Perfect Timing
Mit ihrer zierlichen Gestalt und der freundlichen, jugendlich wirkenden Offenheit könnte man die in Indien geborene Vani Kola leicht unterschätzen.
Mit ihrer zierlichen Gestalt und der freundlichen, jugendlich wirkenden Offenheit könnte man die in Indien geborene Vani Kola leicht unterschätzen. Doch die 40-jährige Chefin des vor drei Jahren gegründeten Softwareunternehmens Certus hat als Unternehmerin schon einiges erlebt – nicht zuletzt hat sie den Aufstieg und Fall der Technologieblase unbeschadet überstanden. - Kolas «American Dream» begann Mitte der Achtzigerjahre, als die junge Frau Hyderabad verliess, um an der Universität Iowa Computerwissenschaft und Ingenieurwesen zu studieren. Später lernte sie bei Control Data und Consilium das Handwerk für die Entwicklung von Betriebssoftware (Enterprise resource planning, ERP). Schon sehr früh erkannte Kola das Potenzial des Internets für Web-basierte Einkaufssysteme (E-procurement) und wagte 1995 mit der Gründung von Rightworks den Alleingang. Das Fachwissen holte sich die mittlerweile im kalifornischen Silicon Valley Niedergelassene in der öffentlichen Bibliothek in Sunnyvale. - Für die Finanzierung machte sie sich das Beziehungsnetz südasiatischer Unternehmer zunutze, das sich The Indus Entrepreneurs nennt und weltweit 5000 Mitglieder zählt. Dank ihrer Hartnäckigkeit konnte sie 1997 den berühmten Wagniskapitalgeber Doug Leone von Sequoia Capital für ein Engagement von 4 Mio.$ in Rightworks gewinnen. Heute ist Leone VR-Präsident der von Kola gegründeten Compliance-Software-Gesellschaft Certus. - Als erfolgreiche Unternehmerin und Mutter zweier kleiner Töchtern wurde Kola während des Internet-Booms in den Medien zum Aushängeschild der rastlosen Jungunternehmerinnen, der so genannten Red-eye moms. Das waren erwerbstätige kalifornische Mütter, die ihre Kinder ins Bett brachten, nach dem Erzählen der Gutenachtgeschichte den Nachtjet nach New York nahmen, dort Kunden und Analysten trafen und am nächsten Tag rechtzeitig zum Frühstück wieder zu Hause waren. 100000 Flugmeilen pro Jahr waren für Kola während dieser stressigen Zeit üblich. - Die sich auf Business-to-business-Lösungen spezialisierende Rightworks gedieh prächtig. Der Börsengang war für Mitte 2001 geplant. Stattdessen verkaufte sie die Hälfte ihres Unternehmens für 657 Mio.$ an die Beteiligungsgesellschaft Internet Capital Group – zwei Tage bevor der Nasdaq-Composite-Index sein Allzeithoch von 5048,62 (derzeit rund 2000) markierte! Ein besseres Timing hätte sie sich nicht aussuchen können. Das Amt des CEO bekleidete Kola nur noch fünf Monate lang. Dann stieg sie ganz aus, um sich den damals 7 und 2 Jahre alten Töchtern zu widmen. Ein Jahr nach dem Verkauf wurde Rightworks für 114 Mio.$ an i2 Technologies verschachert. - Lange dauerte Kolas Abstecher ins Privatleben – den die begeisterte Berggängerin zur Besteigung des Kilimandscharo nutzte – indes nicht. Schon im März 2001 hob sie Nth Orbit aus der Taufe. Dank ihres hohen Bekanntheitsgrads und der guten Kontakte zu den Wagniskapitalgebern im Silicon Valley ging die Finanzierung für die Supply-chain-management-Software entwickelnde Gesellschaft bedeutend schneller. Neben Kola sitzen Vertreter der Wagniskapitalgesellschaften Sequoia Capital (Doug Leone), Ignition Partners (Jon Anderson) und Evercore (Sangam Pant) im VR des sich mittlerweile Certus nennenden Unternehmens. - Obwohl Kola nicht kategorisch abstreitet, Certus an die Börse zu bringen («ein Börsengang ist verfrüht»), kann sie es sich dank dem guten Draht zum Risikokapital leisten, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, um erneut Kasse zu machen. Wer ihr bisher perfektes Timing kennt, dürfte sehr nervös werden, wenn dieser Tag kommt.VM