Es ist einer der grössten Mythen der Volkswirtschaft: Das «Fractional Reserve Banking» – das Modell, dass die Geldschöpfung der Banken durch die Mindestreserven begrenzt sieht. Damit räumt Paul Sheard, Chefökonom von Standard & Poor’s, in einem Artikel («Repeat After Me: Banks Cannot And Do Not Lend Out Reserves») gehörig auf.
Er erklärt, warum die Reserven keine Rollen spielen, denn die seit der Finanzkrise riesigen Reserven der Banken bei den Zentralbanken können nicht als Kredite verliehen werden – und deswegen auch keine Inflation verursachen.
Das Fractional Reserve Banking
Unstrittig ist, dass das Bankensystem selbst Geld in Umlauf bringen kann: Die Banken verleihen mehr Geld, als die Zentralbank per Banknoten geschaffen hat. Gemäss dem Erklärungsansatz des Fractional Reserve Banking wird die Geldschöpfung durch die Banken (Giralgeldschöpfung) mithilfe der zu hinterlegenden Mindestreserven bei der Zentralbank in Zaum gehalten. Demnach läuft die Kreditvergabe folgendermassen ab:
- 100 Franken werden von Kunde Z bei Bank A hinterlegt. Bank A muss beispielsweise 10% bei der Zentralbank hinterlegen, kann also 90 Franken an Kunde Y ausleihen.
- Kunde Y gibt diese 90 Franken aus, damit landen sie als Einlage bei Bank B. Diese muss wieder 10% hinterlegen und kann 81 Franken an Kunde X ausleihen.
- Die 81 Franken werden wieder bei einer Bank hinterlegt, die diese wiederum ausleihen kann. Und so weiter.
- Am Ende kann aus einer Einlage von 100 Franken maximal ein Kreditvolumen von 1000 Franken enstehen. Der sogenannte Geldschöpfungsmultiplikator (Money Multiplier) berechnet sich aus dem Kehrwert des Mindestreservesatzes (20% würde einen Money Multiplier von 5 ergeben) – falls die Bürger all ihr Geld auf die Bank brächten und kein Bargeld vorhielten.
Würde dieser Ansatz stimmen, müsste Quantitative Easing eine Kreditexplosion verursachen. Denn die Banken haben nun jede Menge Reserven bei der Zentralbank liegen. In der Eurozone war es besonders das Refinanzierungsprogramm der Banken LTRO, das dazu geführt hat. In den USA waren es die Käufe von Anleihen durch das Quantitative-Easing-Programm, das die Zentralbankgeldmenge erhöht hat.
Wie Kredite tatsächlich vergeben werden
S&P-Ökonom Sheard weist darauf hin, dass Banken nicht zuerst Bankeinlagen (Depositen) brauchen, um Kredite zu schaffen. Und im Normalfall sind die Finanzinstitute nicht durch die Mindestreserven begrenzt. Damit ist das Fractional Reserve Banking kein sinnvoller Erklärungsansatz.
Sheard erklärt die Kreditvergabe ganz anders: Banken vergeben Kredite aus dem Nichts. Wenn ein Kredit geschaffen wird, ergibt sich automatisch auch eine Einlage: Das Geld wird dem Kunden auf das Konto gutgeschrieben. In der Bankbilanz sieht das folgendermassen aus: Der Kredit ist auf der Aktivseite, die Gutschrift für den Kunden auf der Passivseite (ein Konto ist eine Verbindlichkeit der Bank gegenüber dem Kunden). Die schon gehaltenen Einlagen von anderen Kunden spielen also keine Rolle bei der Kreditvergabe.
Betrachtet man die Bankbilanzen aggregiert, bestehen sie vereinfacht aus:
Reserven + Kredite + Anleihen = Depositen + Eigenkapital
Werden die Kredite erhöht, erhöhen sich die Depositen. Aber Reserven, Investitionen in Anleihen und das Eigenkapital bleiben identisch. Hat eine Bank mehr Reserven als sie eigentlich braucht, kann sie natürlich versuchen, sie an andere Banken weiterzugeben. Dies ist der Interbankenmarkt, auf dem Liquidität im Finanzsektor verteilt wird – also Geld etwa über Repos verliehen wird. Aber das Bankensystem insgesamt – und damit die Bankbilanz aggregiert – hält die Reserven insgesamt.
Über das gesamte Bankensystem gesehen gibt es nicht plötzlich neue Einlagen, die man verleihen könnte. Gibt es Transfers von einem Bürger oder Unternehmen zum anderen bleiben die Einlagen ja insgesamt gleich. Sondern neue Einlagen kommen aus den neuen Krediten oder vom Staat.
