Schokoladeindustrie Barry Callebaut verwässert Ziel um Kinderarbeit
Der Schokoladehersteller hatte punkto Kinderarbeit ursprünglich ein ambitionierteres Ziel als seine Kunden und die Konkurrenz. Jetzt wird es revidiert. Kinderarbeit bis 2025 komplett zu eliminieren, ist offenbar nicht möglich.

Pro Person wird in der Schweiz europaweit die grösste Menge an Schokolade konsumiert. Zudem kommen drei der weltgrössten Schokoladeunternehmen aus der Schweiz: Barry Callebaut, Nestlé und Lindt & Sprüngli. Doch der üppige Verzehr der Süssware ist nicht nur für die Gesundheit, sondern auch aus ethischer Sicht nicht unproblematisch.
«Schokolade sollte wieder mehr als Luxusprodukt angeschaut werden. Wir konsumieren meist ohne das Bewusstsein, wie sie hergestellt wird», sagt Silvie Lang, Kampagnenkoordinatorin bei der Nichtregierungsorganisation Public Eye, gegenüber FuW.
Dabei ist Schokolade bei weitem nicht das einzige Produkt, das entlang der Herstellungskette Probleme aufweist. Kleidung und Kaffee sind andere Konsumgüter, die diesbezüglich oft ins Visier geraten. Doch gerade für die Schweiz als eines der Länder, die am stärksten von den Kakaoproduktionsnationen südlich des Äquators profitieren, ist es wichtig, die Schokoladeindustrie unter die Lupe zu nehmen.
Kinderarbeit ist omnipräsent
Barry Callebaut, Lindt & Sprüngli sowie Nestlé können zurzeit allesamt nicht ausschliessen, Kinderarbeit in ihrer Produktionskette zu haben. In Ghana und der Elfenbeinküste, wo 60% des weltweit geernteten Kakaos herkommen, arbeiteten zwischen 2008 und 2019 1,6 Mio. Kinder auf Kakaofarmen, dies gemäss einer Studie der Universität Chicago. Ausserdem zeigt die Studie, dass Kinderarbeit während des Erhebungszeitraums nicht wie erhofft abgenommen hat, sondern im Gegenteil deutlich zugenommen.
Dabei ist Kinderarbeit nicht nur die Tätigkeit eines Kindes, bei dem die akzeptable Stundenzahl sich nach Altersgruppe unterscheidet. Als Kinderarbeit zählt schon, wenn ein Kind gefährlichen Materialien und Chemikalien ausgesetzt ist, unabhängig von der Zahl der Arbeitsstunden. In der Kakaobranche in Ghana und der Elfenbeinküste trifft Letzteres in über der Hälfte der Fälle zu.
Im Gegensatz zu anderen Konzernen stellte Barry Callebaut mit den Forever-Chocolate-Nachhaltigkeitszielen 2016 in Aussicht, bis 2025 Kinderarbeit aus ihrer Produktionskette zu eliminieren. Ein begrüssenswertes Ziel, das sich allerdings als zu ambitioniert herausgestellt hat. Das verwässerte Ziel lautet: «Bis 2025 wird unsere Lieferkette von der Menschenrechts-Due-Diligence abgedeckt sein, um alle identifizierten Fälle von Kinderarbeit zu beheben.»

«Barry Callebaut hat sich im Vergleich zu vielen anderen Unternehmen sehr früh zu klaren Zielen verpflichtet und sich dadurch höherem Druck ausgesetzt. Bei Kinderarbeit ging sie besonders weit», sagt Pascal Boll, Analyst beim US-Broker Stifel. Andere Schokoladeunternehmen wie Lindt & Sprüngli hatten von Anfang an gesagt, sie würden Kinderarbeit nicht komplett abschaffen.
Umsatz dominiert
Es wäre wohl möglich, Kinderarbeit aus der Produktionskette zu eliminieren. Dafür müssten aber Marge und Produktionsvolumen bei den Schokoladeunternehmen zurückgeschraubt werden. Denn es müsste ein höherer Kakaopreis bezahlt und der Kakao nur dort bezogen werden, wo nachweislich keine Kinder arbeiten. Letzteres ist komplex, da viele Bauern ihren Kakao durch Kollektive verkaufen, weil ihr Volumen für den Direktverkauf an Händler zu klein ist. Wegen der Vermischung der Bohnen in den Kollektiven und später in der Verarbeitung ist eine rigorose Trennung schwer umsetzbar.
