Deutschland ist weder arm noch schwach. Das lässt sich belegen. Mit Zahlen in Grössenordnungen, wie sie uns im Laufe der Krise vertraut geworden sind: Das Bruttoinlandprodukt von 2,6 Bio. € brachte die Volkswirtschaft 2011 weltweit auf Platz vier. Im selben Jahr exportierte das Land für 1,1 Bio. € Waren, was in den globalen Handelsströmen hohen Einfluss sichert. Für 2012 erwartet das Ifo-Institut gar einen Handelsbilanzüberschuss über 170 Mrd. € – ein Weltrekord.
Gut gefüllt sind auch die privaten Schatullen: Gemäss Bundesbank summiert sich das private Geldvermögen auf 4,8 Bio. €. Die sagenumwobene schwäbische Hausfrau scheint weit verbreitet zu sein. Aus dieser Substanz an Weltklasseunternehmen und wohlhabender Bevölkerung sprudeln dieses Jahr geschätzt 600 Mrd. € Steuereinnahmen. Zum Vergleich: Die internationalen Kreditzusagen für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien betragen derzeit ca. 500 Mrd. €.
Fundamentaler Irrtum
Deutschland kann, so scheint es, auch ihm Rahmen einer Haftungsunion Europa über Wasser halten. Dies trägt dem wichtigsten Gläubiger der Eurozone aber den gehässigen Vorwurf ein, er wolle seine Schuldner unterjochen. Dem liegt ein fundamentales Missverständnis zugrunde. Frühere Schuldenkrisen haben gezeigt, wie abhängig auch die Gläubiger von ihren Schuldnern sind. Auch für Deutschland gilt «mitgehangen, mitgefangen».
Bisher lässt die deutsche Politik in der Krisenbewältigung viel offen. Das hat Gründe. Zum einen wirken immer noch historische Schuldgefühle nach. Diffamierungen, Deutschland strebe ein «Viertes Reich» an, provozieren dies gezielt. Darüber hinaus ist der eigene finanzielle Spielraum bei weitem nicht so komfortabel, wie dies im Ausland vermutet wird. Die Frage ist nur, wie lange im weiteren Verlauf der Krise – selbst dann, wenn sie nicht mehr so akut zu sein scheint – Deutschland den eigenen Haushalt im Griff halten kann. Dabei wird es durch die Haftungsübernahme für andere Euroländer immer mehr von deren Entwicklung abhängig.
Für einen deutschen Berufsparlamentarier sind diese Risiken bisher virtuell. In seiner Rechnung überwiegt der Nutzen der Mitgliedschaft in der Währungsunion eindeutig die Kosten einer Aufspaltung. Nur der Bankenrettungsfonds Soffin hat 2011 gut 13 Mrd. € Verlust verbucht – Hellas Schuldenschnitt wirkte sich hier aus.
Doch auf dem deutschen Finanzplatz belächelt man die etwas naive Ansicht, Deutschland sei der Stabilitätsanker der Währungsunion. Denn während viele deutsche Unternehmen wettbewerbsfähig sind, gilt dies für die öffentlichen Institutionen kaum. Zwischen Bodensee und Rügen ist die öffentliche Hand für Ineffizienz bekannt, das Debakel um den neuen Flughafen Berlin ist nur eines vieler Beispiele. Hehr sind dafür die Ziele: «2016 hat die Bundesrepublik einen annähernd ausgeglichenen Haushalt», sagt das Finanzministerium. Schon als Deutschland 2002 erstmals die Maastricht-Schuldengrenze riss, hiess es: «Der Bundeshaushalt 2006 wird ohne Neuverschuldung abgebildet. Zum ersten Mal seit 1970 (…)». Doch seit 2002 sind die öffentlichen Schulden 800 Mrd. € auf 2,1 Bio. € gestiegen, die Schuldenquote erreicht heute rund 81%.
