Miteinander sprechen
Mit jedem Weltwirtschaftsgipfel geht etwas mehr vom ursprünglichen Geist der Treffen verloren.
Mit jedem Weltwirtschaftsgipfel geht etwas mehr vom ursprünglichen Geist der Treffen verloren. Als informeller Gedankenaustausch von Spitzenpolitikern ohne bürokratische Hürden organisiert, trafen sich 1975 sechs Staaten (USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und Italien) zum ersten Mal im französischen Rambouillet. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnete das erste Treffen häufig als intim. Zwar sei dieser Charakter schon bald verloren gegangen, jedoch gestand er ihnen auch später noch zu, einen zwanglosen Meinungsaustausch über Wirtschaftsprobleme ermöglicht zu haben. - Um Wirtschaftsfragen alleine geht es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Je nach der tagespolitischen Aktualität stehen häufig aussen- oder sicherheitspolitische Positionsbezüge im Vordergrund. Das dürfte diesmal kaum anders sein. Zwanglos und intim sind die Gipfel ebenso wenig. Dagegen sprechen überfrachtete Themenkataloge, offizielle Akte sowie permanente Sicherheitsprobleme – auch wegen der Protestdemonstrationen am Konferenzort. - Vom Wunsch der französischen Gastgeber, den Gipfel auf das Thema Afrika zu fokussieren, blieb wenig übrig. Statt einer überragenden Fragestellung finden sich viele Politikfelder auf dem zweieinhalbtägigen Gipfelprogramm (von Sonntag bis Dienstagvormittag). Präsident Jacques Chirac bündelte zwar die breite Agenda in vier Themenbereiche: Solidarität, Verantwortlichkeit, Sicherheit und Demokratie. Aber sie sind zu wenig konkret, um eine konzise Debatte zu garantieren. - Wie breit gefächert die Konferenz angelegt sein wird, belegt auch eine Untersuchung der Universität von Toronto. Demnach stieg die Zahl der an Gipfeltreffen von Finanzministern getroffenen Bekenntnisse (commitments) in den vergangenen anderthalb Jahren deutlich. Auf dem Vorbereitungstreffen für den Evian-Gipfel in Deauville wurden 24 Bekenntnisse abgegeben. Am entsprechenden Anlass in Halifax ein Jahr zuvor kamen die Minister mit 12 aus (siehe Tabelle). In Deauville bekannten sich die EU-Minister dazu, die Innovation zu forcieren und die Reformen auf den Arbeits-, Produkte- und Kapitalmärkten zu beschleunigen, um eine flexiblere Wirtschaft zu erlangen. Bleibt abzuwarten, ob den guten Vorsätzen auch Taten folgen werden. - Auch wenn der Gipfel in Evian kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Ursprung von Rambouillet aufweist: Die Rahmenbedingungen sind diesmal kaum besser. Damals wie heute befand sich die Weltwirtschaft in einer Krise. Nur galt es 1975 die Inflation zu bekämpfen, während derzeit deflatorische Risiken überwiegen. Man habe in Rambouillet begriffen, wie wichtig es sei, wirtschaftspolitisch aufeinander Rücksicht zu nehmen, um die Fehler der Dreissigerjahre zu vermeiden, als um die Wette abgewertet wurde, erinnert sich Schmidt in seinen Memoiren. - Wenn die Spitzen der acht Regierungen nur in diesem Punkt überzeugt Einigkeit finden, hat sich der Gipfel bereits gelohnt. Das mag eine Minimallösung sein. Richtig. Nur: In Zeiten, in denen die Regierungschefs Deutschlands und der USA nicht einmal mehr miteinander telefonieren, erhalten persönliche Zusammenkünfte plötzlich wieder eine neue Bedeutung.AN