Mit seinem berühmten Versprechen «Whatever it takes» (alles zu tun, was nötig ist), um den Euro zu retten, befreite Mario Draghi im Jahr 2012 als damaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) die Eurozone aus einer tiefen Wirtschaftskrise. Jetzt hofft Draghis Heimatland, ebenfalls von ihm gerettet zu werden, wenn er eine neu zu bildende Regierung der nationalen Einheit anführt. Aber selbst für «Super-Mario» ist der Erfolg alles andere als garantiert.
Draghis Geschick, Kompetenz und Glaubwürdigkeit stehen ausser Frage, und er wird mit Sicherheit ein hoch qualifiziertes Kabinett zusammenstellen. Aber die vor ihm liegende Herausforderung sollte nicht unterschätzt werden. Die katastrophale Covid-19-Pandemie hat nicht nur Italiens lang anhaltende Wirtschaftskrise verschärft, sondern das Land auch in eine lähmende politische Krise gestürzt.
Will Draghi die durch Covid ausgelöste Notlage wirksam bekämpfen – von einer Stärkung der wirtschaftlichen Grundlagen Italiens ganz zu schweigen –, muss er zunächst durch die verzwickte politische Situation des Landes navigieren.
Heikle Allianzbildung
Draghi hat recht schnell die Unterstützung aller grossen Parteien erhalten (ausser Fratelli d’Italia, ganz rechts aussen). Cinque Stelle stimmte am Donnerstag per Online Voting zu 59% einer Beteiligung an der Draghi-Regierung zu. Einige Draghi-Gegner (sowie auch Berlusconi-Gegner, dessen Partei an der Regierung ebenfalls teilnehmen wird) haben bereits ihren Austritt aus dem M5S bekanntgegeben. Diese Woche befinden Senat und Abgeordnetenkammer über das Kabinett.
Doch diese Allianz wird schwer kontrollierbar sein und könnte leicht zur Geisel von Streitigkeiten, Vorlieben und Launen ihrer Mitglieder werden.
Es gibt vieles, worüber sich Italiens politische Kräfte uneinig sein könnten. Zur Agenda der Regierung Draghi werden sowohl kurzfristige Notfallmassnahmen als auch langfristige Strukturreformen gehören müssen – die allesamt erhebliche öffentliche Ausgaben erfordern werden. Der mit 750 Mrd. € dotierte Covid-Wiederaufbaufonds der EU (aus dem Italien als eines des am schwersten betroffenen Länder 200 Mrd. erhalten soll) wurde unter diesem Gesichtspunkt konzipiert.
Schuldenquote steigt
Draghi räumte ein, dass zu jeder Lösung der durch Covid verursachten Wirtschaftskrise «ein erheblicher Anstieg der Staatsschulden gehören wird». Im Fall Italiens muss dieser Anstieg allerdings wirklich erheblich sein.
Als Italien vom Pandemieschock getroffen wurde, hatte es sich noch nicht vollständig von der Finanzkrise des Jahres 2008 erholt. 2020 schrumpfte das BIP fast 9%. In Kombination mit dem Anstieg der öffentlichen Ausgaben, die darauf abzielten, den Schaden für Betriebe und Haushalte zu mildern, ist Italiens Schuldenquote auf etwa 155% gestiegen.
Das BIP soll heuer nur etwas mehr als 4% wachsen. Sobald jedoch die Erholung von der letztjährigen Kontraktion vorbei ist, wird sich das BIP-Wachstum deutlich verlangsamen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die reale Wirtschaftsleistung in den nächsten Jahren auf das Niveau von vor der Pandemie zurückkehrt und damit die Schuldenquote sinkt.
Das persönliche Format hilft
Der Schlüssel, um diesen hohen Verschuldungsgrad tragbar zu machen, liegt laut Draghi darin, die öffentlichen Ausgaben in Richtung «produktiver Zwecke» wie etwa Bildung und Qualifizierung zu lenken. Allerdings könnten Italiens politische Parteien mit Draghis Unterscheidung zwischen «guten» und «schlechten» Schulden nicht einverstanden sein. Bereits jetzt herrscht weitgehende Uneinigkeit darüber, wie die Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds eingesetzt werden sollen.
Grundsätzlich gilt zwar, dass Ausgaben für produktive Zwecke Teil der Gleichung im Hinblick auf die Schuldentragfähigkeit sind, aber es ist auch von Bedeutung, die Kosten des Schuldendiensts niedrig zu halten. Dafür ist eine funktionierende Regierung eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Auch die Politik muss glaubwürdig sein.
Draghis persönliches Format ist in dieser Hinsicht hilfreich. Italiens Aktien- und Obligationenmärkte erholten sich schon beim blossen Gedanken an eine von Draghi geführte Regierung. Doch eine Person allein kann nicht garantieren, dass ein Land seinen Verpflichtungen aus den Schulden auch nachkommt. Italiens dysfunktionale Politik hat in den vergangenen 25 Jahren viele fähige Männer (die noch immer die italienische Politik beherrschen) zu Fall gebracht.
Rasch Neuwahlen ansetzen
Wenn Draghi dieses Schicksal vermeiden will, muss er sich darauf konzentrieren, den Grundstein für Italiens wirtschaftlichen Übergang zu legen. Das bedeutet eine zeitliche Begrenzung seiner Amtszeit: Egal, wie gross der Druck auf ihn auch ist, er sollte nicht länger als bis 2022 Premierminister bleiben – vielleicht nicht einmal so lange. Vielmehr sollten so schnell wie möglich Neuwahlen angesetzt werden.
Es gibt kein Rezept zur Lösung der politischen Krise Italiens, und niemand sollte von Draghi erwarten, dass er damit aufwartet. Eine technokratische Regierung muss wirksam und von kurzer Dauer sein, damit ihr Erbe durch die Arbeit der Nachfolger definiert werden kann. Das heisst, Draghis Schwerpunkt sollte darauf liegen, die politischen Kräfte Italiens in Richtung nachhaltiger politischer Entscheidungen zu lenken.
Vertrauen in den Staat wiederherstellen
Es heisst auch, dass diese Kräfte herausfinden müssen, wie man konstruktiv miteinander umgeht. Das ist schliesslich ein Kennzeichen einer reifen Demokratie. Schon allein der Versuch, manche kritische Stimmen wie die der Euroskeptiker oder auch der Faschisten zum Verstummen zu bringen, könnte dazu führen, dass Druck aufgebaut wird, der sich womöglich dann in einer verheerenden Explosion entlädt. Die Entschärfung derartiger Kräfte durch Dialog und effektive Regierungsführung ist der einzige glaubwürdige Weg nach vorne.
Italiens aktuelle Krise kommt zu einer Zeit, da die Bürger im Lockdown verharren und mit dem viel gepriesenen Impfprogramm bisher weniger als 4% der Bevölkerung erreicht wurden. Dadurch wurde das Vertrauen der Italiener in ihre politische Führung weiter erschüttert. Mit geschicktem und mutigem Handeln kann Draghi einen Beitrag leisten, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Aber er kann es nicht allein tun.
Copyright: Project Syndicate.
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«Whatever it takes» für Italien
Auch der designierte Ministerpräsident Mario Draghi hat kein Rezept zur Lösung der politischen Krise Italiens. Seine Technokratenregierung muss wirksam und von kurzer Dauer sein. Ein Kommentar von Paola Subacchi.