«Wie ein Echo der späten Neunzigerjahre»
Jeffrey Gundlach, CEO der US-Investmentboutique DoubleLine, fürchtet Übertreibungen an der Börse. Er vergleicht die Stimmung am Aktienmarkt mit dem Tech-Boom zur Jahrtausendwende.

An der Börse herrscht weitherum Optimismus. Nach dem fulminanten Schlussbouquet Ende 2013 sind Aktien zwar etwas verhalten ins neue Jahr gestartet. Der US-Leitindex
S&P 500 hat aber diese Woche bereits einen neuen Rekord markiert. Die breite Zuversicht stimmt Jeff Gundlach skeptisch: «In den mehr als dreissig Jahren, in denen ich mittlerweile in der Investmentbranche arbeite, waren die Prognosen über fast alle Anlageklassen hinweg noch nie so einhellig», sagt der charismatische Chef des amerikanischen Bondhauses DoubleLine. Er ist besorgt darüber, dass Spekulation mehr und mehr überhandnimmt, und zieht Parallelen zum Internetboom Ende der Neunzigerjahre.
Herr Gundlach, an Wallstreet kennt man Sie vor allem als bedeutenden Bondinvestor. Sie sind aber auch ein profunder Kunstkenner. Was sagt es über die Mentalität der Märkte aus, wenn an Kunstauktionen neue Rekorde fallen, wie zuletzt etwa für das Triptychon von Francis Bacon? - Der Kunstmarkt gibt einen aufschlussreichen Einblick in gesellschaftliche Trends. Von den Schlagzeilen her könnte man meinen, die Entwicklung sei extrem robust: Werke aus dem absoluten Topsegment wie das Triptychon oder «Der Schrei» von Edvard Munch erzielen Spitzenpreise. Etwas weiter unten auf der Skala ist der Markt hingegen nur schwach.
Warum ? - Der Kunstmarkt spiegelt, dass in unserer Welt die Preise für die superteuren Dinge unglaublich avanciert sind. Das zeigt sich auch an den massiv gestiegenen Immobilienpreisen in Städten wie New York, London, Hongkong oder Singapur. Im weniger exklusiven Segment ist der Trend jedoch weit weniger solid. Ich sammle beispielsweise Gemälde kalifornischer Künstler. Solche Arbeiten haben substanziell an Wert verloren, weil diese Preisklasse für Milliardäre wenig attraktiv ist. Sie zieht eher Käufer an, die einfach etwas Geld auf der Seite haben. Diesen Leuten machen die ultratiefen Zinsen extrem zu schaffen, und sie sorgen sich um ihre Rente. Sie halten ihr Geld lieber auf der Seite, als ein Bild für 200 000 $ zu kaufen.
Und was sagt das jetzt über die heutige Gesellschaft aus? - In der Mitte ist die Situation längst nicht so stabil, und die Vermögensverteilung wird immer extremer. Es fragt sich damit auch, wer denn eigentlich am meisten von den kräftigen Avancen am Aktienmarkt profitiert. Es sind vor allem Leute mit enorm viel Vermögen. Die Mittelklasse hingegen hat kaum Geld für grössere Engagements an der Börse.
Die Aktienmärkte sind nach der fulminanten Performance von 2013 eher verhalten ins neue Jahr gestartet. Wie geht es an der Börse nun weiter? - Es herrscht gegenwärtig enorm viel Optimismus, und der Glaube an Aktien ist überwältigend. Aus meiner Sicht steht die Börse an einem ähnlichen Punkt wie Gold und Silber im Frühjahr 2011, als die Notierungen einfach immer weiter und weiter stiegen. Silber bewegte sich damals auf etwa 42 $ pro Unze, und immer mehr Investoren drängten in Edelmetalle. Der Silberpreis schnellte dann zunächst zwar weiter auf annährend 50 $ hoch. Dann sackte er aber plötzlich auf 20 $ ab.
Wie sollen sich Investoren in einem solchen Umfeld verhalten? - Jetzt neues Geld in Aktien zu investieren, erscheint mir etwa so, wie Silber um 42 $ zu kaufen. Wie im Frühjahr 2011 kapitulieren viele Skeptiker und sagen, es deute alles auf weitere Kursavancen hin. Das fühlt sich an wie ein Echo der späten Neunzigerjahre. Damals herrschte an der Börse eine ähnliche Stimmung, und es hiess, es gebe kein attraktiveres Umfeld für Aktien. Das würde aber auch bedeuten, dass sich die Dinge kaum noch wesentlich verbessern können. Es ist wie mit einer Triple-A-Anleihe: Weil die Schuldnerqualität bereits mit dem höchsten Rating bewertet ist, kann es künftig nur noch eine Herabstufung geben.
