Neue historische Tiefstände – Ergebnisrevisionen setzen ein Kabutocho geht in die Knie
Nach einem ruhigen Verlauf bis zum Donnerstag brach die Börse in Tokio am Freitag doch noch ein.
Nach einem ruhigen Verlauf bis zum Donnerstag brach die Börse in Tokio am Freitag doch noch ein. Die sehr deutlichen Worte von Präsident Bush am Vorabend hatten sicher eine Rolle gespielt, doch auch die typischen hausgemachten Herausforderungen dürften die Aktien unter Druck gesetzt haben. Kurz vor dem Ende des Fiskaljahres Ende März hat nun, ein wenig verspätet, die «Beichtperiode» eingesetzt. Die Unternehmen schauen tief in die Bücher, erinnern sich ihrer Prognose vom April oder Mai vergangenen Jahres und nehmen dann, sofern nötig, Retuschen vor. Per saldo verlor der Nikkei-225-Index 219 oder 2,6% auf 8144,12 (am Freitag –2,7%). Der breite Topix gab beinahe 23 oder 2,8% auf 796,17 nach. Das ist der tiefste Stand seit August 1984, und der Nikkei notiert mittlerweile sogar auf dem Niveau von März 1983. Der Index wurde jedoch an Ostern 2000 derart rabiat verändert, dass ein Vergleich mit dem Stand von damals nicht sinnvoll erscheint. - An der Börse war das Volumen mit durchschnittlich knapp 900 Mio. Aktien recht ansprechend. Am Obligationenmarkt rutschte die Rendite der zehnjährigen Referenzanleihe auf ein neues Rekordtief von 0,73%; die japanische Währung tendierte zum Dollar etwas fester. Der Greenback kostete zum Wochenende gut 117 Yen. - Am Donnerstag passte Asahi Glass, Japans führender Glasproduzent, die Prognose für das Fiskaljahresende den veränderten Realitäten an. Die Prognose für den Betriebsgewinn wurde leicht erhöht, was auf ein gutes laufendes Geschäft schliessen lässt – die Wahrscheinlichkeit, dass etwa im Flachbildschirm eine Komponente aus dem Hause Asahi steckt, ist ziemlich gross. Gleichzeitig wurde die Prognose für den Vorsteuer- und den Nettogewinn leicht nach unten revidiert. Das ist die Folge der Neubewertung einer US-Tochter – «Altlasten» und daher nicht sonderlich relevant, mögen wohlmeinende Beobachter sagen. Stimmt, nur: Diese «Altlasten» wollen entsorgt sein, und ausserdem pflegen immer neue «Altlasten» nachzuwachsen. - Den Vogel in dieser Hinsicht schoss am Donnerstag Nippon Steel ab. Wie die verbliebene Konkurrenz revidierte Japans grösster Stahlhersteller die Prognosen nach unten. Aus einem geschätzten Gewinn von 25 Mrd. Yen (280 Mio. Fr.) wurde ein Verlust von 45 Mrd. Yen. Das laufende Geschäft ist, wie für Asahi - Glass, kein Problem – mehr Umsatz, deutliche Margenverbesserung. - Der Pferdefuss ist ein anderer: Nippon Steel Chemical. Das Unternehmen wird von der Mutter zwar voll konsolidiert, doch nur zwei Drittel der ausstehenden Aktien sind in ihrem Besitz. - Die Tochter stellte die Zahlung von Dividenden 1992 ein, machte seitdem fast regelmässig Verlust und verabschiedet sich jetzt mit einem Defizit von 32 Mrd. Yen – einem Vielfachen des bilanzierten Eigenkapitals. Nippon Steel wird die Minderheitsaktionäre über einen Aktientausch auszahlen und Chemical dann dekotieren. Diese Minderheitsaktionäre sind (wen wundert’s) Banken sowie mindestens zwei ETF (Exchange traded funds). ETF erfreuen sich wachsender Beliebtheit, bilden in der Regel den Topix nach (überspitzt gesagt würden die Indexfonds auch Mondgestein kaufen, wenn es in Tokio kotiert wäre) und sind ein populäres Instrument zur Entledigung der Kreuzbeteiligungen. - Zudem ist Nippon Steel gezwungen, den Buchwert seiner Kreuzbeteiligungen – Banken, Banken und nochmals Banken – den Marktverhältnissen anzupassen, was einen Eindruck von der Talfahrt dieses Sektors vermittelt, wurden diese Kreuzbeteiligungen doch vor mindestens drei Jahrzehnten etabliert. Doch vielleicht hat Nippon Steel im Laufe der Jahre auch stille Reserven aufgelöst, also die Bankaktien peu a peu höher bewertet. In jedem Fall sind diese Reserven aber jetzt verloren. - Am Freitag zeichnete die Korrektur der Resultatschätzungen von Mitsubishi Paper, Dai Nippon Ink und Takashimaya ein ähnliches Bild: Das Geschäft lief gar nicht schlecht, doch «Sondereinflüsse» drücken auf das Ergebnis. In diesem Stil wird es bis Mai weitergehen. - Thomas Krümmel, UBS Zürich