Seit dem Tiefpunkt der Finanzkrise 2007/2008 ist die Finanzwelt im Ausnahmezustand, zumindest die der Notenbanken, die noch vor wenigen Jahren beschaulich und wohlorganisiert war. Mit dem Ziel, die jeweiligen Länder vor einer tiefen strukturellen und ökonomischen Krise zu bewahren, haben sich die Notenbanken in den USA, in Europa und Japan in immer extremere geldpolitische Experimente gestürzt.
Das staunende Publikum wurde Zeuge, wie gigantische Wertpapierkaufprogramme (harmlos QE, Quantitative Easing, genannt), staatlich administrierte Null- und Negativzinsen und die offene Abwertung von Währungen zum normalen Handwerkszeug vieler Notenbanken geworden sind. Zentralbankpolitik, lange Zeit ein seriöses Handwerk mit klaren Regeln, mutierte zum Spielfeld für geldpolitisches Voodoo. Durch Willensakt der Notenbanken wurden seit 2008 bereits rund 10 Bio. $ an neuem Fiat-Money-Geld geschaffen. Wohlgemerkt ohne dass dieser Geldflut auch nur der geringste ökonomische Gegenwert gegenüberstand, wie etwa eine höhere Leistungsfähigkeit oder eine gestiegene Wertschöpfung der Volkswirtschaft. Fiat- oder Papiergeld hat keinen Warenwert.

Trotz QE-Voodoo wurden Ziele der Geldpolitik nicht erreicht
Selbst eine bisher unantastbare Grenze, der Nullzins, blieb von der Experimentierfreude der Geldpolitik nicht verschont. In immer mehr Ländern – darunter der Schweiz und neuerdings Japan – wurden die Referenzzinsen deutlich in den negativen Bereich gesenkt.
Mittlerweile ist eines deutlich: Die geldpolitischen «Zauberlehrlinge» der grossen Notenbanken haben, trotz immer extremerer Ausweitung und Verschärfung ihres monetären Arsenals, bisher erschreckend wenig bewirkt. Weder wurden die angestrebten Inflationsziele auch nur annähernd erreicht, noch hat sich irgendwo auf der Welt das Wachstum zuletzt erkennbar belebt.
Das Gegenteil ist richtig: In puncto Inflationsziel verzeichnet der grösste Teil der Welt nachlassende Preisdynamik und oft sogar klar deflationären Druck. Beim Ziel einer globalen Wachstumsbelebung zeigt sich ebenfalls, dass – ausser einem konjunkturellen Strohfeuer in den USA – bisher keinerlei Erfolg erzielt wurde. Das Bild der Weltwirtschaft ist, trotz anhaltender Geldflut, schwächer als vor drei Jahren, und nicht nur das: Erneut zeigen sich ernste Anzeichen von Fragilität, mit Finanzmarkteinbrüchen, Rezessionsrisiken in vielen Sektoren und deflationären Unterströmungen.
Fragen an die Geldpolitik
Aus dieser Feststellung resultieren vier Fragen: - 1. Was ist schiefgegangen, und wo liegen die Probleme? - 2. Konnte die extreme Geldpolitik überhaupt funktionieren, und wenn ja, was sind die Kollateralschäden? - 3. Werden die Notenbanken eine kritische Bestandesaufnahme durchführen und ihre Politik ändern, oder gibt es weiterhin die gleiche Medizin, nur in noch höherer Dosis? - 4. Was sind die denkbaren weiteren Schritte und Konsequenzen, und wie würde ein mögliches Endspiel der Notenbanken aussehen?
Schon zu Beginn der unkonventionellen Geldpolitik der US-Zentralbank Fed war jedem Beobachter klar, dass die extreme Geldpolitik lediglich Zeit kaufen konnte, um strukturelle Probleme und grundlegendere Reformen im System anzugehen. Auch die Europäische Zentralbank EZB war sich dieses Dilemmas stets bewusst. Sie hat deshalb – während der Eurokrise und später – oft versucht, in diesem Sinne auf die Politiker der Eurozone einzuwirken. Nie jedoch hat die Politik geliefert. Stets wurde der Ball ins Spielfeld der Geldpolitik zurückgespielt. Darin liegt der erste Fehler.