Was könnte eine Korrektur auslösen? - Sorgen macht mir die momentane Logik des Marktes: Demnach steigen die Kurse, solange die US-Notenbank das Stimulusprogramm QE3 weiterlaufen lässt. Und auch wenn sie QE3 ganz beende, würden Aktien avancieren, weil dann die Wirtschaft auf Touren komme, heisst es. Diese Argumentation gibt mir zu denken. Besonders faszinierend ist, dass Rohstoffe und speziell Gold etwa am selben Zeitpunkt das Höchst erreichten, als das Federal Reserve QE3 startete. Seither geht es mit Rohstoffen nur noch abwärts.
Wie erklären Sie sich das? - Auffällig ist, dass es zwischen Gold und dem US-Häusermarkt eine negative Korrelation gibt. Das ist kein Zufall, sondern Ursache und Wirkung. Nach der Finanzkrise hatte kaum jemand Vertrauen in Aktien und Immobilien. Gold hingegen war populär und galt als eine der wenigen Anlagen mit attraktiven Perspektiven. Grossinvestoren und zuletzt auch immer mehr Kleinanleger drängten deshalb in Gold. So erreichte der Preis genau in dem Moment den Zenit, als der Häusermarkt den Tiefpunkt durchschritt. Doch dann kehrte das Vertrauen in Immobilien zurück, worauf der Geldstrom drehte und der Goldpreis ins Rutschen kam.
Dass es dem Häusermarkt wieder besser geht, ist doch aber erfreulich. Was stimmt Sie denn so skeptisch? - Zum Beispiel die Margin Debt. Das sind Schulden, die Investoren aufnehmen, um noch mehr Aktien zu kaufen. Sie sind ein Haupttreiber der Hausse. Absolut gemessen steht die Margin Debt derzeit auf einem Rekordniveau, und sie bewegt sich auch im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt nahe dem Allzeithoch. Das ist besorgniserregend. Richtig gefährlich wird es aber erst, wenn der Trend kehrt, wenn also Gläubiger ihr Geld zurückfordern und Positionen in Aktien zwangsliquidiert werden müssen. Noch gibt es dafür keine Anzeichen. Es lässt sich aber auch nicht argumentieren, dass es derzeit kaum Spekulation an der Börse gebe.
Generell wird momentan häufig von Spekulationsblasen gesprochen. - Die Vergangenheit zeigt, dass jeweils am meisten über eine Blase geredet wird, wenn der Markt nahe dem Scheitelpunkt steht. Aktuell wird zwar viel von Übertreibungen gesprochen. Noch mehr wird aber über Gründe geredet, warum es keine Blase gebe. Vergleicht man, wie oft die Wörter Aktien und Blase derzeit in den Medien erwähnt werden, gibt es erneut frappante Parallelen zum Ende der Neunzigerjahre. Die Warnsignale leuchten alle auf: der grosse Optimismus unter Investoren, das hohe Niveau der Margin Debt und das viele Gerede über Blasen.
Sind das erste Kehrseiten der ultralockeren Geldpolitik? Blasen sind neuerdings ja auch für die US-Notenbank ein Thema, wie das letzte Sitzungsprotokoll zeigt. - Gier und Furcht sind sehr starke Marktkräfte. Am mächtigsten ist jedoch Zwang. Die tiefen Zinsen sind deshalb ein sehr mächtiges Instrument der Geldpolitik. Sie setzen Investoren, die auf eine gewisse Rendite angewiesen sind, unter Handlungsdruck – und wer unter Zwang steht, nimmt dafür hohe Risiken in Kauf. Ähnlich ist es, wenn man 1000 $ Miete pro Monat zahlen muss, aber nur 500 $ verdient: Unternimmt man nichts, wird einem die Wohnung gekündigt. Also geht man nach Las Vegas und setzt beim Roulette alles auf Schwarz. Geht es gut, ist die Wohnung vorerst gesichert. Kommt hingegen Rot, spielt das keine grosse Rolle mehr, weil man ohnehin bald auf der Strasse steht.
Immerhin haben die langfristigen Zinsen seit Sommer angezogen. Wie beurteilen Sie die Perspektiven für Anleihen? - Viel zu oft wird einfach aus der Vergangenheit abgeleitet, was in der Zukunft passiert. So ist die Ansicht weit verbreitet, dass Aktien ihre Hausse fortsetzen und die Zinsen dieses Jahr weiter steigen. Am Bondmarkt hat sich die Situation jedoch nach dem Panikschub im Sommer merklich beruhigt. Mit Schulden finanzierte Investitionen mussten damals liquidiert werden, deshalb sind die Zinsen in einer ersten Phase so rasch gestiegen. Diese Positionen sind nun weitgehend bereinigt. Dass die US-Notenbank das QE3-Programm zurückfährt, macht mir für Obligationen daher weniger Sorgen. Der Anleihenmarkt nimmt es bislang relativ gelassen, auch weil die Inflationsrate weiter gesunken ist.
