Ein Lehrstück über zwei gescheiterte Volkswirtschaften
Zwei Länder am Rande Europas boomten, scheiterten und bekamen Hilfe. Doch nur eines der beiden Länder erholte sich.

Im Angesicht der Schuldenkrise: Island konnte sich erholen, während Griechenland weiter in der Depression steckt. (Photocase/MasterDomino)
Es waren einmal zwei Länder am Rande Europas. Beide waren aus weltwirtschaftlicher Sicht kaum relevant.
Beide erlebten in den Jahren zwischen 2000 und 2007 einen enormen, in der eigenen Geschichte beispiellosen Boom.
Bei beiden war dieser Boom von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland finanziert. Beide konnten sich günstig finanzieren. Und beide glaubten, die guten Zeiten würden nicht enden.
Nach der globalen Finanzkrise von 2008 geschah aber genau das: Die gute Zeit endete.
Beide stürzten ab . Und beide benötigten ein Unterstützungsprogramm des Internationalen Währungsfonds.
Danach entwickelten sich die beiden Volkswirtschaften unterschiedlich : Die eine erholte sich schnell. Die andere steckt weiterhin in einer Depression. Der Name der ersten Volkswirtschaft: Island. Der Name der zweiten: Griechenland.
Hier zunächst ein kurzer tabellarischer Überblick über die volkswirtschaftlichen Eckwerte Islands und Griechenlands seit 2007, zusammengestellt von der griechischen Ökonomin Margarita Katsimi und vom isländischen Ökonomen Gylfi Zoega (aus einem Beitrag auf voxeu.org ):

Die obere Tabelle zeigt Griechenland: In der zweiten Zeile die Wachstumsrate des Bruttoinlandproduktes (BIP); die Wirtschaftsleistung schrumpfte zwischen 2008 und 2013 um gut 25%. Auf der dritten Zeile die Arbeitslosenrate, die auf über 27 Prozent in die Höhe schoss.
Dann auf der vierten Zeile der Saldo der Leistungsbilanz (Current account), auf Zeile fünf die Staatsschulden im Prozent des BIP und auf Zeile sechs das Haushaltsdefizit, ebenfalls in Prozent des BIP.
Allesamt: desaströse Zahlen.
Nun zur unteren Tabelle: Island. Auch dort brach die Wirtschaft 2009 und 2010 um rund acht Prozent ein, schwenkte aber bereits 2011 wieder auf Wachstum um. Der Leistungsbilanzsaldo drehte 2013 deutlich in den positiven Bereich, die Staatsschuld ist von über 112 auf 96 Prozent des BIP gesunken.
Damit kein Missverständnis entsteht: Auch Island hat eine wirtschaftliche Katastrophe durchgemacht. Trotzdem hat sich das Land seit dem Absturz deutlich besser entwickelt als Griechenland.
Bleibt die Frage: Wieso?
Vorgängig jedoch eine Feststellung. Natürlich sind Island und Griechenland nur bedingt direkt vergleichbar, die Gründe für die jeweilige Krise sind verschieden, ebenso die Grösse, die Wirtschaftsstruktur und die Qualität der staatlichen Institutionen (die in Island hochstehend, in Griechenland jedoch seit Jahrzehnten erbärmlich schwach sind).
Trotzdem: Es lassen sich drei zentrale Gründe für die unterschiedliche Entwicklung identifizieren. Drei Gründe, die aus dem Vergleich zwischen Island und Griechenland ein allgemeines Lehrstück für alle Schuldenkrisen machen.
Gehen wir also diesen Gründen nach.
Erstens konnte Island von dieser Kleinigkeit profitieren (Quelle: Bloomberg):

