen, um den Konsum und die allzu tiefe Inflation anzufachen. Bereits in den Dreissigerjahren empfahl John Maynard Keynes angesichts der grossen Depression, in stillgelegten Kohleminen Geld zu vergraben, das dann von arbeitslosen Bergleuten ausgehoben würde.
Konsum und Teuerung anfachen
Im Jahr 2003 schlug der spätere US-Notenbankchef Ben Bernanke vor, Japans Regierung solle zur Bekämpfung der hartnäckigen Deflation die Ausgaben erhöhen oder die Steuern senken. Finanziert werden dürfe das aber nicht mit Staatsanleihen, sondern mit frischem Geld. Das kurble die Wirtschaft direkt an, ohne Bremswirkung durch Sorgen um eine höhere Schuldenlast. Eine mit Notenbankgeld finanzierte Steuersenkung sei im Wesentlichen dasselbe wie Friedmans Helikoptergeld.
Erneut lanciert wurde das Thema 2013 von Adair Turner, dem früheren Chef der britischen Finanzaufsicht. Neu geschaffenes Geld solle den Bürgern oder dem Staat so lange zugeteilt werden, bis sich die Wirtschaft erhole.
Gegenüber dem, was der Abwurf aus dem Helikopter leisten soll, zeigen die bisherigen unkonventionellen Therapien der Notenbanken keine Wirkung oder sind gar kontraproduktiv. Die Negativzinsen in Schweden, Dänemark, Euroland, der Schweiz und Japan dringen noch nicht bis zum Sparkonto vor, erst Vorsorgegelder werden belastet. Aus Sorge um ihre Pension sparen die Leute nun aber mehr statt weniger, was die Wirtschaft belastet statt ankurbelt. Ein Lohnzustupf von der Notenbank würde dagegen den Konsum steigern.
Der laufende, von den Zentralbanken gross angelegte Aufkauf von Staatsanleihen und Hypothekenpapieren verteuert auch andere Vermögenswerte. Der Effekt dieser quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) ist zweifelhaft: Wer hat, dem wird gegeben. Der Wunschtraum, dass die vermögenden und durch QE noch reicheren Bürger auch mehr konsumieren und die Wirtschaft anschieben, erfüllt sich nicht. Das von den Notenbanken aufgepumpte Vermögen entfaltet keine breite Wirkung, denn es sickert nicht zu den weniger wohlhabenden Leuten durch. Mit diesem Trickle-down-Effekt rechtfertigte US-Präsident Ronald Reagan in den Achtzigerjahren niedrigere Steuern für Vermögende und Unternehmer. Das funktionierte schon damals nicht.
Helikoptergeld hingegen ist nicht elitär, sondern egalitär. Wohlhabende werden nicht bevorzugt, jeder Einwohner erhält den gleichen Zustupf. Die monetäre Expansion landet ohne Umweg bei den Privathaushalten.
Diese direkte Wirkung ist nicht nur für die Konsumnachfrage wichtig, sondern auch für die Inflation. Während die Notenbanken die Vermögenspreise aufblähen, wird debattiert, ob nicht auch die Konsumentenpreise künftig schneller als gewohnt steigen sollten. Statt Preisstabilität und damit bis zu 2% Inflation könnten die Zentralbanken eine höhere Teuerung anpeilen. Argumentiert wird, die hoch verschuldeten Regierungen müssten zur Unzeit sparen, diese Bremse für die Konjunktur solle durch eine möglichst expansive Geldpolitik kompensiert werden. Zudem könnten einige Jahre mit etwas schnellerer Inflation nicht schaden; die Teuerung entwertet nicht nur Geld, sondern auch Schulden.
Das klingt nach einem Spiel mit dem Feuer und ist eine Wette darauf, dass die Notenbanken rechtzeitig gegensteuern, bevor die Inflation aus dem Ruder läuft. Es lohne sich, diese Wette einzugehen, sagt etwa der Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen aus Berkeley.
