Um der Ukraine zu helfen und gleichzeitig eine nukleare Konfrontation zwischen der Nato und Russland zu vermeiden, haben die USA und ihre Verbündeten die russische Wirtschaft mit Handels- und Finanzsanktionen in bislang unvorstellbarem Ausmass belegt. Aber ist es das richtige Ausmass, und sind es die richtigen Sanktionen?
Handelssanktionen sind Verbote von Exporten, Importen oder anderen internationalen Transaktionen – darunter Landerechten für Fluggesellschaften, dem Verkauf von Vermögenswerten, Schifffahrtsrechten und Hafenprivilegien – mit einem bestimmten Land. Blockaden sind in Kriegszeiten eine bekannte Sanktion, werden von Ländern aber auch in Friedenszeiten eingesetzt. Die Idee ist, das betroffene Land zu zwingen, sein Verhalten zu ändern, indem es daran gehindert wird, die Vorteile des Austauschs mit der übrigen Welt zu nutzen.
Die Anwendung von Sanktionen wurde nach dem Ersten Weltkrieg intensiviert, als Regierungen unter der Führung von US-Präsident Woodrow Wilson übereinkamen, internationale Streitigkeiten durch wirtschaftliche Massnahmen anstelle von militärischen Aktionen zu lösen. Diese Bevorzugung von Sanktionen gegenüber gewaltsamen Konflikten setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort und hat sich seither weiter verfestigt. Bis 2020 haben die USA Sanktionen gegen mehr als 10’000 Einrichtungen verhängt – zehnmal so viele wie im Jahr 2000 –, von denen viele mit Nordkorea, Kuba und dem Iran in Verbindung stehen. Diese Massnahmen wurden grösstenteils in Form von Verboten (oder Einschränkungen) des Handels mit dem betroffenen Land ergriffen.
Umgehung und Schmuggel
Sanktionen sind anders geartet als Zölle. Während Zölle in der Regel darauf abzielen, die Produktion und die Beschäftigung in dem Land zu beeinflussen, das sie verhängt, besteht der Hauptzweck von Sanktionen darin, das Verhalten eines anderen Landes durch die erzwungene wirtschaftliche Bedrängnis zu ändern.
In der Vergangenheit waren Sanktionen nur begrenzt erfolgreich, und ihre Wirksamkeit war je nach den Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich. Wenn andere Länder sich nicht an den Sanktionen beteiligen, kann das betroffene Land die Sanktionen umgehen, indem es mit den nicht beteiligten Ländern Geschäfte macht oder den Umschlag über diese Länder abwickelt. Bis 1991 übernahm die Sowjetunion regelmässig diese Rolle, indem sie weiterhin mit den von den Vereinten Nationen sanktionierten Ländern Handel trieb. Darüber hinaus sind im Laufe der Zeit neue Schmuggelmethoden und andere Mittel zur Umgehung von Sanktionen entstanden, was ihre Durchsetzung zu einer ständigen Herausforderung macht. Je länger die Sanktionen in Kraft sind, desto mehr Wege werden Unternehmen und andere finden, sie zu umgehen.
Die Situation änderte sich in den Neunzigerjahren, als der Uno-Sicherheitsrat begann, weitreichende Sanktionen gegen bestimmte Länder zu verhängen. Im Jahr 1990 verhängte er ein Finanz- und Handelsembargo gegen den Irak als Reaktion auf dessen Invasion in Kuwait. Die US-Sanktionen untersagten amerikanischen Unternehmen alle Transaktionen mit irakischen Unternehmen, und zusätzliche Sekundärsanktionen zielten auf alle Aktivitäten mit Unternehmen, die weiterhin mit dem Irak Geschäfte machten, sowie auf Waren oder Dienstleistungen, deren Komponenten im Irak hergestellt wurden. Solche primären und sekundären Sanktionen können für die betroffenen Länder sehr kostspielig sein, aber sie haben die Regierungen in Kuba, Venezuela oder Nordkorea nicht dazu gebracht, ihr Verhalten zu ändern.
