Unsterblichkeit: ultimativer Luxus der Superreichen
Die Idee, die Grenzen der Natur zu überwinden, fasziniert immer mehr die Elite unserer Technokratie. Ewiges Leben als extreme Form von Luxus?

Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist eines der zentralen Themen, mit dem sich schon eine der ältesten Dichtungen beschäftigte, das Epos des Gilgamesch, König von Urik um 2650 v. Chr. Das Anliegen, so alt wie die Menschheit, war stets das exklusive Thema der Religionen, die ein Leben nach dem Tod versprachen. Bis zum Jahr 1998, als eine kleine Gruppe Intellektueller unter der Führung der schwedischen und britischen Philosophen Nick Bostrom und David Pearce Humanity+ gründete.
Diese internationale Organisation der transhumanistischen Bewegung definiert in einer Erklärung ihre Ambition so: «Voraussichtlich werden sich Möglichkeiten eröffnen, die Bedingungen menschlichen Daseins neu zu gestalten und unter anderem die Unvermeidbarkeit des Alterns, die Grenzen menschlichen Verstands und künstlicher Intelligenz, eine nicht selbstgewählte Psyche, menschliches Leiden und unser Gebundensein an den Planeten Erde zu überwinden.»
Dinner in San Francisco
Es hätte Science Fiction bleiben können, hätten nicht zwei Ereignisse dazu beigetragen, die Idee des Transhumanismus zu konkretisieren. Das erste war politischer Art und fand im Jahr 2003 statt. Wie es der französische Philosoph Luc Ferry in seinem jüngsten Werk «La révolution transhumaniste» beschreibt, reagierten zwei seiner amerikanischen Berufskollegen, Francis Fukuyama und Leon Kass, beide Mitglied der bioästhetischen Kommission von Präsident Bush, heftig auf den vom Department of Commerce und der National Science Foundation zusammengestellten Report «Konvergenz der Technologien zur Vergrösserung der menschlichen Leistung».
Francis Fukuyama glaubt, dass «Forschung zur Erhöhung des Lebensalters in ein soziales Desaster münden wird», während Leon Kass daran zweifelt, dass «Leben ohne Todesgrenze überhaupt ernstzunehmend und wichtig sein kann». In den USA hatte diese Polemik zur Folge, dass Transhumanismus plötzlich zum Gesprächsthema wurde. Das zweite Ereignis, das Transhumanismus ins Bewusstsein der Menschen rückte, war ein gesellschaftlicher Anlass.
Die «Washington Post» beschreibt, wie anlässlich eines Dinners in San Franciso im Jahr 2004 die Elite des Silicon Valley Bekanntschaft mit dieser Ideologie machte. Peter Thiel, der kurz zuvor PayPal verkaufte hatte und bald einer der wichtigsten Investoren von Facebook sein sollte, sowie Larry Page, der Google an die Börse gebracht hatte, trafen auf die amerikanische Biogerentologin Cynthia Kenyon und den britischen Informatiker Aubrey de Grey.
Indem sie ein einziges Gen modifizierte, war es Cynthia Kenyon gelungen, die Lebenserwartung von kleinen Würmern zu verdoppeln. Aubrey de Grey sagt das Ende des Alterungsprozesses voraus. Die Gespräche drehen sich um die Frage, ob der Tod ein Problem ist, das dank Technologie gelöst werden kann. Peter Thiel und Larry Page lassen sich überzeugen, und in ihrem Gefolge eine immer grössere Anzahl von «Rich and Famous», wie Richard Wurman (Gründer der Ted-Konferenzen), der Musiker Herbie Hancock und selbst Präsidentschaftskandidat Zoltan Ivstan. Der 48-jährige, 2,5 Mrd. schwere Peter Thiel ist einer der wichtigsten Befürworter der Biotechnologie im Transhumanismus.