Derweil liegt die den Banken bereits verabreichte Liquidität brach, sie parken das Geld bei der Notenbank. Erstens müssen die Banken strengere Eigenkapitalvorschriften erfüllen, was die Kreditvergabe bremst. Zweitens erlahmt die Nachfrage der Unternehmen und Privathaushalte nach Darlehen wegen des unsicheren Wirtschaftsausblicks und der Alterung der Gesellschaft. Trotz Negativzinsen und QE haben es die Notenbanken deshalb nicht geschafft, nur schon ihr bestehendes Inflationsziel zu erreichen. Helikoptergeld umgeht das Bankensystem, landet direkt bei den Privathaushalten und muss von diesen nie zurückbezahlt werden.
Konsumnachfrage soll die Konjunktur anwerfen, und Inflation kann den Schuldenberg abtragen. Der ist sonst kaum zu bewältigen. Die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff haben gezeigt: Die Gesamtschulden von Staat, Unternehmen und Haushalten in den Industrieländern sind mittlerweile so hoch, dass sie sich nicht mehr abbauen lassen durch eine Kombination aus Sparprogrammen, Aufschub und Wirtschaftswachstum. Die notwendige Austerität wäre viel zu harsch.
Auch da kommt ein Lohnzustupf gerade recht, er erleichtert den Schuldendienst der Haushalte und hilft mit Inflation auch Unternehmen und dem Staat. Für diesen schlägt Adair Turner zudem eine Variante des Helikopters vor. Das Prinzip ist einleuchtend: Die Regierung hat auf ihrer Bilanz Schulden. Die Notenbank hat in ihrer Bilanz ein Guthaben, da sie mit dem QE-Programm Staatsanleihen gekauft hat. Beide Bilanzen sind staatlich. Für die Schulden der Regierung muss der Steuerzahler geradestehen, und das Guthaben der Notenbank ist letztlich Volksvermögen. Schuld und Guthaben heben sich auf, können saldiert werden. Ein Federstrich genügt.
Staatsschulden ins Endlager
Das klingt zu schön, um wahr zu sein, und weckt Skepsis. Aber es geht auch ohne Federstrich. Werden die Staatsanleihen in der Notenbankbilanz in zinslose ewige Anleihen verwandelt, bleiben sie dort liegen und geraten in Vergessenheit. Solches Helikoptergeld nennt Turner «permanente Monetarisierung von Staatsschulden».
Wem auch das zu alchemistisch ist, der lässt die Bilanzpositionen stehen. Endet die Laufzeit einer Staatsanleihe, zahlt die Regierung das Geld der Notenbank zurück. Dann emittiert sie eine neue Anleihe und verkauft sie wiederum der Notenbank. Deren Bilanz bleibt ewig hoch und dient als Endlager, ohne grosses Aufsehen. Das wäre dann ein Helikopter mit Tarnkappe.
Wenn sich aber der Schuldenberg so einfach im Umfang des QE-Programms neutralisieren lässt, worauf warten wir dann noch? Mit diesem Konzept könnten ja die Zentralbanken auch künftig Staatsschulden aufkaufen und verschwinden lassen.
Spätestens da wird’s kritisch, sagt auch Adair Turner. Ein solcher Helikoptereinsatz dürfe nur einmal stattfinden. Er verhelfe zu einem Neustart, einer zweiten Chance, um eine riesige Schuldenkrise zu vermeiden.
Helikoptergeld ist also eine Wette, dass die Politik eine einmalige Gelegenheit nutzt und mit einschneidenden Strukturreformen das künftige Wirtschaftswachstum steigert. Lässt aber der Druck der Schulden nach, schwindet erfahrungsgemäss der Reformwille. Einmal ist schliesslich keinmal, und schon ist die Abhängigkeit von wiederkehrenden Helikoptereinsätzen da.
Der Wetteinsatz ist hoch, Turner selbst warnt vor Hyperinflation wie in der Weimarer Republik oder in Simbabwe. Nichtsdestotrotz ist damit zu rechnen, dass etwa Japan seine rekordhohen Staatsschulden bei der Notenbank im Endlager deponiert. Politiker anderswo könnten auf den Geschmack kommen.
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Helikoptergeld für Inflation
Ein geldpolitisches Wundermittel heilt die Deflation und schickt Schulden in die Vergessenheit. Wir könnten davon abhängig werden. Ein Kommentar von FuW-Ressortleiter Philippe Béguelin.