Rupien gegen Rubel
Als Russland Ende Februar in die Ukraine einmarschierte, verhängte die Regierung von US-Präsident Joe Biden einschneidende Sanktionen gegen den Handel mit Russland sowie beispiellose Finanzverbote, und die meisten anderen Länder ergriffen ähnliche Massnahmen. So wurden etwa russische Banken vom Swift-Finanznachrichtensystem für internationale Zahlungen ausgeschlossen. Infolgedessen können die Russen ihre Reserven nicht nutzen, keine Zahlungen für die meisten Exporte erhalten und ihre Importe nur in Rubel oder über ein anderes Zahlungssystem bezahlen.
Die Auswirkungen dieser Sanktionen sind weitreichend. Obwohl China sein eigenes grenzüberschreitendes Interbank-Zahlungssystem (Cips) aufgebaut hat, wickelt Swift auch heute noch den grössten Teil des internationalen Zahlungsverkehrs ab. Amiyatosh Purnanandam von der University of Michigan hat den Ausschluss russischer Banken als «gewaltlosen Atomangriff auf das russische Wirtschaftssystem» bezeichnet. Als Reaktion darauf hat Russland nach anderen Kanälen gesucht, um Zahlungen zu empfangen und zu leisten. So drängt Russland Indien auf eine Vereinbarung über den Tausch von Rupien gegen Rubel, in deren Rahmen es Öl im Austausch gegen andere Waren exportieren kann.
Das wahre Ausmass des Schadens für die russische Wirtschaft wird jedoch zum grossen Teil von der Europäischen Union, Russlands grösstem Handelspartner, abhängen. Würden die Europäer ihre Öl- und Gasimporte aus Russland einstellen, wäre der Schaden für die russische Wirtschaft schnell und schwerwiegend. Das Problem ist natürlich, dass ein Energieboykott auch für Europa extreme Härten mit sich bringen würde. Die USA und andere Länder könnten zwar dazu beitragen, den Schlag abzumildern, doch könnten sie den Lieferrückgang wahrscheinlich nicht kompensieren. Ausserdem würde ein erheblicher Rückgang der russischen Öl- und Gasexporte in die EU zu einem plötzlichen drastischen Anstieg der weltweiten Kohlenwasserstoffpreise führen, von dem alle energieimportierenden Länder betroffen wären.
Längerfristige Gefahren
Die Schrecken der russischen Invasion haben zwar starke öffentliche Unterstützung für Sanktionen hervorgerufen, doch es stellt sich die Frage, wie lange die Sanktionen sinnvollerweise in Kraft bleiben können. Je länger sie in Kraft sind, desto grösser sind die Risiken für das internationale Finanzsystem. Während Russland nach alternativen Handels- und Finanzierungsstrukturen sucht und andere Länder beginnen, sich verstärkt Sorgen über ihre eigene Belastung durch mögliche US-Sanktionen zu machen, wird das Swift-System untergraben. Wenn die Sanktionen relativ kurzlebig sind, könnte sich der Schaden für Swift in Grenzen halten. Wenn China jedoch seine Cips-Entwicklung beschleunigt, wären die längerfristigen Folgen für das internationale Finanzsystem gravierender.
Länder, die ein offenes internationales Handels- und Zahlungsverkehrssystem unterstützen, sollten diese längerfristigen Risiken erkennen und alle erdenklichen Massnahmen ergreifen, um die Dauer und die negativen Auswirkungen der Finanzsanktionen zu begrenzen. Sie können damit beginnen, die multilaterale Zusammenarbeit und Koordinierung zu unterstützen, die notwendig ist, um sicherzustellen, dass die Sanktionen gegen Russland erfolgreich sind. Sie sollten sich aber auch fest verpflichten, die Öl- und Gaslieferungen an die EU-Länder in der Zwischenzeit zu erhöhen und die Sanktionen aufzuheben, sobald die Feindseligkeiten beendet sind.
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Wie man Sanktionen sinnvoll einsetzt
Würde die EU ihre Öl- und Gasimporte aus Russland einstellen, wäre die Wirkung schnell und massiv. Doch das wäre für Europa selbst sehr hart. Ein Kommentar von Anne O. Krueger.