US-Notenbankchef Ben Bernanke tritt Ende Monat ab. Was erwarten Sie von der neuen Fed-Präsidentin Janet Yellen? - Bei einem solchen Regimewechsel ist es immer schwierig vorauszusagen, was passieren wird. Das Federal Reserve ist momentan in zwei Lager gespalten. Janet Yellen gehört dabei zu derjenigen Gruppe, die das Sagen hat und die Geldpolitik primär nach den Konjunkturdaten ausrichten will. Es wird deshalb wohl kaum grosse Veränderungen geben. Es sei zwingend, die Zügel nicht zu früh zu straffen, hat Yellen bereits betont. Das ist eine sehr starke Aussage. Solange die Erholung der Wirtschaft nicht gesichert ist, wird das Fed damit weiterhin auf stimulierende Massnahmen setzen – gerade auch wenn die Inflation derart gering bleibt und die Rohstoffmärkte sich nicht erneut aufheizen.
Was bedeutet das für die Zinsen? - Obschon oft behauptet wird, dass QE3 inflationär wirke, sehe ich davon überhaupt nichts. Die QE-Programme haben aber einen enormen Engpass im Markt für hochwertige Anleihen geschaffen, weil ein Grossteil davon jetzt auf der Bilanz der Notenbank sitzt. Viele Investoren denken, das spiele keine Rolle, da US-Schatzpapiere wegen der tiefen Rendite ohnehin wenig attraktiv seien. Was aber, wenn die Nachfrage aus irgendeinem Grund plötzlich anspringt? Im Treasury-Markt gibt es immer mehr Leerverkäufer, die in einem solchen Fall schwer unter Druck kommen würden und ihre Positionen glattstellen müssten. 2014 könnte es damit zu einem der undenkbarsten Szenarien kommen, nämlich dass Investoren zurück in US-Staatsanleihen gedrängt werden. Auch wenn mein Engagement schon grösser war, halte ich daher in meinem diversifizierten Anleihenfonds noch immer rund 20% Treasuries.
Was wäre ein Alarmzeichen, dass die Stimmung dreht? - Besonders interessant finde ich Amazon. Ich verstehe einfach nicht, warum der Konzern so hoch bewertet ist, obwohl er derart wenig Geld verdient. Die Aktien steigen einfach immer weiter. Investoren sind so geduldig mit Amazon, weil sie damit rechnen, dass sich ihr Engagement eines Tages auszahlt. Solange die Aktien Amazon steigen, zeigt das, dass die Zuversicht generell gross und der Glaube an die Zukunft intakt ist. Beginnt der Kurs jedoch zu sinken, sind Investoren mit der Geduld am Ende, und der Optimismus im Markt vergeht.
Viel Zuversicht herrscht auch für Europa. Ist die Schuldenkrise inzwischen definitiv abgehakt? - Es ist schon erstaunlich, wie rasch die Angst um die EU und um den Euro verflogen ist. Die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen aus Spanien und Italien sind inzwischen gegen 3,8% gesunken. Der Risikoaufschlag zu US-Schatzpapieren beträgt damit nur noch rund 1 Prozentpunkt. Das ist denkwürdig, denn fundamental sieht die Situation in Europa nicht gut aus, speziell was Frankreich und seine Banken betrifft. Auch begünstigen die Rettungsmassnahmen vor allem die Elite, nicht aber die breite Bevölkerung. An der Europawahl im Mai könnte es daher eine Retourkutsche geben, was an den Märkten neue Nervosität auslösen würde. Ich halte deshalb keine europäischen Aktien und habe eine Abneigung gegen europäische Bonds.
Wie haben Sie denn Ihr Geld angelegt? - Meine Beteiligung an DoubleLine einmal ausgenommen, habe ich rund 60% meines Vermögens in Immobilien, Kunst, Edelsteinen und anderen Sachwerten investiert. Von den restlichen 40% sind 30% Cash und 70% tatsächliche Finanzinvestments. Letztere wiederum bestehen rund zur Hälfte aus Anlageprodukten von DoubleLine.
Das führt uns zum Kunstmarkt zurück. Wo gibt es dort Chancen für Investoren? - Ich habe zwar auch die letzte Auktion in New York besucht, an der das Triptychon versteigert wurde. Erstmals seit zehn Jahren habe ich aber kein einziges Kaufgebot abgegeben. Es ist denkbar, dass der Kunstmarkt noch weiter steigt. Wer weiss aber schon, wann der Zenit erreicht ist? Das Spitzensegment profitiert vor allem von der gewaltigen Vermögensbildung in China, Russland und Südamerika. Dort herrscht jedoch eine ganz andere Mentalität. Diese Leute können ihr Geld nicht schnell genug loswerden, weil sie darin kein Vertrauen haben. Deshalb investieren sie in Sachwerte. Vor zwei Jahren mochte ich die Märkte für Kunst, Immobilien oder Diamanten noch gut. Die Preise sind seither jedoch enorm gestiegen. Ab jetzt überlasse ich dies anderen Käufern.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch