In der Politik gibt eins und eins selten zwei. Im diese Nacht von CDU/CSU und SPD verabschiedeten Koalitionsvertrag ergibt eins und eins «gut» – nicht besser, aber immerhin. Die Koalitionäre wollen wörtlich, dass «alle Menschen in Deutschland – Kinder, Frauen und Männer, Junge und Alte, in Ost und West – ein gutes Leben führen können und unser Land auf seinem guten Weg weiter vorankommt». Und wenn das nicht geschieht, so liegt’s dann – der verhalten larmoyante Tonfall der Präambel weist darauf hin – nicht an den Grosskoalitionären, sondern an den anderen, sprich wahlweise an der Opposition, den übrigen Euroländern, vielleicht auch an den Amerikanern und den Chinesen.
SPD kann nur verlieren
Das Resultat der Verhandlungen ist mehr als enttäuschend, war aber so zu erwarten. Das Werk ist strategisch aus der Not einer schwachen SPD geboren, und bringt die Sozialdemokraten in eine vertrackte Lage. Sie stärkt – einmal mehr – Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die SPD hat in dieser Neuauflage der Grossen Koalition nur zu verlieren: Thematisch, denn die CDU hat schon längst alle Themen besetzt, welche die SPD zu bearbeiten versucht. Der Koalitionsvertrag liest sich wie ein sozialdemokratisches Manifest, was aber nicht daran liegt, dass sich die SPD hier «durchgesetzt» hat, wie einige behaupten. Im Grunde spiegelt er die Merkelsche CDU, die in den Bundestagswahlen mit schwammigen Sozialbekenntnissen fast die absolute Mehrheit geholt hat.
Auch politisch ist die SPD ein schwacher Kanton. In Hessen, das sich als Kristallkugel für Deutschlands Politik eignet, hat der als konservativ geltende Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den Grünen ein Angebot gemacht, das diese dankend prüfen. Ob es zu Schwarz-Grün in Hessen kommt, ist noch offen, es wäre taktisch aber raffiniert, da dies der CDU auch auf Bundesebene eine neue politische Option gäbe, die sie nach dem Ausscheiden der FDP dringend braucht.
Mit der Drohkulisse von Schwarz-Grün im Rücken dürfte sich auch die SPD-Basis, die sich noch via Mitgliederbefragung der Bildung einer Grossen Koalition in Berlin in den Wege stellen könnte, kaum ein Nein erlauben. Dann käme es nämlich wohl zu Neuwahlen, und die Chance, dass Union und Grüne dann zusammenfinden, wäre wesentlich grösser. Es wäre ein echter Tabubruch, wenn die SPD dann auf eine rot-rot-grüne Linie schwenken und die Linkspartei ins Boot holen würde, um an die Regierung zu gelangen.
Insuläre Entscheidungen und reine Widersprüche
Entschieden worden sind Dinge, die entschieden worden sind, als betreffe es Angelegenheiten auf einer einsamen, vom Rest der Welt abgeschiedenen Insel, oder die reine Symptombekämpfung darstellen. In Summe ergeben sie höhere Haushaltsbelastungen. So ist die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns ein Widerspruch in sich, entzieht er doch dem Konsumenten über höhere Preise Geld und verspricht, was er nicht halten wird – ordentlich bezahlte Arbeitsplätze. Auch die ausufernden Folgekosten der Energiewende sind unsystematisch behandelt worden, die Photovoltaik-Förderung – der teuerste Posten der Förderung – bleibt unangetastet. Wie die Grosse Koalition die Marktintegration der Renewables voranbringen will, bleibt offen.
In der Steuergesetzgebung wird eine Finanztransaktionssteuer mit möglichst breiter Bemessungsgrundlage geplant – auch auf Aktien. Eine Reform des bestehenden Steuersystems findet nicht mal Erwähnung. Sozusagen als Zückerchen sollen dafür die deutschen Steuerzahler ab 2017 – Rentner und Pensionäre bereits ab 2015 – eine bereits vorausgefüllte Steuererklärung erhalten. In der Europapolitik, die stiefmütterlich behandelt wird, will die neue Koalition keine Vergemeinschaftung von Schulden, setzt aber auf steuerfinanzierte Programme zur «Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit» – auch das ein Widerspruch in sich. Die Bankenrefinanzierung in der Eurozone soll über ein neu geschaffenes Instrument mit maximal 60 Mrd. € sichergestellt werden. «Eine dauerhafte Übernahme direkter Bankenrisiken durch den Steuerzahler lehnen wir ab», heisst es dazu. Mit Blick auf die Schweiz ist die Drohung mit Lizenzentzug für Banken bei systematischen Verstössen gegen das Steuerrecht eingeflossen.
Die Zeit wird zeigen, ob es sich dabei um Lippenbekenntnisse handelt – gleiches gilt für das Bekenntnis, ab 2015 keine neuen Schulden mehr aufzunehmen und die Schuldenquote zu senken. Auffällig und besorgniserregend ist im Vertrag die mangelnde Selbstreflexion. Wie ein roter Faden zieht sich durch, dass nur eine Politik der Intervention die richtige Antwort ist. Es muss beaufsichtigt oder gesteuert werden, dann werden die Probleme gelöst. Als ob viele von der Politik gesteckte Rahmenbedingungen oder kontrollierte Projekte nicht gerade das Gegenteil davon gebracht hätten: neue Probleme.
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In der Kristallkugel flackert Schwarz-Grün
Der neue Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist ein weiteres Bravourstück von Kanzlerin Angela Merkel. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Dietegen Müller.