Donald Trump will, wenn man seinen jüngsten Äusserungen glaubt, die Fortführung der jahrzehntealten Ein-China-Politik von Konzessionen der chinesischen Regierung in Handelsfragen abhängig machen. Der gewählte US-Präsident hat damit klargemacht, dass er, wenn es um die wirtschaftlichen Interessen seines Landes geht, vor keinem Tabu haltmacht. Er hat mit seinen Bemerkungen über den Grenzverlauf der Volksrepublik nicht nur die seiner Meinung nach unfairen, wettbewerbsverzerrenden Währungsmanipulationen Chinas aufs Korn genommen, sondern vor allem auch eine zentrale innenpolitische Maxime Pekings in Frage gestellt.
Denn das seit Ende des Bürgerkriegs 1949 de facto unabhängige Taiwan ist in den Augen der chinesischen Regierung kein eigenständiger Staat, sondern eine abtrünnige Provinz. Eine formale Unabhängigkeitserklärung der Republik China (Taiwans offizieller Name) wäre für Peking ein zwingender Kriegsgrund. Ein umso bedrohlicheres Szenario, als die USA sich verpflichtet haben, in einem solchen Fall der Insel militärisch beizustehen.
Diese Lunte am Pulverfass hat die USA, China und Taiwan in den vergangenen vier Jahrzehnten allerdings nicht davon abgehalten, untereinander engste Wirtschaftsbeziehungen zu pflegen. Möglich machte das die magische Formel der Ein-China-Politik, gemäss der die Volksrepublik China und Taiwan Teil desselben Landes sind, ohne dass genau definiert ist, was damit gemeint ist.
Bei all dem stellt sich die Frage, ob Trump jetzt aus verantwortungslosem Leichtsinn oder wohlüberlegtem Kalkül am Status quo rüttelt. Seine bisherige Laufbahn als Unternehmer könnte darauf hinweisen, dass er auch als Aussenpolitiker bereit ist, sehr grosse Risiken einzugehen. Der Unterschied ist, dass auf aussenpolitischer Ebene in letzter Konsequenz nicht finanzieller Bankrott droht (womit sich Trump auskennt), sondern Krieg. Sollte er mit seinem Infragestellen der bisherigen amerikanischen Chinapolitik einfach sein bisheriges Geschäftsgebaren fortsetzen, so würde die Welt mit einem Schlag ein viel gefährlicherer Ort.
Andererseits machte der damalige US-Präsident Richard Nixon vor, dass eine scheinbar unberechenbare Aussenpolitik durchaus zu stabileren globalen Verhältnissen führen kann, als er in den Siebzigerjahren das Verhältnis der USA zu Maos China normalisierte und damit wesentlich zur späteren wirtschaftlichen Öffnung des Reichs der Mitte beitrug.
Wie sich das Verhältnis der zwei Supermächte in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt indes nicht in erster Linie von Washington, sondern von Peking ab. Dass die staatlichen Medien auf Trumps umstrittene Aussagen so heftig reagiert haben, zeigt bereits, wie verunsichert Chinas Regierung ist. Das ist historisch teilweise verständlich: Im 19. Jahrhundert wurde das innerlich geschwächte China von westlichen Kolonialmächten weiter destabilisiert. Langjährige blutige Bürgerkriege waren die Folge.
Auch heute wirken in China starke zentrifugale Kräfte, etwa in Tibet, Xinjiang und zunehmend in Hongkong. Im Zuge des sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums sind auch die sozialen Spannungen gestiegen. Wenn die letzten Wahlen in Taiwan als Massstab genommen werden, die mit Tsai Ing-wen eine für eine möglichst grosse Autonomie einstehende Politikerin ins Staatspräsidium gebracht haben, so ist auch eine friedliche Wiedervereinigung der beiden China in weite Ferne gerückt.
Die Einheit der Volksrepublik ist zwar nicht unmittelbar gefährdet, auch weil Peking politischen Dissens mit einem übermächtigen Sicherheitsapparat unterdrückt. Doch Stabilität kann auf Dauer nicht mit Repression, sondern nur mit breiter Zustimmung der Bevölkerung geschaffen werden. Es liegt an der Regierung, durch weitere wirtschaftliche und politische Reformen China für seine Bürger attraktiver zu machen. Sollte das gelingen, so könnte Peking zukünftig auch einer allfälligen neuen Chinapolitik der USA gelassener begegnen.
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Trump macht Peking nervös
Der künftige Präsident treibt ein riskantes Spiel mit der Ein-China-Politik. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Ernst Herb.