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Hans-Ulrich Obrist, Ausstellungsmacher und künstlerischer Leiter

Er ist von der seit Wochen andauernden globalen Entwicklung hörbar mitgenommen. «Es ist eine Katastrophe, was derzeit abgeht», sagt Hans-Ulrich Obrist. Und das ist keinesfalls mit Blick auf die eigene Situation gemeint. Der 51-jährige Zürcher zählt zu den global einflussreichsten Ausstellungsmachern und ist seit 2016 der künstlerische Leiter der Serpentine Gallery in London. Das Kunstmuseum inmitten des Londoner Hyde Park zählt zu den wichtigeren Institutionen im Bereich der zeitgenössischen Kunst. Allerdings musste Obrist, in der Branche oft nur mit seinen Initialen HUO genannt, Mitte März die Serpentine Gallery temporär schliessen – und dies ausgerechnet im Jubiläumsjahr, in dem die Galerie den fünfzigsten Geburtstag feiert. Kurz darauf verhängte die britische Regierung einen Lockdown mit einer äusserst restriktiven Ausgangsregelung, weshalb wir ihn für das Gespräch nur noch telefonisch erreichen können.
Neben denen, die am Coronavirus erkranken, liegen Obrist derzeit vor allem seine Angestellten («ich konnte zum Glück alle Stellen retten») sowie die Kunstschaffenden im Allgemeinen am Herzen. Denn gerade für Künstler sei die derzeitige Situation ein Desaster, sagt er. Die Frage sei, wie man gesellschaftlich mit diesen existenziellen Risiken für Kunstschaffende umgehe. Er sieht hier Galerien in einer Art Vorreiterrolle.
An Ideen fehlt es dem Schweizer nicht, trotz angespannter Situation sprudelt er vor Kreativität. Seine Vision ist ein viele Millionen Pfund teures öffentliches Kunstprojekt, das bestehende Institutionen retten und einer neuen Generation von Künstlern ein Podium bieten soll. «Letztmals gab es so was in den Dreissigerjahren während der Grossen Depression», sagt Obrist. Damals lancierte US-Präsident Franklin D. Roosevelt das Projekt Public Works of Art. Dieses Programm stützte an die 4000 Künstler und legte die Basis für 15 000 Kunstwerke. Dies sind nur zwei Zahlen, um die Dimensionen von Obrists Aufruf fassen zu können. Dabei ist es überhaupt nicht sein Naturell, nur in absoluten Grössen zu denken und zu agieren. Seine erste Ausstellung organisierte er als 23-Jähriger in der Küche seiner Wohnung in St. Gallen, wo er Politik und Ökonomie studierte. Unter anderem zeigte er Werke von Fischli/Weiss, die zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern der Schweiz gehören.
Ein anderes Thema, das ihn seit längerem beschäftigt, sind die Ökologie und die Endlichkeit der Ressourcen. Vor allem junge Künstler, so sagt er, würden diese Themen ernst nehmen und in ihre Werke einfliessen lassen. Genauso macht er sich auch Gedanken darüber, wie Kunst umweltfreundlicher werden kann – etwa mit dem Live Streaming von Kunstwerken, das das Verschicken um die halbe Erdkugel überflüssig machen würde. Oder etwa mit einem weiteren seiner unzähligen Projekte – «Do it». Dabei handelt es sich um eine Art Handlungsanweisung des Künstlers, die es anderen Personen ermöglicht, bei sich zu Hause quasi ein Kunstwerk in Eigenregie nachzubauen.
Ökologische Überlegungen haben auch dazu geführt, dass er seit Anfang Jahr deutlich umweltfreundlicher unterwegs ist. Obrist, der mit seiner Partnerin Koo Jeong-A, einer südkoreanischen Künstlerin, unweit der Galerie in South Kensington lebt, pflegte seine Weekendtrips in europäische Städte früher per Flugzeug zu absolvieren. Heute nimmt er primär den Zug – wenn dieser nach der Krise denn wieder regelmässiger fährt.
Der Zwangspause, die die Pandemie sowohl ihm wie auch der Serpentine Gallery auferlegt, versucht er einen kleinen positiven Effekt abzugewinnen. «Ich habe jüngst meine Meetings vom Büro nach draussen in den Hyde Park verlegt», sagt Obrist am Telefon. «Die Gespräche sind nun viel ergiebiger und effizienter. Das will ich in Zukunft beibehalten.» Für die Galerie hingegen ist die Zukunft bis auf weiteres dadurch definiert, flexibel bleiben zu müssen – bis der Lockdown gelockert wird. Zumindest lässt sein nächstes Ausstellungsprojekt eine solch vage Planung zu. «Ein grosses Projekt ist es», sagt Obrist und meint damit eine Toninstallation von Brian Eno, der sie speziell auf die Serpentine Gallery abstimmt. Eno ist im Bereich Rock und Pop als Musiker und Produzent eine Riesennummer, war Mitbegründer von Roxy Music und arbeitete mit Artisten aus verschiedenen Epochen wie David Bowie, U2 und Coldplay zusammen. Damit liesse sich der fünfzigste Jahrestag doch gebührend feiern.
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