Während die Bankreserven in der USA seit der Finanzkrise explodiert sind, kann man das von der Geldmenge M2 kaum behaupten. M2 deckt den Bargeldumlauf und die Sicht- sowie Spareinlagen bei Banken ab. Andersherum hatte die Erhöhung der Bankreserven das Kreditwachstum nicht in die Höhe schiessen lassen:
Quelle: Standard & Poor’s
Der faktische Geldschöpfungsmultiplikator als Verhältnis von M2-Geldmenge zu Bankreserven ist in sich zusammengebrochen – obwohl sich der Mindestreservesatz nicht verändert. Die Geldmenge ist eben nicht abhängig von den Bankreserven:
Quelle: Standard & Poor’s
Woher kommen die Reserven?
Die Zentralbankreserven kommen aus einer Erhöhung der Aktiva der Notenbank. Wenn also die Notenbank Kredite vergibt, Anleihen oder andere Währungen kauft, entsteht Zentralbankgeld. Dieses Geld kann entweder bei der Zentralbank hinterlegt sein (Reserven) oder als Banknoten zirkulieren.
Die Aktive entsprechen den Passiva, bestehend aus: Reserven + Banknoten + Staatseinlagen
Wenn sich trotz neuer Kredite nicht die Nachfrage nach Banknoten erhöht, steigt auch nicht die Zentralbankmenge. Und die Reserven verkleinern sich auch nicht.
Wie steuern die Zentralbanken die Geldmenge?
Die Notenbanken will mit ihrer Geldpolitik in normalen Zeiten den kurzfristigen Zins im Interbankenmarkt auf einem bestimmten Niveau halten. Wollen die Banken mehr Kredite schaffen, werden auch neue Depositen geschaffen. Dafür müssen sie Mindestreserven bei der Zentralbank halten. Die Zentralbank wird das Angebot an Reserven für die Banken so steuern, dass der kurzfristige Zins auf dem angepeilten Zielniveau bleibt.
Die Zinsen auf dem Interbankenmarkt steigen, falls die Zentralbank nicht die nötigen Reserven bereitstellt. Benötigt eine Bank dann muss sie sich auf dem Interbankenmarkt die Mittel von anderen Finanzinstituten leihen – und der Zins (der Preis für das Geld) würde unerwünscht steigen.
Sheard erklärt: «Zentralbanken können in normalen Zeiten nicht einen Zinssatz anpeilen und unabhängig davon die Reserven beeinflussen.»
Was ist anders unter dem Quantitative Easing?
Das Problem im jetzigen Umfeld sind die Zinsen, die nahe null sind. Es macht nun nichts, mehr Reserven zur Verfügung zu stellen, da der Zins nicht weiter sinken wird. Falls doch noch ein positiver Zins am Interbankenmarkt erreicht werden soll, können die Reserven bei der Zentralbank verzinst werden.
Die neugeschaffenen Reserven erhöhen nicht die Möglichkeit der Banken, Kredite zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde nicht durch mangelnde Reserven beschränkt. Sondern durch andere Faktoren (sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten für Kredite sowie Regulierungsvorgaben, die Banken zwangen, ihre Bilanzen zu verkleinern).
Tatsächlich wirkt das Quantitative Easing indirekt. Das Fed etwa will riskante Anlagen am Markt wieder attraktiver machen – zum Beispiel, um Kredite zu vergeben oder Unternehmensanleihen zu kaufen. Dafür kauft es sichere langfristige Staatsanleihen und Hypotheken, die damit teurer werden und weniger Rendite bringen. Marktteilnehmer sollten jetzt lieber wieder Kredite in ihr Portfolio nehmen.
Kann es trotzdem Probleme geben?
Da das Kreditwachstum nicht direkt angeheizt wird und auch nicht die Geldmenge im Umlauf steigt, schafft das Quantitative Easing (QE) also keine Inflationsgefahr. Aber: Volatilität am Finanzmarkt ist zu erwarten, wenn das Fed aus dem QE aussteigt. Denn die Preise an den Finanzmärkten werden durch das Fed und andere Zentralbanken beeinflusst. Es ist nachvollziehbar, wenn Marktteilnehmer auf einen neuen Ausblick für das QE-Programm reagieren.
Vielen Dank meine Herren. In der Tat hatte ich die letzte Buchung vergessen, der Aktivtausch also!
Sie finden hier nocheinmal eine Schritt-für-Schritt-Erklärung der Kreditschöpfung: https://www.fuw.ch/article/antworten-zur-geldschopfung/ – vielleicht wird es dadurch etwas klarer.