Wer von der lockeren Geldpolitik profitiert
Wenn Zentralbanken Wertschriften kaufen, profitieren nicht alle gleich. In die Debatte mischt sich der ehemalige US-Notenbanker Narayana Kocherlakota ein: Arme mussten leiden – weil die Geldpolitik zu wenig expansiv war.
Eine Kritik an der ultralockeren Geldpolitik wird immer wieder vorgebracht: Die Finanzmärkte und die Wertpapierbesitzer mögen von den Wertschriftenkäufen der Notenbanken profitieren. Doch diese unkonventionellen Massnahmen kommen nicht in der Realwirtschaft an, da es sich um einen reinen Finanzboom handelt.
Geldpolitik ist nicht neutral
Geldpolitik ist nie neutral. Das bedeutet: Zentralbanken beeinflussen die Verteilung von Vermögen in einer Volkswirtschaft. Sie wirken auf die Inflationsrate ein – je höher die Teuerung, desto mehr werden Schuldner entlastet und Gläubiger belastet. Der reale Wert einer Kreditschuld sinkt, wenn die Inflation hoch ist.
Nun, da Zentralbanken weltweit im grossen Stil Wertschriften kaufen (Quantitative Easing, QE), hat sich die Frage nach dem Verteilungseffekt verschärft. Denn mit QE steigen die Preise für die gekauften Vermögenswerte. Wer solche Wertschriften besitzt, profitiert direkt von der Politik der Notenbanken. Und das sind meist reichere Einkommensschichten.
Reiche verloren in der Krise weniger
Nun mischt sich Narayana Kocherlakota in die Diskussion ein. Er war Präsident der US-Distriktnotenbank von Minneapolis und ist nun Professor an der Universität Rochester. Seine These: Die Armen wären besser dran gewesen, hätte das Fed noch mehr getan – eine noch lockerere Geldpolitik gefahren.
Kocherlakota beobachtet eine ungleiche Vermögensentwicklung: - – Von 2010 bis 2013, also in der Phase des Quantitative Easing durch das Fed, haben die Reichen in den USA kein Nettovermögen dazugewonnen. Die 10% reichsten Bewohner haben überraschenderweise 6,3% an Vermögenswert verloren. Mehr als die Mittelschicht. Das besagt die Befragung Survey of Consumer Finances 2013. - – Dagegen haben in der Finanzkrise von 2007 bis 2010 die Reichen relativ am wenigsten verloren. Auch damals büssten sie 6,3% an Vermögenswerten ein. Die ärmsten Familien haben dagegen ihr gesamtes Nettovermögen verloren.
Der Grund für den Vermögensverlust der armen Familien ist laut Kocherlakota: Sie hatten sich zu hoch verschuldet und waren damit am stärksten vom Einbruch am Immobilienmarkt betroffen.
«Die Armen hätten profitiert, wenn das Fed mehr getan hätte, um die Vermögenspreise hoch zu halten», folgert der ehemalige Fed-Offizielle. Und: «Die Ungleichheit ist gestiegen, weil die Geldpolitik zu restriktiv war, nicht weil sie zu locker war.»
Zentralbanker verteidigen sich
Damit geht Kocherlakota weiter als die offizielle Position der Europäischen Zentralbank. So hat EZB-Präsident Mario Draghi auf einen anderen Effekt verwiesen:
Es ist wahr, dass unsere Käufe den Marktwert von Finanzanlagen erhöhen. Aber für die Wirtschaft ist der exakte Spiegeleffekt davon relevant: geringere Kapitalkosten für Firmen und die Fähigkeit, mehr auszugeben. Das hat einen breiten Einfluss auf Produktion und Inflation und schliesslich auf Beschäftigung und Einkommen. Das reduziert die Ungleichheit.
Eine besser laufende Wirtschaft ist gut für die unteren Einkommensschichten, argumentiert der EZB-Präsident. Auch die Bank of England erklärt in einer Stellungnahme:
Ohne die Käufe von Vermögenswerten wären die meisten Einwohner des Vereinigten Königreichs schlechter gestellt. Das Wirtschaftswachstum wäre niedriger.
Gleichzeitig wird aber anerkannt, dass die Änderungen der Zinsen und das QE «unvermeidbare Verteilungswirkungen» haben.
Immobilienboom erhöht Ungleichheit
Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) stellt der britischen Geldpolitik ein negatives Zeugnis beim Einfluss auf die Vermögensungleichheit aus. Die Analysten von S&P stellen in einer Studie von Februar fest:
Die Geldpolitik hat zwar die Beschäftigung erhöht. Aber das kam mit Nebeneffekten (eine grössere Spreizung der Löhne, mehr Teilzeitjobs), die den positiven Effekt auf die Ungleichheit aufwiegen.
Höhere Vermögenspreise begünstigten die Reichen, erklärt S&P. Im Vergleich zu vor der Finanzkrise habe der Vermögensanteil der reichsten 10% der Haushalte von 56 auf 65% zugenommen.
Besonders die gestiegenen Immobilienpreise hätten die Ungleichheit in Grossbritannien erhöht. Höhere Häuserpreise erschweren es jüngeren Familien, ein Haus zu kaufen. «Jüngere Haushalte der unteren und der mittleren Einkommensschicht sind am meisten betroffen», erklärt Jean-Michel Six, S&P-Chefökonom für Europa.
