Der Geldmangel der Ökonomen
Wächst Geld wirklich nicht auf Bäumen?

Wächst Geld wirklich nicht auf Bäumen? Wer weiss … Foto: Pixabay, Pexels
Worum geht es in der ökonomischen Wissenschaft? Die meisten würden wohl sogleich antworten: ums Geld. Die Wahrheit ist, das Geld und mit ihm das gesamte Finanzwesen wurde in diesem Fach über die letzten Jahrzehnte sträflich vernachlässigt.
Geld wurde meist nur als Schmiermittel betrachtet, das «exogen», also von aussen irgendwie ins Spiel kommt. Seine Herkunft und die mit ihm verbundene Funktion der Notenbanken und der Finanzbranche haben in den Details wenig interessiert. Selbst in Lehrbüchern wurde das Thema mit ein paar wenigen Formeln zu Geldnachfrage und -angebot abgehandelt.
Es war die wohl wertvollste Leistung der Vollgeldinitiative, die gestern vom Schweizer Volk wuchtig abgelehnt wurde, dass sie diesen Mangel an Wissen offengelegt hat, selbst wenn dieses Mangelwissen den Initianten die Aufgabe erschwert hat, ihr Anliegen zu vermitteln. Auch Debatten zum Thema scheiterten oft daran, dass die Leute aus Kenntnismangel aneinander vorbei geredet haben.

1963 hat James Tobin (1918-2002) die Funktion der Finanzbranche und der Notenbank bei der Geldschöpfung besser beschrieben als alle nach ihm. Foto: Keystone
Man würde meinen, es sei für eine ökonomisch geschulte Person ein Leichtes, so etwas Grundlegendes wie die Entstehung des Geldes zu erklären. Das Gegenteil ist der Fall. Allein um die Frage des Geldschöpfungsprozesses ist ein heftiger Streit entbrannt – auch unter Ökonomen. Viele wurden selbst nach einem Wirtschaftsstudium zum ersten Mal überhaupt mit dieser Frage konfrontiert.
Dabei ist hier nichts neu – auch nicht beim Wissen um die Zusammenhänge. Doch dieses Wissen ging angesichts der Vernachlässigung der Zusammenhänge stark in Vergessenheit. Das zeigt ein Aufsatz aus dem Jahr 1963 . Vor 55 Jahren hat der Ökonom und spätere Nobelpreisträger James Tobin die Funktion der Finanzbranche und der Notenbank bei der Geldschöpfung besser zusammengefasst, als das moderne Studien oder Lehrbücher tun – geschweige denn, was in den öffentlichen Auseinandersetzungen dazu zu erfahren war.
Finanzkrise war «so gut wie ausgeschlossen»
Die Vernachlässigung des Geldes und der Funktionsweise der Finanzbranche in der ökonomischen Wissenschaft war auch mitverantwortlich für die Finanzkrise vor zehn Jahren, weil sie für die meisten Ökonomen wie aus heiterem Himmel kam. Das wäre etwa so, wie wenn Meteorologen nicht verstehen würden, was zu schweren Gewittern führt und noch am Vorabend eines solchen Entwarnung geben würden. Nur, dass die Ökonomen eine viel grössere Verantwortung tragen.
Denn was sie sagen, beeinflusst die Politik und die Regulierung und damit auch die Wahrscheinlichkeit von Krisen. Tatsächlich waren die meisten Ökonomen im Vorfeld der Finanzkrise der Meinung, was folgte sei angesichts der Erkenntnisse der Wissenschaft und der daraus abgeleiteten Politik von Regulierungsbehörden und Notenbanken so gut wie ausgeschlossen.
Die von Ökonomen empfohlene Politik bestand im Wesentlichen darin, möglichst wenig zu tun: Regulierungen waren verpönt, für die Notenbanken reichte es, wenn sie die Inflation im Auge behielten und notfalls an den Zinsen herumschraubten. Die Forderung nach mehr Eigenkapital bei den Banken wurde mit dem Argument abgeschmettert, dass dies die Rendite auf deren Eigenkapital schmälere und deshalb schlecht sei für die Aktionäre. Dass die höheren Renditen nur für höhere Risiken standen, interessierte nicht und wurde meist auch nicht verstanden. Schliesslich haftete am Ende der Staat, beziehungsweise seine Steuerzahler.
Das grösste Risiko einer weiteren Krise
Ja, heute sind die Regulierungen strenger. Doch dass der Erkenntnisstand rund ums Geld und die Auseinandersetzung damit sowohl unter Ökonomen wie in der Öffentlichkeit sich seit der Krise nicht wesentlich weiterentwickelt haben, bietet das grösste Risiko einer weiteren Krise. Denn Massnahmen und Regulierungen, die ein System stabilisieren sollen, sind nur so gut, wie sie Unterstützung geniessen. Und diese Unterstützung hängt vom Verständnis der Zusammenhänge ab.
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