Der zweite Fehler entstand dadurch, dass die Notenbanken glaubten, tatsächlich Wachstum ankurbeln zu können, sofern die Zinsen nur hinreichend niedrig sind. Dabei wurde ignoriert, dass die westliche Welt schon seit Jahren ein massives Verschuldungsproblem hat. Niedrige Zinsen führen bestenfalls zu Umschuldungen, nicht aber zu neuem Wachstum über neue Verschuldung. Insofern war der Erfolg von jeher zweifelhaft und im besten Fall ein Hoffnungswert.
Um fair zu sein: Die Geldpolitik der G-7 hatte zur Zeit der Finanzkrise nicht wirklich viele Alternativen. Da globale Verschuldung und andere Altlasten ab dem Jahr 2008 eine enorme Wucht entfalteten und die «normale» Politik sich strukturellen Reformen verweigerte, gleichzeitig aber die Stabilität des gesamten Finanzsystems auf dem Spiel stand, mussten die Notenbanken wohl so handeln.
Denkfehler und monetäre Kollateralschäden
Dennoch bleibt die Frage nach den Risiken und den Nebenwirkungen, also den Kollateralschäden der Nullzinspolitik. Und da fällt die Bilanz deutlich schlechter aus: Heute zeigt sich, dass ein grosser Teil der von den G-7-Notenbanken geschöpften Liquidität vagabundierte und eine andere Heimat gefunden hat. Seit 2008 wurden riesige Beträge als Kredit- und Kapitalströme in Schwellenländer umgelenkt. Zusammen mit einer schon vorher gestarteten Kreditexpansion in China führten sie dort zu einer massiven Aufblähung der Verschuldung, speziell bei Privathaushalten und Unternehmen.
Offensichtlich wurden damit zahlreiche ineffiziente Projekte mit geringer Tragfähigkeit finanziert, viele davon im Rohstoffbereich. Heute zeigt sich, dass viele dieser Projekte eine massive Fehlallokation von Kapital waren, genau wie in jedem anderen bisherigen Kreditboom. Dieses Problem steht auch hinter der schlechten Entwicklung vieler Schwellenländer, die seit mindestens 2011 sichtbar ist, sich zuletzt aber noch deutlich verschärft hat.

Das zeigt ganz klar, was in Wirklichkeit passiert ist und was die geldpolitischen Hasardeure ignorierten oder übersahen: Durch die gewaltigste Geldschöpfung der Geschichte wurde ein punktueller Kreditboom ausgelöst, jedoch ohne tragfähiges Fundament und ohne positiven Effekt in den Ausgangsländern. Spekulative Sektoren (wie etwa Energie und speziell Ölförderung) und ineffiziente Strukturen in Schwellenländern wurden durch hohe Verschuldung massiv aufgebläht, ebenso wie die entsprechenden Segmente der Finanzmärkte. Nutzniesser waren speziell US-High-Yield-Bonds, aber auch Aktien- und Anleihenmärkte vieler Schwellenländer.
Die Zinswende des Fed im Dezember hat dieses Spiel vorerst beendet. Der Liquiditätsfluss hat gekehrt, und diverse Blasen beginnen zu platzen, wie am Ende jedes spekulativen Kreditbooms. Der Abwärtsdruck steckt auch hinter den scharfen Korrekturen an fast allen Märkten seit Jahresbeginn. Die Ironie dabei: Wenn grosse Kreditblasen platzen, ist das Ergebnis stets – und vorhersehbar – ein deflationärer Schock. Deflation ist jedoch das Letzte, was die Notenbanken mit ihren Aktionen wollten.
«Viel hilft viel» – was macht die EZB?