Er finanzierte die Forschungsarbeiten von Cynthia Kenyon und Aubrey de Grey, der die Stiftung SENS (Strategies for Engineered Negligible Senescence) gegründet hat. Larry Page ging noch weiter, indem er die Singularity University sponserte, die 2008 vom Kommunikationssatelliten-Tycoon Peter Diamandis und dem Erforscher der künstlichen Intelligenz Ray Kurzweil gegründet wurde. Beide sind überzeugt, dass die exponentielle Evolution der Leistung von Computern – das berühmte Moore’s Law – zur Entstehung einer Superintelligenz führen und der Mensch, der seinen Geist auf den Rechner uploadet, ewig leben wird.
Google vs. Tod
Gemäss Luc Ferry unterteilt sich die transhumanistische Bewegung in zwei Strömungen. Auf der einen Seite diejenigen, die den Menschen verbessern und seine Lebensdauer verlängern möchten. Ihnen gegenüber stehen diejenigen, denen eine neue, unsterbliche menschliche Spezies vorschwebt. Wobei die Gegensätze zwischen den beiden Visionen nicht unüberwindbar scheinen.
Die Stiftung von Peter Thiel unterstützt die Singularity University, Thiel ist auch regelmässiger Referent an den zehnwöchigen, 25‘000 $ teuren Kursen. Larry Page und der Google-Mitbegründer Sergey Brin haben Ray Kurzweil nicht nur zum Forschungschef ihres Unternehmens ernannt, sondern mit Unterstützung ihrer Ehefrauen (ihrerseits Biologinnen) finanzieren sie zahlreiche Untersuchungen über die Alterung.
Sie haben das Biotechnologieunternehmen Calico gegründet, mit an der Spitze Arthur Levinson, Präsident von Apple und Chef von Genentech, einem Vorzeigeunternehmen der Biotechnologie. 2014 widmete das amerikanische Magazin Time dem Anlass einen Artikel unter dem Titel «Kann Google den Tod besiegen?». Eine journalistische Übertreibung? Vielleicht.
Aber Fakt ist, dass die Google-Chefs und die Milliardäre der Digitalbranche heute die wichtigen Player in der medizinischen Spitzenforschung sind. Oracle-Gründer Larry Ellison bekennt öffentlich, dass er ewig leben möchte, und hat über 430 Mio. $ in die Alterungsforschung investiert. Sean Parker, Gründer von Napster und erster Präsident von Facebook, hat kürzlich 250 Mio. $ gespendet für die Gründung eines Instituts, das den Krebs besiegen soll.
Mark Zuckerberg und seine Ehefrau, die Kinderärztin Priscilla Chan, riefen den Breakthrough Prize in Life Sciences ins Leben. Der Gründer von eBay, Pierre Omidyar und Ehefrau Pam, auch sie Biologin, spendeten Millionen für die Erforschung des Phänomens, weshalb bestimmte Menschen bestimmten Krankheiten besser widerstehen. Der Gründer von Celgene, Robert Hariri, schuf zusammen mit dem Genomspezialisten Craig Venter eine Stiftung zur genetischen Erforschung der Langlebigkeit; 2014 wurde sie in ein Unternehmen umgewandelt.
Die von Transhumanismus inspirierte Philanthropie verwischt die Grenzen zwischen gemeinnützigen und lukrativen Investitionen. So finanziert Peter Thiel einerseits akademische Forschungsarbeiten in Biotechnologie und anderseits ihre Spin-offs wie Longevity Biotech oder Cytegen. Das Hybridmodell ist auch ausserhalb der USA attraktiv. Der russische Milliardär Yuri Milner subventioniert den Breakthrough Prize und fördert Start-ups der Preisträger wie Foundation Medicine. «Initiative 2045» des russischen Web-Milliardärs Dmitry Itskov ist ebenso ein Forschungsprojekt über die Singularität von Ray Kurzweil wie ein Inkubatorprogramm für Start-ups.
Der Franzose Laurent Alexandre, der mit der Website Doctissimo ein Vermögen gemacht hat, unterstützt den Spin-off Cellectis des Institut Pasteur, dessen amerikanische Filiale für 65’000 $ Zellen lagert, um bei Versagen ein neues Organ herstellen zu können.
