Ein Argument, das in der Schweiz für die Energiestrategie des Bundes immer wieder ins Feld geführt wird, sind die Chancen für den hiesigen Werkplatz. Die Schweiz könne auf dem Weltmarkt in Cleantech und Energieeffizienz eine führende Rolle einnehmen, lautet die Vorstellung. Dafür soll der Staat die notwendigen Weichen stellen und andere Länder im Ausbau erneuerbarer Energien und in Klimaschutzfragen überflügeln. Die Schweiz als «salle d’exposition»: erreicht über Eingriffe in der Stromproduktion, namentlich Technologiegebote und -verbote sowie Subventionen für Grünstrom, ergänzt um Vorgaben für Energieforschung und Berufsbildung.
Nicht der Staat sollte über Fortschritt entscheiden. Innovationen entstehen vor allem dann, wenn sich Unternehmen am Markt behaupten müssen und im Wettbewerb um die Gunst der Kunden stehen. Die Chancen auf wirtschaftliche Eigenständigkeit sind dann ungleich besser: Wenn der Wettbewerb spielt, müssen sich technologische Entwicklungen auch rechnen. Umgekehrt sind Subventionen bestens dazu geeignet, den kommerziellen Erfolg der direkt oder indirekt Abhängigen zu erschweren oder zu verhindern.
Kunden nicht vergessen
Das Beratungsunternehmen Arthur D. Little verweist in einer Analyse des Geschäfts mit erneuerbaren Energien auf diese Problematik. Speziell der Photovoltaik-Sektor zeige, dass «Fast Follower» und «Last Mover» heute häufig erfolgreicher am Markt seien als die «Pioniere». Vor allem diejenigen Unternehmen hätten sich behauptet, die wettbewerbsfähige Kosten- und Preisstrukturen im Blick hätten und mit reifen Technologien am Markt vertreten seien. Entscheidend seien Bemühungen um strategische Innovationen, die den Kunden wichtig seien, schreiben die Berater. Diese beträfen im vorliegenden Fall vor allem die Energiekosten.
Obwohl Deutschland wegen umfangreicher Einspeisevergütungen einer der wichtigsten Endkundenmärkte für Photovoltaikanlagen geworden ist, mussten zahlreiche deutsche Solarproduzenten Konkurs anmelden oder wurden von der Konkurrenz aufgekauft. Namhafte Industrievertreter wie Siemens oder Bosch haben sich aus dem Solargeschäft verabschiedet. Auch in Asien und den USA haben Überkapazitäten in der Produktion und die anschliessende Konsolidierung ihren Tribut gefordert. Doch diese Unternehmen sind heute global führend.
So wie deutsche Solarhersteller nicht den Weltmarkt beherrschen, wird auch die Schweiz nicht der ganzen Welt Cleantech verkaufen können. Sie läuft vielmehr Gefahr, dass andere später und mit deutlich weniger Aufwand auf den Zug aufspringen und dass Fördergelder sowie weitere staatliche Massnahmen wirkungslos verpuffen. Umgekehrt droht eine unnötig komplexe, ineffiziente und teure Stromproduktion für den Werkplatz Schweiz zum Klotz am Bein zu werden.
In der EU sind die Energiekosten zum Thema geworden. Seit 2008 seien die Energiepreise in beinahe jedem Mitgliedsstaat gestiegen, vor allem aufgrund von Steuern und Abgaben, aber auch wegen höherer Netzkosten, teilte die EU-Kommission in der Vorwoche mit. Das wachsende Preisgefälle könnte die Wettbewerbsfähigkeit Europas und vor allem der energieintensiven Branchen untergraben. Der Umgang mit erneuerbaren Energien und die Folgen für den Strommarkt liefern Diskussionsstoff .
Wer die Kosten der Eingriffe im Energiesektor trägt, macht in Deutschland die Antwort der Bundesregierung an die EU-Kommission deutlich, die sie im Verfahren über die Befreiung energieintensiver Unternehmen von der Ökostrom-Umlage abgab. Die Regierung weist darauf hin, dass «hier keine Zahlungen aus staatlichen Kassen fliessen». Der Staat habe lediglich Rahmenbedingungen geschaffen, «die dafür sorgen, dass Gelder zwischen privaten Akteuren interessengerecht verteilt werden». Umverteilt wäre wohl eine passendere Formulierung.
Nicht nur die Finanzierung, auch die Sicherstellung der Energieversorgung wird mit einem raschen und überambitionierten Ausbau erneuerbarer Quellen zur Herausforderung. In Deutschland scheinen die Unternehmen zunehmend das Vertrauen in das Stromnetz zu verlieren. Die Nachfrage nach Anlagen zur Überbrückung von Blackouts steige, ist zu lesen. Hintergrund ist die Zunahme kurzer Stromausfälle und deutlicher Spannungsschwankungen im Netz mit dem steigenden Anteil unregelmässig anfallender Solar- und Windenergie.
Im Inland werden inzwischen auch Bildung und Forschung im Sinne der Energiestrategie reformiert. Interuniversitär vernetzte Schweizer Forschungskompetenzzentren sollen die für eine Umsetzung «nötigen Innovationen» fördern. Für den Aufbau der Zentren sind 72 Mio. Fr. bis 2016 vorgesehen. Erst vor wenigen Tagen kündigte der Bund ausserdem eine Initiative an, mit der «besser ausgebildete Fachkräfte zur Umsetzung der Energiestrategie» bereitstehen sollen.
Wissen über die Umsetzung geeigneter Technologien beim Bauen, in der Industrie sowie in der Infrastruktur – wie Elektrizitätswerke, Netze, Kläranlagen – sei vorhanden, werde aber noch zu wenig angewendet, heisst es. Die Bildungsinitiative will diesen «Wissenstransfer im Energiebereich beschleunigen und qualitativ aufwerten». Dafür sind jährlich 7 Mio. Fr. budgetiert. Nun fragt sich, wer bisher grosse und kleine Kraftwerke in der Schweiz aufgestellt, wer die Netze gewartet und erneuert und wer Installationen in Gebäuden vorgenommen hat, wenn nicht gut ausgebildete Fachkräfte?
Keine Denkverbote
Viel sinnvoller wäre es, wenn sich der Staat in der Energiebildung und Forschung auf die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen beschränken und Wissenschaft sowie Wirtschaft keine Denkgebote und -verbote auferlegen würde. Es ist nicht einzusehen, warum in der Atomkraft nicht genauso geforscht werden soll wie im Bereich der Wind- und Solarkraft. Ziel sollte es sein, eine möglichst sichere, günstige sowie, falls angestrebt, auch klimafreundliche Stromversorgung zu erreichen und sich nicht auf möglichst ineffiziente und unsichere Technologien zu beschränken.
Es bleibt der Eindruck zurück, dass der Umbau des Energiesystems in der Schweiz zum Prinzip erhoben wird. Leider scheinen die Architekten der Energiestrategie nicht sehen zu wollen, dass alles seinen Preis hat. Besonders hoch ist dieser Preis, wenn die für Subventionen eingesetzten Mittel anderweitig effizienter und gewinnbringender eingesetzt werden könnten. Zum Beispiel für Technologien, an die heute noch gar niemand denkt und die deshalb nicht im staatlichen Förderplan enthalten sind.
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Industriepolitische Irrwege
Die Energiestrategie des Bundes soll Schweizer Unternehmen neue Wachstumsmärkte eröffnen. Der Erfolg der Massnahmen darf bezweifelt werden. Ein Kommentar von FuW-Redaktorin Claudia Carl.