Wenn Schätzer sich verschätzen
Dass Auktionsexperten einen Kunstgegenstand verkennen und im Katalog viel zu tief schätzen, kommt immer wieder vor.
Dass Auktionsexperten einen Kunstgegenstand verkennen und im Katalog viel zu tief schätzen, kommt immer wieder vor. Solche Fehlleistungen, die dann im Auktionssaal zu drastischen Überbietungen dieser Schätzungen durch Händler und Sammler führen, die den wahren Wert kennen, sind wie das Salz in der routinemässigen Auktionssuppe. Schliesslich nähren sie die Illusion, dass auf Versteigerungen eben doch noch Kostbarkeit zu ergattern sind. - Wenn allerdings die PR-Abteilung der Auktionshäuser solch weit über der Schätzung liegende Zuschlagspreise als Sensationsergebnisse feiert, dann ist dies fragwürdig. Kein Auktionsexperte ist stolz auf eine Fehlbewertung, sondern erleichtert, dass das Kräftespiel der Bieter seinen Irrtum richtig stellte. Um nichts anderes als einen Irrtum handelt es sich in den meisten Fällen: Wenn ein Kunstgegenstand in einem nicht mit Lockvogelpreisen gespickten Auktionskatalog mit einer Schätzung von 1000 Fr. aufgeführt wird und dann in der Auktion auf 10000 Fr. klettert, dann hat sich der für die Katalogisierung zuständige Experte eben verschätzt und im wahren Wert dieses Gegenstands geirrt. - Im Einzelfall bleiben solche Irrtümer meist folgenlos, weil während der Auktionsvorschau fast immer Händler oder Sammler den Wert des betreffenden Gegenstands erkennen. Eine Häufung solcher Fehlschätzungen sollte allerdings alarmieren, denn auf ihre regelmässige Korrektur durch die Marktkräfte ist keineswegs Verlass, zumal ihr freies Spiel während der Versteigerung nicht selten behindert wird. - So kommt es seit den Ursprüngen der Auktion in römischer Zeit vor, dass die kleine Gruppe der Händler, die an der Vorbesichtigung den wahren Wert des Gegenstands erkannt haben, dieses Wissen verheimlicht und zum Nachteil von Einlieferer und Auktionshaus für sich nutzt. Dazu vereinbaren sie eine so genannten Kippe – den Römern als Pactum de non licitando bekannt–, dass einer von ihnen das betreffende Los ohne Gegengebot der Kollegen zur tiefen Schätzung kauft. Den nach dem Weiterverkauf zum richtigen Wert anfallenden Gewinn teilen die an dieser Kippe beteiligten Händler dann zu Lasten von Einlieferer und Auktionshaus untereinander auf. Wenn ein so geschädigter Einlieferer einen solchen Expertenirrtum nach der Versteigerung rechtzeitig erkennt und nachweisen kann, dann mag er versuchen, das Auktionshaus für den ihm aus diesem Fehler des Auktionshauses entstandene Schaden ersatzpflichtig zu machen. In den meisten Fällen erfährt der Einlieferer aber gar nichts von seinem teuren Pech. - Besondere Umstände wie etwa die Beteiligung neuer Käuferkreise oder ein spontaner Geschmackswandel im Kunstmarktpublikum können zwar vorübergehend zu einer Mehrung derartiger Schätzungsirrtümer führen. Wenn sie sich aber allzu sehr häufen, dann verdienen die betreffenden Häuser eher das Misstrauen als das Vertrauen der Einlieferer.CFC