Der Druck auf das Schweizer Steuersystem wächst. Die OECD hat eine Mindestbesteuerung der Gewinne grösserer Firmen von 15% verordnet und diskutiert bereits eine Erhöhung auf 21%. In vielen Kantonen dürfte das kurzfristig höhere Steuereinnahmen bringen, längerfristig hingegen geringere, weil ihre internationalen Wettbewerbsvorteile erodieren. Das Gesamtergebnis hängt davon ab, wie im Aus- und Inland reagiert wird: Höhere Steuersätze bringen mehr Phantasie hinsichtlich Steuerschlupflöchern und staatlichen Beihilfen.
Auch im Inland brodelt es. Mittlerweile predigen sogar manche Bürgerliche, Kapital sei zu niedrig besteuert. Stereotyp wird das Fehlen einer Kapitalgewinnbesteuerung für natürliche Personen beklagt. Die Diskussion ignoriert die Realität. In der Schweiz werden Kapital und sein Ertrag massiv überbesteuert. Das liegt nicht nur an unseren europaweit einmalig hohen Vermögenssteuern, sondern an einer weltweiten Malaise: Besteuert wird der nominelle Kapitalertrag.
Ein bedeutender Teil davon ist kein reales Einkommen, sondern eine Kompensation für die Entwertung des Vermögens durch Inflation. Dieser Effekt ist höchst gewichtig. So lagen die steuerbaren nominellen Zinsen von sicheren Anlagen wie vieljährigen Bundesobligationen seit 1950 durchschnittlich bei gut 3%, die realen Zinsen hingegen bei rund 1%. Damit wurden Kapitaleigentümer auf Basis des Dreifachen ihres realen Einkommens besteuert.
Das Problem besteht schon bei sehr niedriger Inflation. So betragen bei einer Inflation und einem realen Zins von je 1% die nominellen Zinsen 2%. Die Kapitaleigentümer zahlen also für das Doppelte ihres realen Einkommens Steuern. Wenn einmal die Inflation und Zinsen anziehen, wächst der nominelle Kapitalertrag auf ein Vielfaches des realen Einkommens, wodurch die Steuerlast explodiert.
Kapital doppelt besteuert
Wer glaubt, die in der Schweiz automatische Korrektur der «kalten Progression» verhindere die inflationsbedingte Überbesteuerung von Kapitaleinkommen, liegt falsch. Der Automatismus verlangt, dass bei einer Inflation von x Prozent die Steuerklassen um x Prozent gestreckt werden. So wandern Bezüger von Einkommen, die im Gleichschritt mit der Inflation wachsen, nicht in höhere Progressionsstufen. Das schützt Arbeitseinkommen wirkungsvoll vor inflationärer Überbesteuerung.
Die nominellen Kapitaleinkommen aber müssen um viel mehr als die Inflation wachsen, um real gleich hoch zu bleiben. Für einen konstanten realen Zins von 1% muss bei einem Inflationsanstieg von 0 auf 5% der nominelle Zins von 1 auf 6% wachsen. Oder anders gesagt: Mit gleichem Realeinkommen steigen das nominelle Einkommen und damit die Steuerlast um das Sechsfache. Die Entlastung durch die Korrektur der kalten Progression hilft da kaum.
Kapital, das in Unternehmen als Eigenkapital investiert ist, wird auch ganz ohne Inflation doppelt besteuert. Sein Ertrag wird zuerst in der Unternehmung als Gewinn, und dann beim Eigentümer als Dividende besteuert. Damit wird es nicht nur weit höher als Einkommen aus Arbeit besteuert, sondern auch weit höher als Einkommen aus Vermögen, das als Fremdkapital bei Firmen angelegt ist. Das gilt trotz der letzten drei Unternehmenssteuerreformen, die das Problem nur kosmetisch angingen.
Richtig auf OECD-Mindeststeuer reagieren
Gut und richtig ist hingegen, dass in der Schweiz die Kapitalgewinne von Normalbürgern nicht besteuert werden. Der langfristige Kapitalgewinn, zumeist ein Wertzuwachs von Aktien, ist ebenfalls stark inflationsgetrieben: Aktienwert wächst mit der Inflation. Zugleich wird er schon heute besteuert. Der Wert von Aktien ist die Summe ihrer erwarteten, zukünftigen, abdiskontierten Dividendenzahlungen.
Ein Wertzuwachs spiegelt also eine Erhöhung der erwarteten Dividenden. Da diese Dividenden aber sowieso noch bei ihrer Auszahlung besteuert werden, brächte eine Kapitalgewinnsteuer eine Doppelbesteuerung der Dividenden.