Angesichts der Überalterung, des mässigen Wachstumspotenzials und steigender Kosten für die Teilnahme an der Währungsunion wird die (finanzielle) Stabilität Deutschlands auf die Probe gestellt werden. Im Bundeshaushalt 2012, der 32 Mrd. € neue Schulden vorsieht, machen die Zinskosten stattliche 38 Mrd. € aus. Das ist weniger als die Kosten für Soziales (126 Mrd. €), aber mehr als für Militär (32) sowie für Verkehr und Infrastruktur (26).
Dabei geniesst das Land historisch niedrige Zinsen. Gemäss dem Ökonomen Jens Boysen-Hogrefe hat der Bund seit Anfang 2009 68 Mrd. € Zinskosten gespart. Das ist beträchtlich: Die geplanten Einsparungen des 2010 aufgelegten Sparpaket des Bundes sind nicht viel höher. Was aber, wenn die Renditen steigen werden, weil die Investoren auch von Deutschland eine höhere Risikoprämie verlangen?
Auf Ebene des Bundes bewerten die Ratingagenturen Deutschland noch mit Triple-A. Auf Ebene der Länder und Kommunen sieht das Bild weniger rosig aus. Die Absicht des Bundes mehr zu sparen, geht auch zulasten der Länder, die bisher vom komplexen Haftungsverbund mit dem Bund profitieren. Zugleich frisst sich die Verschuldung von unten hoch.
Die kommunalen Körperschaften haben kaum Steuerautonomie und sind gerade deshalb ein Frühwarner. 2012 dürften die Kassenkredite der Gemeinden bei Banken – eine Art Überziehungskredit – auf 50 Mrd. € steigen. Vor zehn Jahren betrugen sie noch 10 Mrd. €. Rund sechzig Städte erhalten in Nordrhein-Westfalen bereits Landeshilfen. Das Land Hessen hat einen kommunalen Rettungsschirm über 2,8 Mrd. € aufgelegt, der «überwältigende Resonanz» fand. Im Hochtaunuskreis, wo die Kaufkraft Spitzenniveau erreicht, erhöhen Gemeinden ihre Grundsteuer drastisch. Frankfurt selbst hat seit vier Jahren ein Defizit von 1,1 Mrd. € akkumuliert. Deutschlandweit liegt die kommunale Investitionsquote auf Tiefstand, nötige Projekte werden jahrelang hinausgeschoben.
Mehr Haftung als Mitsprache
Sollten nun aus Kreditzusagen für andere Euroländer Verluste anfallen, werden Politiker und Wähler die Kosten-Nutzen-Rechnung der Eurozugehörigkeit womöglich neu aufmachen. Immer mehr könnte sich die Sicht durchsetzen, Deutschland sei gefangen im Eurosystem. Über die Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) werden – ohne parlamentarische Mitsprache – Risiken sozialisiert. Entsprechend seinem Anteil am Eurozone-BIP haftet Deutschland mit gut 27%.
Sollte die EZB darauf verzichten, dass die von ihr angekauften Anleihen aus Krisenländern im Restrukturierungsfall Vorrangstatus geniessen, könnten die Folgen für Deutschland beträchtlich sein. Käme es zu Verlusten, würde der deutsche Steuerzahler via Bundesbank zur Kasse gebeten. Hier liegt die Achillesferse von Deutschlands Zugehörigkeit zum Euro.
Auch wenn eine Vergemeinschaftung der Schulden im Euroraum eine Zeit lang Luft verschaffen könnte: Die Reserve für Rückschläge ist gering. Sollte die Wirtschaft in Deutschland stagnieren, geraten öffentliche Haushalte und Wählermeinungen ins Rutschen. In der Vergangenheit versäumte Hausaufgaben verkürzen die Entscheidungszeit. Offen ist, über welches Ventil sich aufbauende Spannungen entladen und wie strapazierfähig der deutsche Steuerzahler ist. Ein Blankoscheck für die Währungsunion ist dies nicht.
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Kein Blankoscheck für die Währungsunion
Deutschland wird im Ausland überschätzt. Das Land, das Haushaltdisziplin von anderen Euroländern verlangt, hat selbst hohe Schulden. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Dietegen Müller.