Die Grafik zeigt den Wechselkurs der Isländischen Krone zum Euro. Die Krone wertete sich zwischen 2008 und 2009 von unter 100 Kronen je Euro auf über 180 Kronen je Euro ab (die steigende Kurve in der Grafik signalisiert eine Abwertung der Krone).
Danach hat sie sich um 160 Kronen je Euro stabilisiert und ist seit Anfang 2014 sogar wieder leicht auf 140 Kronen je Euro erstarkt.
Diese Abwertung der Krone um gegen 50 Prozent war extrem wichtig, denn dank ihr schrumpfte Islands Leistungsbilanzdefizit innerhalb eines Jahres von horrend hohen 23,7 Prozent auf unter 6 Prozent des BIP. Die Verringerung des Leistungsbilanzdefizits ist in einer Schuldenkrise deshalb so wichtig, weil dadurch die Abhängigkeit von Kapitalimporten aus dem Ausland sinkt.
Die Rezession in Island war mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 8 Prozent zwar hart, für die Bevölkerung aber nicht desaströs: Die Arbeitslosenrate erreichte im Höhepunkt 7,6 Prozent und hat sich seither auf 5 Prozent zurückgebildet.
Weil Griechenland als Mitglied der Europäischen Währungsunion keine autonome Geldpolitik betreiben kann, blieb dem Land das Instrument der äusseren Abwertung verwehrt. Das zeigt sich in der Tabelle oben im hartnäckig hohen Leistungsbilanzdefizit von über 10 Prozent.
Erst im Jahr 2012, nach vier Jahren Depression, gewaltiger Arbeitslosigkeit und einem Kollaps der Importnachfrage, begann Griechenlands Leistungsbilanzdefizit zu schrumpfen.
Die Möglichkeit der externen Währungsabwertung war für Island im direkten Vergleich mit Griechenland also enorm hilfreich. Sie ist jedoch nicht der einzige Grund für die unterschiedliche Entwicklung.
Ein zweiter Grund liegt in der Art der Schuldenkrise: In Island ereignete sich der Exzess in den Jahren vor 2008 im privaten Bankensektor. Die drei wichtigsten Banken des Landes geben sich einem irrwitzigen Grössenwahn hin und blähten ihre Bilanzen mit ausländischem Fremdkapital auf.
Als die isländische Blase platzte, waren es also private Schuldner, die weitgehend privaten Gläubigern gegenüberstanden. Sie taten, was private Schuldner tun, wenn sie hoffnungslos überschuldet sind und ihre Verpflichtungen nicht mehr bedienen können: Sie gingen pleite und bezahlten nicht mehr. Die Gläubiger der kollabierten isländischen Banken mussten ihre Forderungen abschreiben, die faul gewordenen Schulden verschwanden.
Das war zwar bitter für die ausländischen Gläubiger der isländischen Banken, doch für die isländische Volkswirtschaft war es das Beste: Faule Bankbilanzen wurden aus dem System entfernt, Schulden radikal abgeschrieben. Auf diesem Trümmerfeld konnten dann neue, saubere Banken entstehen.
Ganz anders das Bild in Griechenland: Dort ereignete sich der Exzess vor 2008 im öffentlichen Sektor. Der griechische Staat nahm immer mehr Schulden auf, und ausländische Geldgeber kauften freimütig griechische Staatsanleihen zu den weitgehend gleichen Zinskonditionen wie für deutsche Bundesanleihen.
Als die Krise dann zuschlug, waren es nicht wie in Island private Schulder und Gläubiger: In Griechenland war der Schuldner der Staat, und die grossen Gläubiger waren zwar privat, genossen aber eine Art staatlichen Schutz: Banken und Versicherungskonzerne aus Deutschland und Frankreich.
Daher blieb es Griechenland verwehrt, tabula rasa mit den faulen Schulden zu machen, den Default anzumelden und die Gläubiger zu zwingen, ihre Forderung abzuschreiben.
In zähen Verhandlungen mit der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommussion und dem Internationalen Währungsfonds wurde Athen Ende April 2010 gezwungen, ein “Hilfsprogramm” anzunehmen. Das war allerdings kein Rettungspaket für Griechenland, sondern vielmehr eine Rettung für die Gläubiger: die Banken und Versicherungen in Deutschland und Frankreich ( hier mehr dazu ).
Das führt zum dritten zentralen Unterschied zwischen Island und Griechenland: Island musste nur mit dem IWF ein Paket aushandeln. Es waren zwar harte, aber sachliche, nüchterne und faire Verhandlungen. Frei von Moralbelehrungen und Ideologie. Das erleichterte es der Regierung in Reykjavik, die Verantwortung für öffentliche Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zu übernehmen. Sie konnte ihrem Volk klar und schonungslos kommunizieren, welche Entbehrungen nötig sind, damit die isländische Volkswirtschaft gesunden kann.
Der Kontrast zu Griechenland: In Athen spielte der IWF nur eine Juniorrolle. Die Verhandlungen wurden von der EZB (damals noch unter dem Franzosen Jean-Claude Trichet) und den “Partnerländern” der Eurozone geführt. Sie waren das Gegenteil von nüchtern und sachlich, sondern von Beginn weg von Moralbelehrungen durchsetzt. Griechenland hatte zu lange auf grossem Fuss gelebt und musste dafür büssen.
Dass es für Schuldenexzesse immer zwei fahrlässig handelnde Parteien – den Schuldner und den Kreditgeber – braucht, wurde stets ausgeblendet.
Das machte es der Regierung in Athen schwierig bis unmöglich, gegenüber dem eigenen Volk die Verantwortung für die verordneten Austeritätsprogramme zu übernehmen. Es blieben verhasste Programme, die von jeder Regierung in der Zeit ab Mai 2010 stets mehr schlecht als recht und jeweils nur unter Zwang durchgeführt wurden.
Das also sind, nochmals kurz zusammengefasst, die zentralen Gründe, wann eine Schuldenkrise einigermassen glimpflich verarbeitet werden kann:
Die Existenz einer autonomen Geldpolitik, dank der die eigene Währung abgewertet werden kann. Das bringt die Leistungsbilanz ins Lot und verringert oder eliminiert die Abhängigkeit von Kapitalimporten aus dem Ausland.
Private Schulden in den Händen privater Gläubiger lassen sich einfacher zum Verschwinden bringen als öffentliche Schulden in den Händen quasi-öffentlicher Gläubiger. Und das ist für die Verarbeitung einer Schuldenkrise der Schlüssel: Faule Schulden müssen möglichst rasch aus dem Finanzsystem entfernt werden.
Verhandlungen über Rettungspakete, Schuldenrestrukturierungen und Austeritätsprogramme müssen nüchtern und sachlich, ohne Moralbelehrungen geführt werden. Das ermöglicht es der Regierung des Krisenstaates, gegenüber der eigenen Bevölkerung die Verantwortung für die Programme zu übernehmen.
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