Die heutige Situation in der Weltwirtschaft ist einmalig und nicht vergleichbar mit früheren historischen Episoden. Die Demografie in den meisten Industriestaaten, inklusive der Schwellenländer wie China, bietet mit Bevölkerungsstagnation und Überalterung keine guten Voraussetzungen für Wachstum. Die Überschuldung der Wirtschaftssysteme der Industrieländer – wiederum inklusive Chinas – ist ein gewichtiger Bremsfaktor. Dass zudem unsere Sozialsysteme ohne einschneidende Massnahmen nicht mehr finanzierbar sein werden, leuchtet jedem ein, der mit Zahlen umgehen kann.
Neben diesen Wachstumsbremsen engt die zunehmende Regulierung das Wirtschaftspotenzial ein. Mit diesem Blick wird klar, dass der Wohlstand der breiten Massen in der industrialisierten Welt über längere Zeit erodieren wird. Unsere Wirtschaftssysteme sind auf anhaltende Expansion aufgebaut; in einer Zukunft mit nur geringfügigem Wachstum oder gar Stagnation – besonders in Europa – werden von Zeit zu Zeit systemische Krisen auftreten und Anpassungen erzwingen. Die USA haben dank ihrer dynamischeren Demografie bessere Voraussetzungen, während sich Europa mit der Fehlkonstruktion Euro ein zusätzlich bremsendes Korsett verpasst hat.
Und der Hoffnungstreiber China? Die Volksrepublik hat einen exzessiven, kreditfinanzierten Investitionsboom hinter sich und wird nun einige Jahre durch eine schmerzhafte Anpassung gehen müssen, was ihr Wachstum deutlich hemmen wird. In den meisten Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas wird dies Bremsspuren hinterlassen.
So weit die Bestandesaufnahme: Solange der Schuldenüberhang in unserem System nicht abgebaut ist, wird das Wachstum der Weltwirtschaft grundsätzlich dürftig sein. Wie soll der Investor mit dieser Situation umgehen?
Obligationen mit einem KGV von 50
Der Bondmarkt hat eine dreissigjährige Hausse hinter sich. Der in den frühen Achtzigerjahren begonnene Trend sinkender Zinsen ist heute bei 0% am Geldmarkt und 1% im Bereich der Obligationen abgeschlossen. Heisst das, die Zinsen werden bald markant steigen? Nein. Die verbreitete Angst vor steigenden Zinsen ist vorderhand unbegründet, obschon der Zinszyklus über mehrere Jahrhunderte einen klaren Rhythmus mit Auf- und Abwärtsbewegungen von jeweils etwa dreissig Jahren Dauer zeigt.
Gewiss, die Zinsen könnten aus mehreren Gründen steigen. In bester Erinnerung ist der inflationsbedingte Anstieg der Siebzigerjahre. Er basierte auf exzessiver Geldschöpfung der Notenbanken nach dem Ende des Goldstandards, was bei damals geringer Verschuldung und dynamischer Demografie die Teuerung anfachte.
Heute ist die Ausgangslage jedoch anders. Die Verschuldungsgrenzen sind vielerorts erreicht, und damit kann die Endnachfrage in unseren Volkswirtschaften nur noch im Gleichschritt mit den Einkommen wachsen – oder weniger, falls die Individuen vermehrt eigenverantwortlich vorsorgen müssen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Wachstum respektive Inflation mit Geldschöpfung der Notenbanken nicht so einfach erreichbar sind. Der Grund liegt in den ungünstigen Rahmenbedingungen, gekoppelt mit einem unterkapitalisierten Bankensystem, das nicht mehr im grossen Stil Kredite schöpfen kann.
Ein zweiter Grund für höhere Zinsen kann im Zahlungsausfallrisiko eines Schuldners liegen. Die Kräfte haben wir in Europas Peripheriestaaten in den letzten Jahren bereits gesehen. Dieses Risiko wird weiter steigen. Das sollten sich besonders Renditejäger merken, die teils unverantwortlich hohe Risiken am Bondmarkt eingehen.
Drittens können Staaten mit eigener Währung über massive Abwertungen ihre Wettbewerbsposition kurzfristig verbessern, um aus der Stagnation auszubrechen. Eine fallende Währung wird aber steigende Zinsen bewirken, sodass Anleger von zwei Seiten in die Zange kommen. Die grossen, von Renditejagd getriebenen Kapitalflüsse der letzten Jahre in die Schwellenländer haben im Mai abrupt gedreht. Damit wird ein Prozess in Gang gesetzt, der die Risiken in Schwellenländeranlagen deutlich erhöht.