Bei gewinnorientierten Unternehmen haben die Kosten Priorität. Im Fall von Barry Callebaut – als Unternehmen im Business-to-Business-Segment (B2B) und grösstem Schokoladehersteller der Welt – wäre es durchaus denkbar, auf die eigene Kundschaft, die aus anderen grossen Unternehmen besteht, Druck auszuüben. Doch laut Barry liegt die Verantwortung bei den Kunden: «Wir legen es jedem Kunden nahe, eine Prämie für nachhaltigen Kakao zu zahlen. Wenn der Kunde dazu bereit ist, liefern wir ihn», sagt Nicolas Mounard, Barry Callebauts Nachhaltigkeitschef, gegenüber FuW.
Zumindest einer von Barrys grösseren Kunden ist dazu bereit: die niederländische Schokolademarke Tony’s Chocolonely. Während der Pressereise in die Elfenbeinküste, zu der «Finanz und Wirtschaft» eingeladen wurde, war ersichtlich, dass in der Kakaomahlfabrik in Abidjan Tony’s Chocolonely die «volle Segregation» der Bohnen verlangt. Das bedeutet, dass Tony’s-Bohnen getrennte Produktionslinien haben, die bis zur Plantage rückverfolgbar sind. Zudem zahlt die Marke als eine von wenigen den Living-Income-Referenzpreis, eine Kakaopreisprämie, die über die Standardprämie des Fairtrade-Labels hinausgeht. «Tony’s Chocolonely zeigt, dass es möglich ist, für den Massenmarkt Schokolade so herzustellen, dass Bauern fair bezahlt werden», sagt Juliane Bing, Projektkoordinatorin für Westafrika der deutschen NGO Inkota.
Zertifizierung heisst wenig
Anders agiert Cocoa Life, das «nachhaltige» Label der amerikanischen Schokoladenmarke Mondelez. Das Unternehmen besitzt auch Toblerone.
In der Lagerhalle in Abidjan werden Säcke mit gelben oder braunen Kärtchen beschriftet. Gelb bedeutet, dass die Bohnen zertifiziert sind, Braun, dass sie unzertifiziert sind. Mondelez’ Cocoa-Life-Bohnen sind braun markiert. Auf die Anfrage, wie Mondelez ihr Ziel, «die Lebensgrundlage der Bauern zu verbessern», verfolgt, wenn ihre Bohnen keine Beglaubigungen bezüglich Rückverfolgbarkeit oder Preisprämien zu haben scheinen, hat das Unternehmen nicht reagiert. An den Grundsätzen von Cocoa Life ist zu zweifeln. «Viele Schokoladehersteller betreiben mit ihren unternehmenseigenen Nachhaltigkeitsprogrammen Greenwashing», sagt Bing.
Derzeit haben praktisch alle Unternehmen eine Nachhaltigkeitsabteilung. «Das ist heute ein Hygienefaktor», sagt Analyst Boll. «Ein Nachhaltigkeitsprogramm zu haben, ist ein Muss, sonst wird man abgestraft. Gleichzeitig ist es schwierig, durch ein Programm hervorzustechen, weil inzwischen alle nachgezogen haben.»
Da es keine branchenweite, standardisierte Kontrolle für unternehmensinterne Nachhaltigkeitsprogramme gibt, gelten sie in der Regel als weniger transparent als unabhängige Zertifizierungen. Doch auch bei den unabhängigen bestehen Mängel. «Weder Rainforest Alliance noch Fair Trade zahlen den Living-Income-Referenzpreis, der den Bauern ein würdevolles Leben ermöglichen würde», sagt Bing. Rainforest Alliance zahlt dabei nochmals weniger als den Mindestpreis von Fair Trade.
Die Lösung: Regulierung
Konsumenten können also durch den Kauf von Schokolade mit nachhaltigem Label nicht garantieren, dass sie ohne Kinderarbeit produziert wurde und die Bauern gut bezahlt wurden. Besser als gar kein Zertifikat ist es in der Regel trotzdem.
Doch die Hauptverantwortung liege nicht bei den Konsumenten, sagt Lang von Public Eye: «Als Konsument kann man kaum durchblicken. Es braucht Regulierung und Rechenschaftspflicht. Das treibt die Industrie voran.» Mittlerweile sprechen sich mehrere grosse Schokoladeunternehmen wie Barry Callebaut, Nestlé, Hershey oder Ferrero für Regulierungen aus, wie für den EU-Vorschlag zur Sorgfaltspflicht entlang von Lieferketten. Nicht in erster Linie aus Altruismus, wie Lang erklärt: «Einige – darunter auch fortschrittlichere – Unternehmen setzen sich für einheitliche Vorschriften ein, weil das einfacher ist als ein Flickenteppich und gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft.»
