Wie entsteht eigentlich Geld?
Es ist Sommer, es ist heiss, wir schwitzen in unseren unklimatisierten Büros.

Die Entstehung von Geld und die physische Herstellung von Geld ist nicht dasselbe: Druckmaschine für Dollarnoten in Washington, 2001. (AP Photo/Hillery Smith Garrison)
Es ist Sommer, es ist heiss, wir schwitzen in unseren unklimatisierten Büros. Sprechen wir also zur Abwechslung mal über etwas Leichtes. Sprechen wir über Geld.
Genauer: Wie entsteht Geld eigentlich?
Vor zwei Wochen haben wir in diesem Blogbeitrag zu China den Ökonomen Hyman Minsky vorgestellt. Ein Kernelement von Minskys Lehre war die Notwendigkeit, den Finanzsektor in die Analyse der Funktionsweise einer Volkswirtschaft einzubeziehen. Denn dieser, so argumentierte der Amerikaner, beeinflusse über den Kreditschöpfungszyklus massgeblich den Gang der Konjunktur.
Minskys Lehre und die daraus abgeleitete Schule des Post-Keynesianismus steht in komplettem Gegensatz zur neoklassischen Ökonomie, in der der Finanzsektor weitgehend ignoriert wird.
Wie ist das möglich? Wie kann die Mainstream-Ökonomie nach fünf Jahren fast ununterbrochener Finanzkrise immer noch annehmen, die Banken, der Finanzsektor respektive der Kreditzyklus seien irrelevant?
Die Antwort liegt in der unterschiedlichen Auffassung zur Frage, wie Geld in einer Wirtschaft eigentlich entsteht. Stark vereinfacht gesagt geht die neoklassische Lehre davon aus, dass Geld exogen, also ausserhalb des Finanzsystems entsteht, durch Handlungen der Zentralbank. Die Post-Keynesianer vertreten dagegen die These, Geld werde endogen, also innerhalb des Finanzsystems geschaffen.
Gehen wir etwas genauer auf diesen Glaubenskrieg ein. Im neoklassischen Modell – also das, was wir hier Mainstream-Ökonomie nennen – kann eine Bank nur Kredite vergeben, wenn sie die dafür nötigen Mittel in ihrer Bilanz bereits hat. Im Englischen wird dabei vom «Loanable Funds»-Modell gesprochen. Sparer deponieren ihr Geld bei der Bank, und diese wiederum kann das Geld in Form von Krediten an Haushalte oder Unternehmen weiterreichen. «Geduldige» (die Sparer) finanzieren also die «Ungeduldigen» (die Kreditnehmer), während die Banken nur als Vermittler zwischen den zwei Gruppen fungieren. Erhöht werden kann die Geldmenge im System nur durch die Zentralbank – also exogen: Sie kauft am Markt Wertschriften und stellt den Geschäftsbanken so Geld zur Verfügung, das diese wiederum als Kredite und unter Einhaltung der Mindestreserveanforderungen an die Realwirtschaft ausleihen können.
Wer an dieses Modell glaubt, kann tatsächlich zum Schluss kommen, das Finanzsystem sei unwichtig. Jedem Schuldner steht ein Gläubiger gegenüber, jedem Investor ein Sparer, und in der Summe gleichen sie sich aus.
Schön wär’s.
Was aber, wenn das Finanzsystem ein dunkles Eigenleben führt? Was, wenn dieses Eigenleben inhärent instabil ist und es, wenn es ausser Kontrolle gerät, die gesamte Wirtschaft in den Abgrund reissen kann?
Hier kommt die endogene Geldtheorie ins Spiel.
Für die Post-Keynesianer wird Geld im Finanzsystem selbst – endogen – geschaffen, auf wundersame Weise aus dem Nichts geschöpft. Der Begriff «Geld aus dem Nichts» schaffen geht übrigens auf Joseph Schumpeter zurück, der den Begriff 1934 in seiner «The theory of economic development: an inquiry into profits, capital, credit, interest and the business cycle» (Seite 106) verwendete (nebenbei bemerkt: Hyman Minsky war Schüler von Schumpeter).
Wie soll das gehen, Geld aus dem Nichts erschaffen? Ganz einfach, die Bank kann das durch eine simple Buchung: Sie verleiht dem Kunden einen Kredit über, sagen wir, eine Million Franken und schreibt diese Million sogleich dem Konto dieses Kunden gut. Sie hat per Knopfdruck ein Aktivum (ihr Kreditguthaben) sowie ein Passivum (die Forderung des Kunden) in ihrer Bilanz geschaffen.
Der gegenwärtig wohl einflussreichste Verfechter der endogenen Geldtheorie ist Steve Keen von der University of Western Sydney in Australien. Er hat in den vergangenen Jahren ein Softwaresystem mit dem treffenden Namen «Minsky» entwickelt, mit dem er die endogene Geldtheorie beweisen will. Wer sich dafür interessiert: Mehr dazu im Blog von Keen .
Doch kommen wir zurück zum Finanzsystem: Sind alle Banken gleichzeitig sehr ausgabefreudig in ihrer Kreditvergabe, erhalten die Unternehmen und privaten Haushalte enorm viel Geld zur Verfügung, mit dem sie allerlei Investitionsprojekte – Häuser, Fabriken, Firmenübernahmen, etc. – finanzieren können. Diese Bau- und Investitionstätigkeit heizt den Wirtschaftsboom weiter an, was die Preise für Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien weiter steigen und die Banken in der Kreditsprechung noch freigiebiger werden lässt: ein wunderschöner, in sich geschlossener positiver Feedback-Kreis.
Und weil dieses Spiel nicht ewig weitergehen kann, schlägt irgendwann der Minsky-Moment zu, und das Rad beginnt, sich in die andere Richtung zu drehen.
Nachfolgend zwei Grafiken, sozusagen als Beweisstück A und B für die These der endogenen Geldschöpfung:
Die erste Grafik zeigt die Entwicklung des kumulierten ausstehenden Schuldenvolumens aller Wirtschaftssubjekte in den USA in Relation zum Bruttoinlandprodukt über die letzten hundert Jahre (das Schuldenvolumen der privaten Haushalte ist hellblau eingefärbt, die Unternehmen blau, der Finanzsektor gelb, parastaatliche Hypothekarinstitute wie Fannie Mae rosa und der Staat schliesslich grün):