Wie nun soll die Schweiz auf die 15% Mindeststeuer reagieren? Wir brauchen weder neue Steuerschlupflöcher noch irgendwelche staatlichen Beihilfen und Subventionen. Wir müssen nur unser Steuersystem so reformieren, wie wir es längst hätten tun sollen.
Erstens muss die Doppelbesteuerung der Dividenden aufgehoben werden, indem die Steuerbelastung der Dividenden um die bezahlte Gewinnsteuer gemindert wird. Einkommen aus Kapital soll gleich besteuert werden wie Einkommen aus Arbeit, und Einkommen aus Eigenkapital gleich wie Einkommen aus Fremdkapital. Das gilt erst recht mit der OECD-Mindeststeuer, die Eigenkapital im Vergleich zu Fremdkapital noch zusätzlich belastet und so den Firmen noch grössere Anreize zu übermässiger Fremdfinanzierung gibt, was sie krisenanfälliger macht.
Zweitens muss die Besteuerung von Kapitaleinkommen auf den realen Ertrag ausgerichtet werden. Zur Berechnung des steuerbaren Einkommens kann der inflationsbedingte Wertverlust auf dem Vermögen vom nominellen Kapitalertrag abgezogen werden. Alternativ dazu könnte der Kapitalertrag nicht detailliert erhoben, sondern lediglich pauschaliert mit einem realen Sollertrag des Vermögens erfasst werden.
Idealer Zeitpunkt für Reform -
Bisher waren diese Reformen nur schwer anzugehen, da sie kurzfristig Mindereinnahmen bringen und die Kapitaleinkommen entlasten, was sie leicht angreifbar macht. Die OECD-Mindestgewinnsteuer bietet nun beste Chancen, diese Reformen umzusetzen. Denn die Mehreinnahmen durch die Zusatzbelastung der Firmengewinne hilft die Entlastung der Aktionäre zu tragen und entschärft zugleich die Verteilungsdiskussion, da die Steuersenkungen für die Aktionäre durch Steuererhöhungen auf den Gewinnen kompensiert werden.
Reichen die Mehreinnahmen aus der OECD-Mindeststeuer, um die Reformen zu finanzieren? Der Ertrag der OECD-Mindesteuer dürfte über die Zeit abnehmen, weil die Schweiz mit ihr allein an Attraktivität verliert. Die vorgeschlagene Steuerreform wird hingegen schon bald hohe Mehreinnahmen bringen, weil sie die Schweiz wesentlich attraktiver für Kapitaleigentümer und Investoren macht. Überdies bringt die Abschaffung der doppelten Besteuerung von Gewinnausschüttungen der Wirtschaft neue Dynamik, Effizienz und Wachstum.
Finanzielle Vorteile für alle
Das Kapital kann ohne steuerliche Nachteile aus den relativ unproduktiven Firmen in neue produktivere Firmen fliessen. Schliesslich hat die Reform noch einen letzten grossen Vorteil: Wenn «nur» die realen statt den nominellen, durch Inflation aufgeblähten Einkommen versteuert werden müssen, können auch nur die realen statt den nominellen, durch Inflation aufgeblähten Zinskosten von der Steuer abgezogen werden.
Das ist nur fair: Den hohen nominellen Zinsbelastungen steht die Abnahme der realen Schuldenlast infolge Inflation gegenüber. Das bringt dem Staat grosse Mehreinnahmen und eliminiert die heutigen Anreize von Individuen und Firmen, sich übermässig zu verschulden.
Ich bin deshalb überzeugt, dass die vorgeschlagene Reform längerfristig enorm fruchtbar ist und auch finanziell für alle – Individuen, Unternehmungen und Staat – vorteilhaft ist. Wer daran zweifelt, sollte trotzdem für die Reform sein. Denn sie gründet nicht nur auf Mehrertrag und Effizienz, sondern auf einem ehernen Grundsatz: Steuern sollten am realen Einkommen ansetzen und alle Einkommensarten gleich behandeln. Davon sind wir heute weit entfernt. Kapital und besonders Eigenkapital wird weit überbesteuert. Das können wir jetzt ändern.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Höchste Zeit für eine grosse Steuerreform
Die Doppelbesteuerung von Dividenden ist aufzuheben. Zudem muss die Besteuerung von Kapitaleinkommen auf realen Ertrag ausgerichtet werden. Ein Kommentar von Reiner Eichenberger.