Die Hoffnung besteht, dass internationale Regulierung einen grösseren Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Produzenten macht als bisher. Das 2001 unterzeichnete Harkin-Engel-Protokoll, eine freiwillige Vereinbarung zur Beseitigung von Kinderarbeit in der Kakaoindustrie, hat bisher praktisch keinen Fortschritt gebracht. Auch Barry Callebaut und Nestlé haben das Protokoll unterzeichnet, Lindt & Sprüngli hielt sich fern. Die erste Umsetzungsfrist 2005 wurde verschoben, dann 2008 erneut, als die Ziele wieder nicht eingehalten wurden. Gleichzeitig plädierten Schokoladeunternehmen weiterhin für eine nachhaltige Produktion.
Jetzt revidiert Barry Callebaut das vor sieben Jahren gesetzte Ziel der Abschaffung von Kinderarbeit, was die Frage aufwirft, wie viel der Verpflichtung aus Tatendrang besteht und wie viel dem Auftritt dient. «Ich denke schon, dass Barry Callebaut von der Publicity profitiert hat. Die Positionierung als nachhaltiges Unternehmen ist gut gelungen», sagt Aktienanalyst Boll.

Tiefe Löhne, hoher Profit
Beim Thema Kinderarbeit wird oft mit der Kultur argumentiert – dabei ist es wirtschaftliche Not, die Bauern dazu treibt, ihre Kinder arbeiten zu lassen. Ivorische oder ghanaische Familien, die nicht arm sind, schicken ihre Kinder nicht in die Feldarbeit. Geschweige denn setzen sie ihre Sprösslinge gefährlichen Substanzen und Maschinen aus. Die vereinfachte, exotifizierende Rechtfertigung der «Kultur» verschleiert das Kernproblem: tiefe Löhne. Und zwar umso tiefer, je weiter man an den Anfang der Lieferkette gelangt. Höhere Kosten können in der Schokoladebranche in der Regel den Kunden weitergegeben werden. Doch für höheren Profit erhalten die Bauern keine Boni.
Um der Armut der Bauern entgegenzuwirken, hat sich Barry Callebaut 2016 das Ziel «erfolgreicher Landwirt» (Prospering Farmer) gesetzt, gemäss dem bis 2025 einer halben Million Bauern aus der Armut geholfen werden soll. An diesem Ziel hat sich nichts geändert, Barry Callebaut gedenkt es zu erreichen. Derzeit erhält eine Viertelmillion Bauern von Barry den Armutsgrenzelohn der Weltbank von 2.15 $ pro Tag. In den nächsten zwei Jahren müsste also nochmals eine Viertelmillion auf diesen Lohn kommen.
«Auch mit 2.15 $ können die Bauern ihre Kinder nicht zur Schule schicken, Rücklagen bilden, investieren. Über der Armutsschwelle ist nicht gleich existenzsichernd», sagt Bing. Gemäss der NGO kann das Ziel nicht sein, dass Menschen anhand von Uno- oder Weltbank-Zahlen nicht mehr extrem arm sind, sondern dass sie ein Leben in Würde führen können.
Auf die Frage, weshalb nicht jetzt schon alle – oder zumindest eine weitere Viertelmillion – Kakaobauern, die an Barry verkaufen, über der Weltbank-Armutsgrenze sind, antwortet Mounard von Barry Callebaut: «Viele Farmen bringen noch zu wenig Ertrag. Wir helfen den Bauern, indem wir Arbeitskräfte gratis zur Verfügung stellen.» Die Bauern erhalten zudem Zuschüsse für den Kauf der teuren Düngemittel. Dass viele Bauern wegen geringen Landbesitzes wenig produzieren, ist laut Bing «kein Grund, keinen angemessenen Preis zu zahlen».
Dass kein einzelnes Unternehmen das systemische Problem in der Kakaoindustrie beheben kann, darüber sind sich Bing und Lang einig. Doch Unternehmen können viel erreichen, wie das Beispiel Tony’s Chocolonely zeigt. Auch Mounard sagt, dass er punkto Nachhaltigkeit bei einem Unternehmen wie Barry Callebaut mehr bewirken kann als anderswo.
Fürs Erste sind die revidierten Nachhaltigkeitsziele des Schokoladeherstellers eher zu erreichen als die ursprünglichen. Ausserdem sagt Boll: «Die Anpassung gewisser ESG-Ziele wird die Barry-Aktie nicht wesentlich beeinträchtigen.»
Der Kakao und die Elfenbeinküste
60% der Bevölkerung der Elfenbeinküste sind direkt oder indirekt von der Kakaoindustrie abhängig. Direkt abhängig sind in erster Linie die Bauern und die Fabrikarbeiter, indirekt unter anderem ihre Familien und die ruralen Gemeinschaften, in denen die Pflanzer leben. Bei den Besitzern der Kakaofarmen handelt es sich überwiegend um Männer. Frauen machen nur geschätzte 8% der Landbesitzer der ivorischen Kakaoagrikultur aus.
