Alexander Lukaschenko pflegt auf Tauchstation zu gehen, wenn ihm die Schwierigkeiten über den Kopf wachsen. Das war schon 2006, 2010, 2020 so, als ihm «sein» Volk die Liebe aufkündigte. Neulich ist der «Batka», sonst in Belarus gemeinhin allgegenwärtig, wieder für Tage verschwunden. Ist er, «Väterchen» – streng, aber ungerecht, bald 69 und 29 Jahre an der Macht –, nur etwas abgespannt? Schmollt er bloss, oder ist er ernsthaft erkrankt? Geht es gar dem Ende zu mit ihm? Wenn ja, wäre das ein Grund zur Freude?
Jedoch: «Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben», witzelte einst Mark Twain; in diesem Sinn hat sich der Batka dieser Tage wieder gezeigt. Vielleicht hat er nur einen Schub Covid bezogen (Lukaschenko hatte einst angeordnet, so was gebe es nicht, wenigstens nicht in seinem Land). Terminal hinfällig ist der grobschlächtige Alleinherrscher anscheinend nicht. Ein unfrohe Botschaft an das geknutete Volk im Sowjetmuseum Belarus, realpolitisch eher eine gute Botschaft für den Westen, leider.
Wieso? Der andere Galgenvogel in den Weiten des Ostens, Putin, ist drauf und dran, Belarus einzusacken. Seine Truppen sind auch via Belarus über die Ukraine hergefallen (um Nazis und Nato zu vertreiben) und er lässt Atomwaffen nach Belarus verlegen. Der Batka hält sich schliesslich nur dank seinem verschlagenen «Freund» an der Macht, dessen gar nicht mehr so langfristige Absichten er genau kennt: Belarus annektieren. Wie 2014 die Krim. Der Batka hat Moskaus Zudringlichkeiten während Jahren mit leeren Versprechen abgewimmelt. Zu Zeiten hat er gar mit dem Westen geturtelt – was nicht mehr möglich ist, für beide Seiten. Doch seine Strategie, Belarus im prekären Status quo zu halten, ist mit Putins Strategie, das grossrussische Imperium neu aufzurichten, unterdessen kaum noch verträglich.
«Das heisst: Zusätzliche 1270 km Landgrenze Nato-Russland, von Polen über Litauen bis Lettland.»
Dieweil die Annexion der Ukraine mit Gewalt vollzogen werden soll – und stockt, womöglich gar scheitern wird –, erfolgt diejenige von Belarus schleichend. Sollte der Batka, der machtlos erkennen muss, wie ihn sein Lebenswerk nicht überleben wird, bald das Zeitliche segnen, ginge ein Aufatmen durchs Land, weil der Folterknecht endlich ein paar Stockwerke tiefer an der Wärme wäre. Doch bedeutete das unter den gegebenen Umständen nicht, dass sich nun auch in Minsk die Demokratie etablieren könnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass Moskau sofort «Bruderhilfe» leisten würde, um just dieses zu verhindern.
Der Kaiser würde Soldaten ausschicken, und es ist mehr als fraglich, ob sich die schwache belarussische Armee zur Wehr setzen würde, überhaupt könnte. Mit westlichem Eingreifen wäre nicht zu rechnen – zu gefährlich. Gerade weil Putin der ersehnte Triumph in der Ukraine versagt zu bleiben scheint, wäre die Eingliederung wenigstens von Belarus ein Quantum Trost: Wenn das ostslawische Triptychon nicht gelingen soll, dann wenigstens das Diptychon. In seiner hybriden, weil zornigen Liebe zu allem, was er für irgendwie russisch erklärt, liesse Putin ein «Referendum» zum Thema Heim ins Reich durchpauken. Stalin wusste: Wichtig ist nicht, wie die Leute abstimmen, sondern wie das Regime auszählt.
Der Westen, Nato und EU, und die geplagte Ukraine müssen sich darauf einstellen, dass Belarus in absehbarer Zeit de facto russisch sein wird, halbwegs ja schon ist. Das heisst: zusätzliche 1270 km Landgrenze Nato-Russland, von Polen über Litauen bis Lettland. Das heisst: russische Kräfte an der Suwalki-Lücke, nur 65 km Luftlinie zur Exklave Kaliningrad (früher Ostpreussen, Königsberg; als Folge der Hitlerei nun ein bedrohlicher russischer Aussenposten). Das heisst: akute Gefahr für das Baltikum, das abgeschnitten werden könnte. So bleibt einstweilen nichts, als – ausgesprochen contre coeur! – dem Bösewicht Batka ein langes Leben zu wünschen. Für Putin, der im 71. steht, muss das ja nicht sein.
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Meinung – Beten für «Batka»
Belarus’ Machthaber Lukaschenko wirkt welk – doch das freut vor allem Putin.