Nie seit dem Ausbruch der Schuldenkrise vor fünf Jahren stand der Verbleib Griechenlands in der Währungsunion so sehr auf Messers Schneide wie in diesen Wochen. Das liegt nicht so sehr an den schwindenden Reserven der Regierung in Athen. Schon im Mai 2010 und im Februar 2012 fehlte das Geld. Beide Male rauften sich die EU und der IWF sowie Athen zusammen und flossen die Mittel, selbst wenn zuvor heftig gestritten worden war.
Diesmal ist die Lage anders. Erstens in Athen: Die früheren griechischen Regierungen hatten ein finanzielles Interesse daran, die wirtschaftspolitischen Prämissen des IWF und der Eurogruppe grundsätzlich zu akzeptieren. Für die links-nationalistische Regierungskoalition Tsipras gilt das Gegenteil. Sie kam mit dem Wählerauftrag ins Amt, genau diese Prämissen abzulehnen und eine Alternative durchzusetzen.
Zweitens bei den Europartnern: Sie sind sich inzwischen bewusst, dass die Rettungspolitik zugunsten Griechenlands gescheitert ist. Aber viele amtierende Regierungen, die in den kommenden ein, zwei Jahren Wahlen bestreiten müssen, fürchten die wachsende Euroskepsis, die der Opposition in die Hände spielt. Sie sind deshalb nicht bereit, sich inhaltlich mit den griechischen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Denn das könnte als Beleg verstanden werden, dass sie gutes Geld schlechtem hinterherwerfen.
Der Elan der Regierungen, neu zu gestalten, ist völlig verschwunden. Die Lage erinnert an einen schlechten Film im Fernsehen, dem alle zuschauen. Aber statt das Programm zu wechseln, zieht man lieber den Stecker. Diese Passivität rührt auch daher, dass die Protagonisten den Worst Case nicht mehr fürchten.
Erstaunlicherweise reagieren die meisten Finanzmarktexperten ebenfalls gelassen auf die sich abzeichnende Eskalation der Ereignisse. Ein «Grexit» – das Ausscheiden Hellas’ aus der Eurounion mit anschliessender Abwertung um mindestens 40% – oder ein sonstiger Zwischenfall – die FT spricht vom «Graccident» – lösten an den Märkten nur temporär Verluste aus, mehr nicht, sind viele überzeugt. Vertraut wird auf die Rettungsschirme und die EZB, den Rückgang der Bankenforderungen in Hellas und auf die Bankenunion.
Allerdings weiss niemand, was genau geschehen würde. Vergleichbares hat sich noch nirgendwo ereignet. Auch ist zu bezweifeln, dass die neu geschaffenen Einrichtungen als Brandmauer ausreichen. Der IWF warnte dieser Tage vor der engen finanziellen Verflechtung von Versicherungen mit den Banken in Europa, die im Krisenfall rasch zu Ansteckungen führen könne. Goldman Sachs gibt zu bedenken, dass die Finanzbranche ihre Engagements in Hellas zwar deutlich abgebaut habe, aber trotzdem das Risiko bestehe, dass bei einem «Grexit» Bankkunden in anderen Peripherieländern massiv Einlagen abzögen. So träten sie eine Bankenkrise los, die heute alle für unmöglich hielten.
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Niemand fürchtet den «Grexit»
Die Fronten im griechischen Schuldenstreit verhärten sich. Vor allem die Eurostaaten weigern sich, aktiv auf eine Lösung hinzuarbeiten, aus Furcht, dadurch der Opposition in die Hände zu spielen. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Andreas Neinhaus.