Eine Folge davon sei auch, dass es immer weniger Immobilieneigentümer gebe. Und sich damit die Ungleichheit der Vermögen fortsetzen werde.
Aktiengewinne verstärken Ungleichheit
In einem Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank wurde der Effekt der höheren Vermögenspreise auf die Vermögensverteilung in der Eurozone überprüft. Die Resultate:
Höhere Aktienkurse steigern die Vermögensungleichheit deutlich.
Dagegen sorgen höhere Anleihenkurse kaum für eine Veränderung der Vermögensverteilung.
Die Effekte von höheren Immobilienpreisen unterscheiden sich deutlich, je nach Land. In manchen Ländern profitieren ärmere Schichten von höheren Häuserpreisen.
Eine Gruppe von gut 20% aller Haushalte in der Eurozone kann von höheren Vermögenspreisen nicht profitieren.
Ein Zyklus der Geldpolitik
Umfassendere Gedanken zu den Verteilungseffekten der Geldpolitik hat sich William White gemacht. Der ehemalige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel warnt immer wieder vor den unerwünschten Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik. Schon 2012 hat er eine These aufgestellt, wie verschiedene Einkommensklassen von der ultralockeren Geldpolitik beeinflusst werden. Er unterscheidet drei Gruppen:
Gruppe 1 – Unternehmer und Investoren, die ihr eigenes Vermögen durch Kredite hebeln. - Gruppe 2 – Sparer, die zwar Guthaben haben, aber risikoscheu sind. - Gruppe 3 – Kreditnehmer, die wenig Vermögen haben und sich Geld leihen.
White erläutert den Einfluss der Geldpolitik in einem Zyklus aus einem Kreditboom und einem folgenden Crash.
Während des Booms mit zu lockerer Geldpolitik (erste Phase des Zyklus):
Die Gruppe 1 aus Unternehmern und Investoren kann sich verschulden und spekulieren. Die Vermögenspreise steigen, die Wirtschaft wächst. Davon profitiert die Gruppe 1, auch wenn die Zinsen wegen der wirtschaftlichen Aktivität steigen. Dank politischer Beziehungen kann die Gruppe 1 dafür sorgen, dass ihre Spekulationen vom Staat geschützt werden. Dazu zählt White etwa den «Greenspan-Put», also dass der damalige Fed-Chef Alan Greenspan mit einer lockeren Geldpolitik Verluste an den Finanzmärkten vermeiden wollte.
Die Gruppe 2 und damit die Sparer profitieren von höheren Zinsen, da sie kurzfristige Spareinlagen haben. Die Gruppe 3 der Kreditnehmer hingegen wird durch die höheren Zinsen bestraft. Sie können aber auch profitieren, falls sie Immobilienbesitz auf Kredit gekauft haben.
Im Crash (zweite Phase des Zyklus):
Die Gruppe 1 der Unternehmer und der Investoren verliert einen Teil ihres Vermögens. Durch Lobbying erlangen sie vielleicht auch Hilfe (Bail-out) vom Staat. Die Gruppe 2 der risikoscheuen Sparer muss die grösste Belastung ertragen, da im Crash von Gläubigern zu Schuldnern umverteilt wird. Ihre Vermögen bringen nun weniger Zinsen und ihre Pensionen weniger Ertrag.
Die Gruppe 3 der Kreditnehmer profitiert zwar von der ultralockeren Geldpolitik dank niedriger Zinsen. Doch die Mitglieder dieser Gruppe leiden auch am meisten unter dem Crash, denn ihr Vermögen ist sehr gering und gehebelt. Sie haben relativ grosse Verluste zu verzeichnen, wie Kocherlakota beobachtet hat. Ihr Zugang zu Kredit trocknet aus. Und sie verlieren den Job, wenn es bergabgeht.
Grundsatzfrage der Geldpolitik
White sieht eine Ironie der Geldpolitik. Die lockere Kreditvergabe sollte eigentlich den Ärmsten helfen. Aber nach einem Crash könnte ihnen die Geldpolitik am meisten schaden. Kocherlakota oder Draghi scheinen diese Ironie nicht zu sehen.
Es geht um das grundsätzliche Verständnis von Geldpolitik und ihren Nebenwirkungen. Ist das Anheizen der Preise von Vermögenswerten langfristig eine gute Entwicklung? Kocherlakotas Argument läuft darauf hinaus, dass die Notenbank die verschuldeten Armen schützen muss – indem die Vermögenswerte sich schnell erholen. Dagegen ist für White der Boom das Problem. Die anfänglich lockere Kreditvergabe hat die unteren Einkommensschichten anfällig gemacht.
Zentralbanken im Dilemma
White ist nicht der Einzige, der vor Ungleichgewichten durch die lockere Geldpolitik warnt: Neben der Inflation der Vermögenswerte und dem Schuldenboom gehört dazu auch, dass allzu günstige Finanzierungskosten Geschäftsmodelle am Leben erhalten, die langfristig nicht überlebensfähig sind. In der Eurozone wird zusätzlich kritisiert, dass die südeuropäischen Länder keinen Anreiz mehr haben, Strukturreformen durchzuführen, denn die ultralockere Geldpolitik lindert den Druck.
Die Zentralbanken sind in einem Dilemma. Die Verteilungsfrage ist nur ein Teil dieses Zwiespalts. Selbst wenn die Währungshüter die Ungleichgewichte erkennen, können sie eine zügige Straffung der Geldpolitik und damit einen Absturz der Wirtschaft nicht riskieren.
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