In den rund 35 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bewegte es sich einigermassen stabil um 150 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Ab den frühen Achtzigerjahren, zeitgleich mit der von Ronald Reagan eingeläuteten Deregulierungswelle im Finanzsektor, stieg das Schuldenvolumen massiv an und erreichte 2007 einen Wert von über 350 Prozent des BIP. Diese Zeit war von ausserordentlich robusten Wirtschaftswachstumsraten und zwei sehr kurzen Rezessionen (1991 und 2001) geprägt.
Ab 2008 fiel die US-Wirtschaft in den Schuldenabbau-Modus – auch Deleveraging genannt –, und seither kommt das Wirtschaftswachstum kaum mehr vom Fleck. Kann es sein, dass der massive Kredit-Aufbau zwischen 1982 und 2007 das Wirtschaftswachstum angeheizt hat und der Kreditabbau seither als Bremse wirkt?
Hier Beweisstück B, es stammt von Professor Keen selbst:

Die Grafik zeigt die Arbeitslosenrate in den USA (blaue Kurve, rechte Skala) seit 1990. Die rote Kurve zeigt die jährliche Veränderungsrate des ausstehenden Kreditvolumens (in Prozent des BIP, linke Skala). Der Korrelationskoeffizient der beiden Kurven beträgt gemäss Keen -0,92, das heisst, sie sind fast perfekt gegenläufig. Will heissen: Steigt das Kreditvolumen, sinkt die Arbeitslosenrate (was ein Indiz für kräftiges Wirtschaftswachstum ist). Sinkt das Kreditvolumen oder sackt es gar wie Ende 2008 zusammen, steigt die Arbeitslosenrate kräftig in die Höhe.
Wir wissen: Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Aber eindrücklich ist das Bild allemal.
Ich überlasse es gerne Keen, den Beweis für die These der endogenen Geldschöpfung zu erbringen. Meiner Meinung nach hat er die Argumente aber klar auf seiner Seite.
Ein weiterer überzeugter Minskyaner ist übrigens Dirk Bezemer von der Universität Groningen in den Niederlanden. Er hat eine amüsante und lehrreiche Kurzfilmserie produziert, in der er die Entstehung von Geld, das Wesen des Kreditsystems, die Bildung von Spekulationsblasen und die Nachwehen des Finanzcrashs erklärt. Wenn Sie Zeit haben: Es lohnt sich. Sie finden die Filme hier .
Zum Schluss, wie immer, noch zwei, drei Links zum Wochenende:
Hier ein äusserst lesenswerter Leitartikel des Zuger Hedge-Fund-Mangers Felix Zulauf – von dem ich sehr viel halte – zu den Aussichten an den Weltfinanzmärkten.
Die Finanzmärkte hängen an den Lippen von Ben Bernanke. Wird der Fed-Chef die Leitzinsen erhöhen, sobald die US-Arbeitslosenrate unter 6,5% sinkt? Gemach; so einfach ist es nicht, wie mein Kollege Alexander Trentin im Momentum-Blog schreibt.
Hier ein Kommentar von Charles Wyplosz, in dem der Genfer Professor die Verfassungskonformität des OMT-Staatsanleihenkaufprogramms (Outright Monetary Transactions) der EZB unterstreicht.
Hier ein sehr anregender Vorschlag des deutschen Ökonomen Michael Burda, die EZB nach dem Vorbild der US-Notenbank neu zu organisieren.
Wer ihn noch nicht gelesen hat: ich kann den jüngsten Beitrag meines Kollegen Tobias Straumann zur Geschichte der Hyperinflationen wärmstens zur Lektüre empfehlen.

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