Damit steht die dritte Frage im Vordergrund: Werden die Notenbanken innehalten und ihre bisherige Politik kritisch überdenken, oder wird der Einsatz noch erhöht? Das Bild ist uneinheitlich: Die US-Notenbank unter Janet Yellen scheint bislang entschlossen zu sein, den monetären Heissluftballon langsam absteigen zu lassen. Das Ziel einer monetären Normalisierung gilt, trotz verbaler Rückzugsgefechte, beim Fed bisher als gesetzt. Ganz anders die Notenbankkollegen Kuroda (Bank of Japan) und Draghi (EZB). Dort herrscht weiter die Devise, bei schwächelnder Konjunktur und bröckelnden Finanzmärkten noch mehr geldpolitische Extremmedizin zu verabreichen. Die jüngsten Beschlüsse, sowohl der Bank of Japan am 28. Januar als auch die für Donnerstag angedeuteten Massnahmen der EZB, sprechen diesbezüglich ein klare Sprache.
Nach Jahren extremer Geldpolitik sind wir an einem kritischen Punkt angekommen: Ganz offensichtlich haben die bisherigen Rezepte ihre Ziele verfehlt. Dafür wurden (vorhersehbar!) neue globale Systemrisiken heraufbeschworen, die den eigentlichen Zielen sogar diametral entgegenlaufen. Dieses Dilemma zeigt sich aktuell auch im massiven Kursverfall von Bankaktien: In einem Umfeld negativer Zinsen und extrem dünner Zinsmargen fehlt den Banken die grundlegende Profitabilität. Gleichzeitig nehmen die Regulierungskosten zu, und obendrein müssen neue Kreditausfälle bewältigt werden. Das ist kein gutes Umfeld, weder für die Banken noch für die Wirtschaft insgesamt.
Interessant ist immerhin, dass kürzlich sowohl die schwedische und die dänische als auch die Schweizerische Nationalbank klar angemahnt haben – wohl mit Blick auf eine zunehmend entfesselte EZB –, diese Art der Geldpolitik habe inzwischen ein intrinsisches Limit erreicht, an dem die langfristigen Kosten den kurzfristigen Nutzen klar übersteigen.

Das führt direkt zur vierten Frage: Wenn also die bisherigen Schritte der geldpolitischen «Zauberlehrlinge» aus globaler und systemischer Sicht eher geschadet als genützt haben, wie geht es dann weiter ? Da sollte jeder Investor alarmiert sein, denn es gibt bereits beunruhigende Signale. So kann die abrupt zunehmende Diskussion über die Abschaffung von Bargeld nicht nur eine Vorsichtsmassnahme gegen Terrorismus sein. Nicht auszuschliessen ist, dass Staaten und Regierungen bereits auf eine weitere Verschärfung ihrer Politik der finanziellen Repression hinarbeiten. «Virtuelles Geld» und ausschliesslich auf elektronischen Konten liegendes Geldvermögen könnten jederzeit vom Staat mit Negativzinsen belegt oder binnen Sekunden gestrichen und mit Staatsschulden verrechnet werden («Haircut»).
Ist OMF das monetäre End Game?
Auch die neue Diskussion über eine «intelligente Erweiterung» der bisherigen QE-Politik ist interessant. Da geht es im Kern um eine Politik der offenen monetären Finanzierung von Staatsschulden durch die Notenbank. Wie stets im Notenbankduktus gibt es auch dafür bereits ein griffiges Kürzel: OMF, als Akronym für Overt Monetary Financing.
OMF besagt, dass Notenbanken im Kampf gegen deflationäre Kräfte ein «massives» Signal senden müssen, etwa dadurch, dass ein konkretes Inflationsziel angekündigt und durch unlimitierte monetäre Intervention auch tatsächlich realisiert wird. Oder, noch extremer: Als Ultima Ratio der Geldpolitik könnte die grossvolumige Übernahme und Finanzierung von Staatsschulden (sowohl bestehenden als auch neuen) angekündigt und durchgeführt werden. Der Effekt wäre in beiden Fällen gleich: Allen Marktteilnehmern wäre unmissverständlich klar, dass künftige Inflation – quasi mit Gewalt – herbeigeführt wird, und sie würden entsprechend reagieren. Die Deflation wäre de facto beendet.