Das bedeutet, dass die meisten Frauen von Kakaobauern finanziell komplett von ihren Ehemännern abhängig sind. Die wiederum sind von den staatlichen Regulierungen, wie dem zwei Mal jährlich festgelegten Kakaopreis, und den Schwankungen der saisonalen Ernte abhängig.
Das führt dazu, dass die meisten Kakaogemeinschaften, besonders die dort lebenden Frauen, kaum finanzielle Sicherheit haben. Armut ist demnach in diesen Gemeinden ein grosses Problem; das Schulgeld für die Kinder aufzubringen, ist eine Herausforderung.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, wäre es am sinnvollsten, den Bauern für ihre Kakaoernte ein existenzsicherndes Einkommen zu zahlen. Eine andere Möglichkeit, das Armutsproblem zu entschärfen, ist die Ermächtigung der Menschen in den Kakaogebieten – insbesondere der meist einnahmenlosen Frauen. Dies mit dem Ziel, dass sie Tätigkeiten nachgehen können, die nicht vom Kakao und von seinen vielen Unsicherheiten abhängen.
Zum zweiten Punkt trägt Barry Callebaut zusammen mit der NGO Care International bei. Sie helfen, einen Fonds zu organisieren, in den Frauen in den Kakaogemeinschaften regelmässig Geld einzahlen und aus dem sie Darlehen zu einem Zins von 10% beziehen können.
Eine Erfolgsgeschichte ist die von Alimata Bamogo, 27 Jahre alt, ursprünglich aus Burkina Faso, wie viele Migranten in der Elfenbeinküste. Bamogo ist die zweite Frau ihres Mannes und hat sieben Kinder. Mit dem Darlehen hat sie einen Kühlschrank gekauft, der in ihrem Wohnzimmer steht. Darin lagert sie selbst produzierte Säfte, die sie an ihre Gemeinschaft in Yaokro verkauft. Pro Woche verdient Bamogo um 10 000 CFR, etwa 15 Fr.
Etwas mehr Vorsicht in den Wachstumsprognosen
Der grösste Bereich des Schokoladeherstellers Barry Callebaut ist das Geschäft mit industriellen Kunden (67% des Verkaufsvolumens), während auf die ertragsstarke Gourmetsparte 13% entfallen und auf das Kakaogeschäft 20%.
Die Schwankungen der Rohwarenpreise können in der Regel an die Kunden weitergegeben werden. Volumen- und Gewinnzahlen sind schon wieder auf Vorpandemieniveau, die Profitabilität ist verbesserungsfähig. Für die kommenden Quartale ist mit einer Beschleunigung des Wachstums zu rechnen, da ausserordentliche Bremsfaktoren wegfallen.
Mit den Halbjahreszahlen im April wurde überraschend mit Peter Feld ein neuer CEO vorgestellt. Er war zuvor knapp drei Monate Chef der Jacobs Holding, Barry Callebauts Hauptaktionär. Die Holding ist für Investoren ein Dorn im Auge, etwa weil sie ein grosses Aktienpaket unter Preis verkauft hat.
Für das laufende Jahr hat Barry Anfang April den Ausblick gesenkt: Nachdem bisher ein Wachstum zwischen 5 und 7% prognostiziert wurde, ist nun von «stagnierenden bis leicht zunehmenden Verkaufsvolumen» die Rede. Bislang hatte Barry oft zu hohe Ziele gesetzt und sie dann verfehlt.
Die Prognosesenkung muss daher nicht nur negativ sein: «Die Herabsetzung des Jahresvolumenziels und die Ernennung eines neuen CEO könnten den Beginn einer besseren Aktienkursentwicklung und einer besseren Stimmung markieren», sagt Lauren Molyneux, Analystin bei Citi.
Die Bewertungskennziffern, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder der Unternehmenswert zum Betriebsergebnis vor Abschreibungen und Amortisation (Ebitda), sind zuletzt etwas gesunken und sind im historischen Vergleich nicht zu hoch. Langfristig orientierte Anleger können auf Barrys führende Position im Kakao- und Schokolademarkt setzen. Kurse unter 2000 Fr. sind geeignet für Zukäufe.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Aktien-Alert
Von ABB bis Züblin – erhalten Sie sofort eine E‑Mail, sobald ein neuer Artikel zum Unternehmen Ihrer Wahl erscheint.
Um diesen Service zu nutzen, müssen Sie sich einloggen oder registrieren.