6,2% US-Inflation. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch, es ist der stärkste Anstieg der Teuerung in Nordamerika seit Anfang der Neunzigerjahre. Mit 5,8% wurde allgemein gerechnet. Damit lagen die monatlichen Inflationszahlen zum wiederholten Mal in diesem Jahr über den Erwartungen. Ganz direkt merken das die Konsumenten bei signifikant gestiegenen Kosten für Mieten, Gebrauchtwagen, Benzin und andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Das sorgt Politiker wie US-Präsident Joe Biden unmittelbar. Den Notenbankern dürfte das langfristig Unbehagen bereiten.
Denn die aktuellen Zahlen geben der Debatte neue Nahrung, wie «vorübergehend» («transitory») gemäss dem Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, diese Inflation tatsächlich ist. Powells Annahme ist: Während wir aus der Coronakrise herauskommen, hat die Nachfrage wieder stark zugenommen, zugleich ist das Angebot aufgrund globaler Lieferkettenengpässe und Mangel an Angestellten auf dem US-Arbeitsmarkt verknappt.
Powell deutet auf das zweite Halbjahr 2022, dann werde wohl wieder Vollbeschäftigung herrschen, und die Lieferkettenengpässe könnten sich entspannt haben. Die Inflation werde auf gesündere Werte zurückgleiten. Bis Ende 2022 preist der Markt auch schon zwei Zinserhöhungen ein, die ihrerseits die Inflation eindämmen sollen. Die Zinsstrukturkurve verflacht sich, was bedeutet, Anleger erwarten auch ob der langsam eingeleiteten Normalisierung der ultralockeren Geldpolitik eine Abkühlung der Konjunktur in der Zukunft.
Augen auf den Arbeitsmarkt
Skeptiker wie Ed Yardeni, Präsident von Yardeni Research, sehen hingegen das Risiko einer länger anhaltenden Inflation und dass «am Ende das Fed sogar einfach sein Inflationsziel von 2 auf 3% anheben wird». Oder Russell Napier, der sagt, Staaten hätten doch gerade einen Anreiz, hohe Inflation bei zugleich niedrigen Zinsen herbeizuführen, um ihre immense Schuldenlast erträglicher zu machen. Er empfiehlt den Anlegern, als Schutz dagegen jetzt Gold zu kaufen. Viele Modelle implizieren jedenfalls über 4% Inflation auch für das kommende Jahr.
Den Schlüssel zu dieser Inflationsdebatte sehen viele Experten im US-Arbeitsmarkt. Weil es Wirtschaft und Staat schlechter als anderen gelungen ist, Angestellte während der Krise zu halten, ist die Erwerbsquote deutlich tiefer als vor der Pandemie. Einige Arbeitnehmer sind vorzeitig in Rente gegangen, einige sind dem Virus zum Opfer gefallen, einige trauen sich deshalb noch nicht zurück in Anstellung oder können es schlicht nicht, weil sie sich um Angehörige kümmern müssen. Zu guter Letzt haben auch einige in dieser Pandemie nachgedacht, was sie überhaupt vom Leben wollen, und haben ihrem alten Job den Rücken gekehrt. In den USA spricht man auch von der «Great Resignation».
Unternehmen versuchen vor dem grossen Feiertagsgeschäft, mit höheren Löhnen und Antrittsgeldern Angestellte anzulocken. Dazu gibt es im ganzen Land so viele Streiks verbunden mit höheren Lohnforderungen wie selten zuvor. Dieses abzusehende Lohnwachstum kann zu Zweitrundeneffekten führen, die die Preise nochmals nach oben treiben. Die riesigen Ausgabenpakete der Regierung Biden über die kommenden Jahre und die ungewisse Dauer der globalen Lieferkettenengpässe könnten ihr Übriges tun.
Aktien gegen Teuerung
Für den Anleger, der mit Franken investiert, ist dieses Umfeld bei aller Ungewissheit und Dramatik nicht das schlechteste. Denn die heimische Währung wertet sich tendenziell gegenüber allen anderen dieser Welt auf und ist damit das Währungsäquivalent zum von Napier propagierten gelben Metall. Doch auch an Aktien kommt der renditeorientierte Anleger in diesem Umfeld nicht vorbei. Die Geschichte zeigt nämlich: Eine etwas höhere Inflation – zum Beispiel die prognostizierten 4% – kann langfristig den Aktienrenditen wenig anhaben.
Der US-Aktienmarkt eilt von Hoch zu Hoch, getrieben vor allem durch starke Drittquartalszahlen der amerikanischen Unternehmen. Denn wie die Inflation liegen auch die Ergebnisse der Unternehmen mehrheitlich über den Erwartungen des Marktes. Und die Aussichten vieler US-Konzerne sind weiterhin intakt. Doch einige Experten warnen angesichts der rekordhohen Marktniveaus: Nun sei es Zeit, in defensivere Werte zu wechseln und zu Unternehmen mit Preissetzungsmacht, die ihre Margen auch im Sturm schützen könnten. Denn auch wenn an Aktien im jetzigen Umfeld kaum ein Weg vorbeiführt, wird doch die Auswahl der Titel entscheidender.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Zurück in die Neunziger
Die Inflation in den USA schraubt sich in immer neue Höhen. Was Anleger jetzt beachten sollten. Ein Kommentar von US-Korrespondent Valentin Ade.