Es ist unausweichlich: Viele Volkswirtschaften sind zu harten strukturellen Anpassungen gezwungen, die in Demokratien nur über Krisen durchsetzbar sind. Das Verhindern solcher Krisen durch die Geldpolitik ist nur Aufschub, aber keine Lösung. Entsprechend ist für die kommenden Jahre ein Umfeld mit niedrigem Wachstum oder Stagnation, niedriger Teuerung und schwankenden Zinsen auf tiefem Niveau wahrscheinlich. In den Industrieländern wird die Teuerung wohl lange Zeit im Bereich von null bis 2% liegen, was für Obligationen mit längerer Laufzeit ein Renditeniveau von 1 bis 3% ergibt.
Diese Situation ist für Anleger fatal. Ein Renditeniveau von 2% für Obligationen entspricht einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 50. Für ein Asset ohne Wachstumspotenzial ist das unattraktiv. Wenn bei Preisschwankungen wie in den letzten beiden Monaten die Verlustrisiken mehr als drei Jahrescoupons ausmachen, so zeigt dies das ungünstige Chancen-Risiko-Profil deutlich auf. Damit haben Anleger den festen Anker, den Festverzinsliche für Depots in den letzten dreissig Jahren boten, auf Jahre verloren.
Früher galt: Wer gut schlafen will, kauft Obligationen, und wer gut essen will, kauft Aktien. Wer sich bei Anlagen an den Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg und der im Ausmass einmaligen Zinssenkungsperiode der Achtziger und Neunziger orientiert, sieht Aktien als grosse Gewinner. Aber heute sind die Aussichten anders. Zudem sind Steueroptimierungen der Konzerne ausgereizt, und auch Sparprogramme lassen sich nicht ewig fortsetzen. Selbst in den USA sind Gewinnmargen und Ertrag der Unternehmen in den letzten vier Quartalen erodiert.
Vorsicht mit zu hohen Erwartungen
Die Bewertung von Aktien hängt vom Zins und vom erwarteten Wachstum ab. Je niedriger der Zins – und jetzt sind wir unten angekommen –, desto höher die Bewertung. In den nächsten Jahren wird es unter Anlegern lange Gesichter geben, weil ihre Erwartungen sich an den guten alten Zeiten orientieren, die sich aber ohne vorherige Bereinigung so nicht wiederholen lassen. Japans Tiefzinsphase ohne Wachstum hat gezeigt, dass daraus keine starken Aktienmärkte folgen.
Wahrscheinlicher als eine neue Jahrhunderthausse – die nur bei einer namhaften Inflationierung möglich wäre und grosse systemische Verwerfungen zur Folge hätte – ist, dass die Realität weiterhin Richtung zyklisch schwankender Kurse geht, wobei der Markt heute im Bereich der oberen Bandbreite liegt. Opportunistisches Timing und Selektion werden wichtiger, während statisches Buy and Hold enttäuschen wird.
Dieses Umfeld birgt durchaus Chancen. Es ist nicht auszuschliessen, dass eine kleine Anzahl von Qualitätsaktien – von Unternehmen mit starker Bilanz, soliden Margen und stetiger Ausschüttung – mit höheren Bewertungen belohnt wird. Diese Art von Aktien, nennen wir sie die neuen «Nifty Fifty», wird sich in der nächsten zyklischen Börsenkorrektur herauskristallisieren, indem sie Resistenz gegen den Abschwung zeigen.
Vor Illusionen sei jedoch gewarnt, denn die Kursleistung breiter Aktienindizes wird über längere Dauer im tiefen bis mittleren einstelligen Bereich liegen. Das ist zwar mehr, als mit Obligationen zu erzielen ist, aber eine Wochenschwankung am Aktienmarkt kann die ganze Jahresrendite auslöschen. Anleger sollten einsehen, dass höhere Performanceerwartungen mit Aktien nur erfüllt werden, wenn sich die Welt «erfolgreich» inflationiert, was dann aber andere unerfreuliche Konsequenzen hätte.
In diesem ernüchternden Umfeld können sich die Währungsrelationen rasch ändern, da Staaten versuchen werden, ihre Probleme über Währungsmanipulation zu lösen – wie Japan heute. Wenn meine These niedriger Inflation richtig ist, so reduziert sich schliesslich auch die Attraktivität von Gold. Allerdings werden Systemrisiken so lange auftreten, bis der Schuldenüberhang abgebaut ist. Entsprechend behält Gold seine Schutzfunktion gegen Systemrisiken und extreme geldpolitische Experimente.
Die kommenden Jahre werden enorm anspruchsvoll. Anleger sollten sich darauf vorbereiten.
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Magere Jahre für Kapitalanleger
Die Erwartungen grösserer Kursgewinne mit Aktien werden nur erfüllt, wenn sich die Welt «erfolgreich» inflationiert – was aber unerfreuliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ein Kommentar von Felix W. Zulauf.