Es ist schon erstaunlich, mit was für Zeug wir uns in letzter Zeit beschäftigen müssen. Nicht selten sind es Übungen, die wir früher mit den Studenten eher spasseshalber durchexerziert haben, um ihren Sinn für grössere Zusammenhänge zu schärfen. Heute müssen wir uns ernsthaft damit beschäftigen. Das beginnt mit Geschichten wie einem bedingungslosen Grundeinkommen für jedermann, das es doch tatsächlich bis zu einer Volksabstimmung gebracht hat. Vielleicht macht diese Übung den Leuten endlich klar, dass die Anzahl Unterschriften, mit der eine Minderheit heute die Mehrheit der Stimmbürger in der Schweiz an die Urne rufen darf, überdenkenswert ist.
Weiter dann zu den unsäglichen Diskussionen über die Abschaffung von Bargeld, um einen finanziell gläsernen Bürger zu schaffen. Nur weil man in einigen Ländern nicht imstande (bereit?) ist, die immer weiter um sich greifende Schattenwirtschaft in den Griff zu bekommen. Wir brauchen hier nicht darüber zu philosophieren, wie lange es dauern würde, bis solche Verbote zum Entstehen von alternativen Zahlungsmitteln führen würden. Der mündige Bürger lässt sich von «Big Brother» nicht alles vorschreiben.
Denkspiele bis hin zur Satire
Vielerorts scheint man vergessen zu haben, dass ein Staatsgebilde eine Dienstleistungsorganisation ist, die dem mündigen Bürger zuarbeitet, nicht umgekehrt. Für die entsprechenden Dienstleistungen ist der Bürger auch bereit, etwas zu bezahlen, sofern, erstens, der «Service public» in den Augen des Bürgers etwas wert ist und, zweitens, der entsprechende Preis mit diesem «Wert» etwas zu tun. Da scheint es an verschiedenen Orten Ungleichgewichte und Unzufriedenheit zu geben, die dazu geführt haben, dass sich viele Bürger ganz einfach aus dem System verabschiedet haben – mit all den Konsequenzen, nicht zuletzt für die Finanzen der entsprechenden Staatsgebilde.
Aber für mich als Geldtheoretiker ist der dritte Punkt der beste: die alte Geschichte von Milton Friedmans Helikoptergeld. Da beschreibt Philippe Béguelin kürzlich in diesem Blatt Friedmans simples Denkspiel als «geldpolitisches Wundermittel», das die Deflation heilen soll . Zuerst hoffnungsvoll verunsichert, hatte ich gegen Ende des Artikels leider nicht mehr das Gefühl, ich würde eine Satire lesen. In gewissen Kreisen scheint Helikoptergeld als finales Instrument der Geldpolitik zur Konjunkturankurbelung in der Deflation tatsächlich ernsthaft diskutiert zu werden.
Es wäre an der Zeit, dass sich Politik und Zentralbanken wieder einmal darauf besinnen, was die Aufgabe einer Zentralbank eigentlich ist, was Geldpolitik leisten kann und soll und was nicht. Ganz sicher ist es nicht die Aufgabe einer Notenbank, strukturschwachen Volkswirtschaften (wie bspw. Mario Draghis Italien) irgendwelche konjunkturelle Wachstumsschübe zu verpassen.
Fragwürdiges Inflationsziel von 2%
Eine Zentralbank soll mit adäquaten Mitteln für einen stabilen Geldwert sorgen; die Politik soll mit vernünftigen Struktur-, Industrie- und Fiskalmassnahmen Rahmenbedingungen schaffen, die es dem Privatsektor erlauben, sein Innovationspotenzial auszuschöpfen, Arbeitsplätze zu schaffen, Gewinn zu erwirtschaften, Wachstum sicherzustellen, damit schliesslich Steuersubstrat entsteht.
Dabei ist ein Inflationsziel von 2%, das irgendwann, irgendwo, irgendwie definiert wurde, nichts anderes als eine Richtschnur, die man mit Preisstabilität gleichgesetzt hat. Einfach eine Definition. Entsprechend sollte man auch nicht so tun, als ob ein Abweichen von diesem Ziel – auch unter null – eine deflationäre Krise signalisierte, die mit allen Mitteln zu bekämpfen wäre. Deflation ist eine Situation, in der die Bürger und Konsumenten wegen der Erwartung weiter sinkender Preise den Konsum boykottieren und damit eine Krise hervorrufen. Davon sind wir meilenweit entfernt.
Negative Inflationsraten, die auf Effizienzsteigerungen, Globalisierung, sinkende Erdölpreise usf. zurückzuführen sind, haben nichts mit Deflation zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ökonomen der EZB das anders sehen. Aber offensichtlich dringt das nicht bis zu Mario Draghi durch. Wenn jetzt plötzlich die Meinung vertreten wird, man könnte «über Notenpresse und Helikopter» jedem Bürger z. B. 5000 € zukommen lassen, damit der dadurch initiierte Konsum uns aus der Krise holt, dann wähne ich mich im falschen Film. Welche Krise? Die amerikanische Konjunktur brummt, verschiedene Länder Europas wachsen zufriedenstellend. Das Problem ist, dass ein paar Länder Südeuropas ihre strukturellen Probleme nicht anpacken wollen. Da kann man so viele Helikopter schicken, wie man will, das verbessert die Strukturen nicht.
Zweitens sollten wir nicht vergessen, dass verschiedene Zentralbanken den Pfad der Tugend schon lange verlassen haben. Auch in der Akademia war man sich seinerzeit einig, dass eine Ausnahmesituation wie die Finanzkrise ausserordentliche Massnahmen auch und gerade der Zentralbanken rechtfertigt. Das Problem ist nur, dass in dem Moment, als die Finanz- von der Staatsschuldenkrise abgelöst wurde, das Gefühl entstand, eine Zentralbank könne jede Art von Problem lösen – von kaputten Bankbilanzen über vermeintlich ungenügende Konjunkturzahlen, zu niedrige Inflation, zu hohe Verschuldung bis hin zu ungesunden Wirtschaftsstrukturen.
Keine simple Mechanik
Dabei ging vielerorts nicht nur vergessen, was die eigentlichen Pflichten einer Zentralbank sind, sondern auch, dass diese schon unter normalen Bedingungen oft nicht einfach zu erfüllen sind. Die Wirtschaft ist kein mechanisches Räderwerk, bei dem einfach hier Stellschrauben gedreht werden können, um dort die gewünschte Wirkung zu erreichen. Die Wirtschaft ist eher wie ein Bienenschwarm, der nur durch klare (politische und monetäre) Rahmenbedingungen gelenkt werden kann, wenn überhaupt.
Dabei können Experimente an irgendeiner Stelle des Systems anderswo dramatische Folgen haben, die das System insgesamt gefährden können. Wir sollten uns hüten zu meinen, wir würden alle Querverbindungen und Funktionsmechanismen des «Systems Wirtschaft» kennen.
Gerade im Teilbereich der Geldpolitik hat uns immerhin die Geschichte einige Lektionen dazu erteilt, was als systemgefährdend gelten kann. Nicht selten begannen sie damit, dass man der Notenbank die notwendige Selbständigkeit abgesprochen und sie zur Monetisierung von Staatsschulden missbraucht hat.
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Notenbanken und Politik – zurück zum Kerngeschäft
Zentralbanken haben den Geldwert stabil zu halten, die Politik soll für vernünftige Rahmenbedingungen sorgen. Eine Rückbesinnung darauf ist sinnvoller als Einfälle wie etwa Helikoptergeld, schreibt Erwin W. Heri.