Statussymbol der Zukunft
Diese Kombination von Philanthropie und Investition in ein Spitzen-Start-up ist heute ein Statussymbol. Die Idee, Forschungsprojekte zu finanzieren, um den Tod hinauszuschieben, ist zum sozialen Indikator der jungen Technologiemilliardäre geworden. Ob es sich um unternehmerische oder akademische Projekte handelt – in jedem Fall müssen sie futuristisch und provokativ sein. Diese transhumanistisch inspirierte Zukunft wird zum ultimativen Luxus und markiert einen Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt.
So bezieht sich in Europas Luxus fast systematisch auf althergebrachtes Savoir-faire, auf Traditionen, unvergängliche Objekte. Im Silicon Valley oder in Shenzhen hingegen bedeutet Luxus Risikobereitschaft und Zukunftsorientiertheit, wie es der Erfolg von Tesla Motors, der Aufstieg in ein höheres Segment von Apple und selbstredend die zunehmende Popularität der transhumanistischen Bewegung bei der Hightech-Elite zeigen.
Wird diese gigantische Mobilisierung von Intelligenz und Geld schliesslich zum Erfolg der transhumanistischen Projekte führen? Schwierig zu sagen. Dafür spricht jedenfalls die wissenschaftliche Aktualität, denn allein im April wurde geradezu eine Lawine von Neuheiten in diesem Bereich registriert. Das National Institute of Health, die oberste medizinische Autorität der USA, hat dem Unternehmen Bioquark erlaubt, an zwanzig toten Personen eine Zelltherapie zu testen, um einen Teil der Neuronen zu neuem Leben zu erwecken.
Das Wissenschaftsmagazin «Nature» hat Ergebnisse der Mayo Clinic veröffentlicht, wonach es Forschern gelungen ist, seneszente Zellen der Maus zu eliminieren und so die Lebenserwartung um 25% zu erhöhen. Und in der Schweiz haben Professor Auwerx, Inhaber des EPFL-Lehrstuhls von Nestlé, und sein Team ein Vitamin ausgemacht, das die Regeneration von Organen älterer Mäuse aktiviert.
Grenzüberschreitungen
Während die jüngsten Errungenschaften im Bereich der Ewigkeit noch unter akademischer Kontrolle geschehen, hat die Verbreitung des Transhumanismus bereits Grenzüberschreitungen zur Folge. Vor einigen Monaten teilte Elizabeth Parrish, CEO des Biotechnologieunternehmens Bioviva, mit, dass sie als erster Mensch dank einer Gentherapie verjüngt wurde. Die 44-Jährige behauptet, zwei Jahrzehnte gewonnen zu haben dank Manipulation der Telomere, eines Enzyms des Zellkerns, deren Zellteilung für die Alterung veranwortlich ist.

Die Aussage könnte man als abenteuerlich abtun, hätte die spanische Wissenschaftlerin Maria Blasco nicht 2012 bewiesen, dass eine TelomerGentherapie das Leben von Mäusen um 20% verlängert. Indem sie die gelbe Linie überschreitet, erinnert uns Elizabeth Parrish daran, dass das Streben nach ewigem Leben oder Jungbrunnen für Reiche und Mächtige nichts Neues sind.
In seinem Buch «Book of Immorality» erzählt der amerikanische Schriftsteller und Musiker Adam Gollner von Transfusionen von Blut kleiner Kinder für Papst Innozenz VIII (1432–1492), von Hodentransplantationen von Affen des Doktor Voronoff in den 1920er-Jahren. Um nur zwei von unzähligen Grenzüberschreitungen zu nennen. Diese Beispiele zwingen uns, die transhumanistische Perspektive, das Leben radikal zu verlängern, mit einer gewissen Skepsis zu betrachten.
Wobei man sich daran erinnern soll, dass sich die Lebenserwartung dank technischem Fortschritt seit 1840 stündlich um fünfzehn Minuten verlängert hat. Es stellt sich die Frage, ob diese Errungenschaften der exklusive Luxus einer Elite bleiben soll oder ob die Massen ebenfalls Zugang dazu erhalten werden. Möglicherweise finden wir die Antwort beim weisen Gilgamesch, der auf die Unsterblichkeit verzichtete, weil er den wahren Luxus in einem glücklichen Leben ortete.
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