Das OMF-Konzept geht auf Ideen von Lord Adair Turner zurück, dem früheren Vorsitzenden der britischen Finanzmarktaufsicht FSA. Durchaus kritisch in seiner Analyse, kommt Lord Turner zum Schluss, dass selbst derart extreme Massnahmen gerechtfertigt seien, wenn man sich im Kampf gegen die Kernschmelze des Finanzsystems befinde. Nebenwirkungen seien tolerierbar, sofern die OMF-Politik mit klaren Leitplanken betrieben werde.

Diese Annahmen sind zwar fraglich, aber keinesfalls ohne Relevanz: Bei genauer Analyse ist leicht zu erkennen, dass speziell die Bank of Japan sich dieser Art Politik bereits weit angenähert hat. Aber auch die EZB, die Bank of England und das Fed sind schon auf bestem Wege. Letztlich fehlt zu einer effektiven OMF-Politik nur noch der politische Flankenschutz, also entsprechende Vorlagen der Regierungen unter dem Deckmantel des globalen Krisenmanagements.
Dieser Punkt könnte überraschend schnell erreicht sein, bei weiter fallenden Börsen vielleicht schon im weiteren Jahresverlauf. Bereits jetzt zeigen die Experten in den westlichen Notenbanken wachsende Anzeichen von Ratlosigkeit. Und schon häufen sich diffuse Signale aus der politischen Kulisse (zuletzt der OECD, dem japanischen Finanzministerium und dem G-20-Gipfel in Singapur), dass man mehr schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme einsetzen müsse, um die Weltwirtschaft vor dem Absturz zu bewahren.
Kontrollverlust der Geldpolitik?
Für Investoren ist somit im weiteren Jahresverlauf grosse Vorsicht angebracht. Sollten die führenden Notenbanken zu der naheliegenden Einsicht gelangen, dass auch sie die Kontrolle verloren haben, stehen Märkten und Marktteilnehmern gefährliche Zeiten bevor. Ein echter Verlust des Vertrauens in die Allmacht der Notenbanken würde massive Verwerfungen an den Kapitalmärkten nach sich ziehen. Der Jahresanfang hat einen Vorgeschmack darauf gegeben.
Sollte sich danach aber ein Übergang in das «OMF-Szenario» abzeichnen, würde am Markt ein neues Szenario entstehen – das monetäre «End Game»: Die Aussicht auf echte Übernahme von Staatsschulden durch Zentralbanken, ergänzt durch gewaltige «Keynes-Programme», faktisch finanziert von grossen Notenbanken, wäre zunächst positiv für Aktien und andere Risikoklassen. Es wäre aber mit Sicherheit gefährlich für die nullzinsgeprägten Anleihenmärkte. Mittelfristig wäre es wohl der Todesstoss für das bisherige marktbasierte Finanz- und Währungssystem sowie generell für heutige Papierwährungen. Und der Franken könnte – je nach Verhalten der SNB – mit einer erneuten massiven Aufwertung konfrontiert werden.
Investoren sollten sich schon heute mit diesen Szenarien auseinandersetzen und entsprechend planen, sowohl für ihre strategische Vermögensallokation als auch für den Aspekt des Vermögensschutzes. Bei klarer Analyse gibt es durchaus sinnvolle Vorkehrungen, besonders über dezidiert sachwertorientierte Anlagekonzepte.
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Notenbanken vor dem Endspiel?
Die Geldpolitik befindet sich schon jetzt im Ausnahmezustand und könnte bald noch extremer werden. Ein Kommentar von Heinz-Werner Rapp, Vorstandsmitglied und CIO des deutschen Vermögensverwalters Feri in Frankfurt.